Kost und Logis: Im wilden Wallis

Nr. 3 –

Karin Hoffsten über den Umgang mit dem Unbekannten

Dass die Uhren im Wallis anders ticken als im Rest der Schweiz, erfahren selbst Durchreisende ziemlich schnell, wenn ihnen schon ab zwölf Uhr mittags freundlich ein guter Abend gewünscht wird; das kann verwirren, wenn die Sonne im Zenit steht.

Nach ihrer Pensionierung zog die Mutter von Max und Elli ins Ferienhaus im Wallis. Und weil dem Walliser Menschen ein eher knorriges Gemüt nachgesagt wird, gehörte der Refrain «Da kann man nichts machen, so sind sie halt» bald zu ihrem Standardrepertoire, worauf Max schwieg und Schwiegertochter Paula gebetsmühlenartig antwortete: «Aber sicher nicht alle!»

Ihre letzten Jahre verbrachte die Mutter im Tal, sie starb mit weit über neunzig, und so kam einiges zusammen. Elli, Max und Paula räumten, sortierten, warfen weg, liessen für die Brockenstube abholen, brachten zum Sperrmüll. Zum Schluss blieb noch ein Lieferwagen voll übrig, mit Möbeln, Kisten und der gefüllten Urne. Alles sollte ins Holzhäuschen auf 2000 Metern, die Asche sollte auf Mutters Wunsch neben dem Lieblingswanderweg verstreut werden.

Weil das Dörfchen autofrei ist, kam alles im Tal in die Seilbahn, in der Bergstation türmte es sich dann zum gigantischen Haufen. Das Haus liegt über dem eigentlichen Dorf und ist, je nach Jahreszeit, von Alpwiesen oder Skipisten umgeben. Noch war Sommer, und der Nachlass samt Urne musste da hinauf.

Bei der Seilbahnstation wartet meistens ein wackerer Mann mit Elektrotransporter auf Kundschaft. «Wohin soll das?», fragte er, als handele es sich um eine Lieferung zur Hörnlihütte. Da käme er nicht rauf, ausserdem sei es verboten, er müsse den Chef fragen. Der wiegte das Haupt. Da oben dürfe man nicht fahren, beschied er schliesslich, das sei alles privat.

Aber die Leute da oben hätten doch auch Möbel, die irgendwie raufgekommen seien, quengelte Paula; und Elli erwähnte, dass die Mutter ja über zwanzig Jahre im Dorf gewohnt habe, er habe sie doch sicher gekannt. Zuerst müsse er den Alppräsidenten fragen, ob er über die Weiden fahren dürfe, knurrte der Chef. Es folgte ein langes, gemurmeltes Telefonat, als ginge es um fünfzig Kilo Crystal Meth. Elli erwog zwischendrin, ihm mit den Worten, der Herr Alppräsident wolle vielleicht mit der Mutter gern selbst reden, die geöffnete Urne zu reichen. Doch das Gemurmel kam zum Ende, die Urne blieb zu, der Chef packte kräftig mit an, und zu guter Letzt landete alles vor dem Haus.

Bis heute sind sich Elli, Paula und Max nicht sicher, ob es im Telefonat wirklich um die Fahrerlaubnis ging, denn alle WalliserInnen, die ihnen begegnen, sind herzlich und hilfsbereit, und selbst in den knorrigen steckt ein weicher Kern mit speziellem Witz. Wahrscheinlich hätten die zwei Bergler an einer Plauderei mit Mutters Asche noch ihren Spass gehabt.

Obwohl Karin Hoffsten glaubt, ohne 
Stadt nicht leben zu können, reist sie 
immer wieder gern ins Wallis.