Rokhaya Diallo: Kritik am Staat? Lieber nicht!

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Eigentlich sollte die feministische Aktivistin in ein Gremium berufen werden, das die französische Regierung in Sachen Internet und digitaler Wandel berät. Doch dann machte die Rechte gegen Rokhaya Diallo mobil.

Wie gut es um eine Demokratie bestellt ist, lässt sich nicht nur am Funktionieren ihrer Institutionen ablesen, sondern auch daran, wie Kontroversen öffentlich ausgetragen werden. Nimmt man Letzteres zum Massstab, scheint in Frankreich einiges im Argen zu liegen: Zuerst verstrickte sich das Land im Spätherbst anlässlich von Vergewaltigungsvorwürfen gegen den muslimischen Theologen Tariq Ramadan in eine wochenlange Laizismusdiskussion; die aggressiv geführte Auseinandersetzung erreichte ihren Tiefpunkt in der Forderung des ehemaligen Premierministers Manuel Valls, gewisse Personen gehörten aus der öffentlichen Debatte «entfernt». Gemeint waren VertreterInnen der Linken, die aus Sicht des Expremiers (und Exsozialisten) einen zu laxen Kurs gegenüber dem Islam befürworteten.

Dann folgte kurz vor Weihnachten das nächste Trauerspiel, das mit Angriffen von rechts gegen eine unbequeme Feministin und antirassistische Aktivistin begann und mit dem Rücktritt eines Gremiums endete, das eigentlich die Regierung in Sachen Netzpolitik hätte beraten sollen. Die Posse hat inzwischen solche Wellen geschlagen, dass selbst die «New York Times» die Affäre jenseits des Atlantiks irritiert kommentierte.

Rolle rückwärts

Was war geschehen? Mitte Dezember wurde die künftige personelle Zusammensetzung des Conseil national du numérique (CNNum) unter dem Vorsitz der Unternehmerin Marie Ekeland bekannt gegeben. Der Beirat war 2011 vom damaligen Präsidenten Nicolas Sarkozy ins Leben gerufen worden; er besteht aus dreissig Persönlichkeiten aus der viel beschworenen Zivilgesellschaft und hat die Aufgabe, der Regierung mit Empfehlungen zur Seite zu stehen, wie der digitalen Revolution politisch begegnet werden könnte.

Als neues Mitglied sollte nun auch die prominente Aktivistin und Journalistin Rokhaya Diallo (siehe WOZ Nr. 35/2017 ) in den CNNum nachrücken. Doch nur zwei Tage nachdem diese Personalie publik geworden war, folgte die Rolle rückwärts: Staatssekretär Mounir Mahjoubi forderte Ekeland auf, eine andere Besetzung des Gremiums zu präsentieren. «Der Conseil national du numérique benötigt Ruhe, um arbeiten zu können, und die jüngsten Veränderungen in seiner Zusammensetzung belegen, dass diese Bedingungen nicht vollständig erfüllt sind», hiess es in seiner verklausulierten Erklärung.

Auf wen diese Worte zielten, war jedoch unmissverständlich. Zuvor hatten rechte Internettrolle in den sozialen Netzwerken versucht, die Berufung Rokhaya Diallos zu skandalisieren – und dies mit Erfolg. Denn mit Valérie Boyer, der stellvertretenden Generalsekretärin der konservativen Les Républicains, griff schliesslich eine mehr oder minder prominente Politikerin die Chose auf und verfasste einen offenen Brief an ihren früheren Parteigenossen Édouard Philippe, inzwischen Premierminister unter Präsident Emmanuel Macron. Boyer, die selbst gerne die «nationale Identität» beschwört und auf Fotos stolz mit französischen Militärs posiert, protestierte in dem Schreiben insbesondere gegen die Berufung Diallos, weil diese in gewissen Punkten im Widerspruch zur offiziellen Linie der Regierung stehe. Dort fand die Parlamentarierin mit ihren Einwänden Gehör – was nicht nur die extreme Rechte, sondern bezeichnenderweise auch einige linke LaizismushardlinerInnen wohlwollend kommentierten.

High Heels und Kopftuch

Zu den von Boyer vorgebrachten Vorwürfen zählte zum einen ein Interview, in dem Diallo auf die Frage, wie in Frankreich mit dem Islam umzugehen sei, antwortete: «Ich sehe nicht, inwiefern der Versuch, Weiblichkeit mit einem Kopftuch zu kennzeichnen, sexistischer sein soll, als dasselbe mit High Heels oder einem Minirock zu tun.» Boyer zufolge ist diese Position unvereinbar mit dem Bekenntnis der Regierung zur Gleichstellung von Mann und Frau.

Zum anderen kritisierte die Konservative, dass Diallo 2011 nach einem Brandanschlag auf «Charlie Hebdo» einen offenen Brief gegen die Unterstützung der islamfeindlichen Satirezeitschrift (aber für die Verteidigung der Meinungsfreiheit) unterzeichnet und wiederholt «staatlichen Rassismus» in Frankreich angeprangert hatte, etwa anlässlich von Übergriffen der Polizei gegen Jugendliche in der Pariser Banlieue (siehe WOZ Nr. 12/2017 ). Boyers Schlussfolgerung: Diallo sei eine «spaltende» Persönlichkeit und deswegen für das vorgesehene Amt völlig ungeeignet. Eine Sichtweise, die schliesslich auch die Regierung übernahm.

Der Grossteil des Beirats allerdings erklärte daraufhin aus Solidarität mit Diallo den Rücktritt, darunter auch die Vorsitzende Ekeland; bis auf Weiteres gibt es also gar kein Gremium zur Netzpolitik. Die Debatte verrate viel darüber, sagte Ekeland, in welchem Masse man sich in Frankreich weigere, «abweichende Stimmen zu vernehmen». Auch die Französische Liga für Menschenrechte kritisierte den Umgang mit Diallo. Die 39-Jährige selbst sagte der WOZ: «Die ganze Angelegenheit beweist, dass man in Frankreich die Existenz von Rassismus einfach nicht wahrhaben will. Man ist nicht einmal bereit, darüber zu sprechen.» Allzu viel Raum für unbequeme Meinungen scheint in der französischen Demokratie jedenfalls nicht vorhanden zu sein.