Der Fall Kenyatta in Den Haag: Nur noch Rebellen anklagen?

Nr. 50 –

Der Internationale Strafgerichtshof hat die Anklage gegen Kenias Präsidenten Uhuru Kenyatta zurückgezogen – unter anderem, weil das Gericht international zu wenig Unterstützung bekam.

Fünfmal wurde der Prozessauftakt verschoben. Am 3. Dezember hatten die RichterInnen des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) in Den Haag offenbar genug: Sie lehnten eine weitere Verschiebung ab und gaben der Anklage sieben Tage Zeit, um besseres Beweismaterial vorzulegen oder die Anklage gegen Kenias Präsidenten Uhuru Kenyatta fallen zu lassen.

Am Samstag darauf stellte Anklägerin Fatou Bensouda das Verfahren tatsächlich ein – ein Schritt, der als Rückschlag für das Gericht wahrgenommen wird. Dabei geht es nicht nur um Kenia, sondern um die Zukunft des Strafgerichtshofs allgemein.

Dünne Beweislage

Der Fall Kenyatta war bisher wohl der bedeutendste für das Gericht: Zum ersten Mal musste sich ein amtierender Präsident verantworten. Lange genossen Staatsoberhäupter Immunität vor Strafverfolgung. Bei der Gründung des ICC 1998 wurde beschlossen, diese aufzuheben.

Uhuru Kenyatta wurde mit fünf anderen Kenianern angeklagt, darunter der Politiker William Ruto und der Radiomoderator Joshua Arap Sang. Sie sollen für die ethnisch motivierte Gewalt in Kenia nach den Wahlen 2007 verantwortlich sein. Damals waren bei Ausschreitungen rund 1200 Menschen getötet und Hunderttausende vertrieben worden. Im Frühjahr 2013 wurde Kenyatta zum Präsidenten und Ruto zum Vizepräsidenten gewählt – trotz der Anklage in Den Haag. Der separate Prozess gegen Ruto und Sang begann ein paar Monate nach den Wahlen, leidet aber ebenfalls unter einer dünnen Beweislage.

In beiden Keniaprozessen sind immer wieder ZeugInnen verschwunden oder gestorben. Manche haben plötzlich die Aussage verweigert, andere erklärten, gelogen zu haben. Mehrmals hat die Anklagebehörde in Den Haag die kenianische Regierung aufgefordert, Beweismaterial auszuhändigen. Sie wollte beispielsweise Einsicht in die Bankdaten und die Verbindungsprotokolle von Uhuru Kenyattas Telefonnummern. Nur von einer Nummer seien diese tatsächlich offengelegt worden, sagte ein Mitarbeiter der Anklage.

Zwar gibt es keine Anzeichen dafür, dass Präsident Kenyatta persönlich für das Zurückhalten von Beweismaterial oder die Einschüchterung von Zeugen gesorgt hat. Profitiert hat er aber sehr stark davon. «Der wohl gefährlichste Aspekt nach dem Ende des Falls ist wohl, dass Kenyatta anderen gezeigt hat, wie man sich einer ICC-Anklage entzieht», meint Simon Allison vom Institut für Sicherheitsstudien in Südafrika. Der Fall zeige die Schwierigkeiten, mit denen die AnklägerInnen kämpften. Kenyatta anzuklagen, erforderte zu viel Kooperation der kenianischen Behörden, schreibt er in einer Analyse, ein Problem, das der Strafgerichtshof nicht nur in den Keniafällen hat: Die ErmittlerInnen sind auf die Mitarbeit der Staaten angewiesen, in denen sie Verbrechen untersuchen.

Der Strafgerichtshof selbst kann niemanden festnehmen, seine Macht ist stark begrenzt: Das Gericht ist vom guten Willen der Staatengemeinschaft und von den einzelnen Regierungen abhängig. So verweigert Sudan beispielsweise den ErmittlerInnen aus Den Haag die Einreise. Bereits zwei Haftbefehle wurden gegen den Präsidenten des Sudans, Umar al-Baschir, ausgestellt wegen des Völkermords in Darfur. Festgenommen wurde er bislang nicht, obwohl al-Baschir erst in dieser Woche nach Äthiopien reiste. Der ICC kann nicht mehr tun, als die äthiopischen Behörden formell aufzufordern, al-Baschir festzunehmen.

Ein Weckruf?

Für das Scheitern des Kenyatta-Prozesses und die enttäuschende Leistung bei anderen Prozessen wird allerdings auch die Anklagebehörde in Den Haag verantwortlich gemacht. Phil Clark von der School of Oriental and African Studies der Universität London sagt, die Ermittlungen seien oft unzureichend, weil die Anklagebehörde nur kleine Teams für kurze Zeit entsende – vor allem wegen Geldmangel.

Obwohl die Zahl der Fälle und Ermittlungen in den vergangenen Jahren stark gestiegen ist, wurde das Budget des Gerichts kaum vergrössert. Kevin Heller, ICC-Beobachter und Professor für Strafrecht an der Universität London, warnt, der Internationale Strafgerichtshof könne zu einem «Gericht für Rebellen» verkommen, weil nur diese nicht durch eine Regierung gedeckt werden.

Diese und nächste Woche findet die jährliche Vollversammlung der ICC-Mitgliedstaaten in New York statt. Laut Keller sollten Regierungen weltweit ihre mässige finanzielle und politische Unterstützung für das Gericht überdenken. «Wenn der Kenyatta-Fall die Staaten nicht aufweckt, weiss ich nicht, was sonst.»