Jordanien: Wenn alles Terror ist

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Derzeit erfährt die jordanische Regierung viel Zustimmung für ihren Einsatz gegen den Islamischen Staat. Doch unter dem Deckmantel des Antiterrorkampfs werden die Rechte aller BürgerInnen beschnitten.

Endlich scheint das jordanische Königshaus den Grossteil der Bevölkerung hinter sich zu wissen. Der Grund dafür liegt in dem Video der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) von letzter Woche. Darin ist zu sehen, wie der zuvor gefangen genommene jordanische Kampfpilot Moaz al-Kasasbeh bei lebendigem Leib verbrannt wird. Seither ist praktisch jede Kritik an der Regierungspolitik, den IS mit direkten militärischen Interventionen in Syrien und im Irak zu bekämpfen, verstummt.

«Nationales Bewusstsein»

Am 8. Februar verkündete die jordanische Armee, sie habe im Zuge ihrer jüngsten Offensive binnen dreier Tage 56 Luftangriffe gegen den IS geflogen und dabei dessen Kampffähigkeit stark beeinträchtigt. «Nun besteht eine Einheit zwischen den Ansichten im Volk und der offiziellen Position zum Krieg gegen den Terror», sagt der Sprecher des Aussenministeriums, Aschraf al-Chasauneh, gegenüber der WOZ. In Jordanien herrsche ein «nationales Bewusstsein». Und er verweist auf die spontanen Antiterrordemonstrationen im Land.

Doch es ist abzusehen, dass die öffentliche Empörung irgendwann abklingen wird. Dann wird sich das haschemitische Königshaus wieder mit der bedeutenden internen Opposition herumschlagen müssen, die nicht nur das jordanische Mittun bei den westlichen Angriffen kritisiert, sondern vor allem auch die Verschärfung des Antiterrorgesetzes im Inland.

Besonders die Muslimbruderschaft, die stärkste Oppositionspartei, sieht die jordanischen Angriffe als Unterstützung des «US-Imperialismus». Nach der Gefangennahme des Piloten gingen Hunderte in Kasasbehs Heimatstadt Kerak auf die Strasse, um die Regierung zum Rückzug aus der Anti-IS-Koalition zu bewegen.

«Nachdem Kasasbeh entführt worden war, geriet die Regierung in eine Krise», sagt Tamer Chorma, der palästinensisch-jordanische Chefredaktor der unabhängigen News-Plattform «Jo24». Das Video habe alles verändert: «Der Staat konnte vorübergehend Unterstützung für seinen Krieg gewinnen, indem er auf ein Racheethos zurückgriff, das auch in den Stammestraditionen verwurzelt ist.»

Ein Militärgericht für alle Fälle

Laut Aussenministeriumssprecher Chasawneh werde Jordanien jeglichen Terrorismus bekämpfen, «egal woher er kommt». Das alarmiert politische DissidentInnen genauso wie JournalistInnen. Denn was die innenpolitische Stabilität sichern soll, geht möglicherweise vor allem auf Kosten von Grundrechten wie der Meinungsäusserungsfreiheit, die in Jordanien schon länger unter Druck sind.

Am 28. Januar wurden der Besitzer und der Chefredaktor von «Saraya News» verhaftet. Das grosse, im Übrigen regierungsfreundliche Newsportal berichtete an jenem Tag, dass es einen Gefangenenaustausch zwischen Jordanien und dem IS geben könnte. Die irakische IS-Terroristin Sadschida al-Rischawi wäre demnach im Tausch für Kasasbeh (und den japanischen Journalisten Kenji Goto) freigelassen worden. Gemäss Anklage sei das eine Falschmeldung gewesen, mit der «die Ideen einer terroristischen Organisation propagiert» worden seien.

Hinter der Verhaftung der «Saraya»-Führung steht das Staatssicherheitsgericht, ein Militärtribunal, das gemäss jordanischem Antiterrorgesetz ausschliesslich für Prozesse gegen Terrorverdächtige zuständig ist. Laut dem Gesetz, das letztes Jahr erweitert worden ist, umfasst dies allerdings auch die «Störung der öffentlichen Ordnung», das «Säen von Zwietracht» und nicht zuletzt die «Beeinträchtigung von Beziehungen mit einem fremden Staat».

Wegen letzterem Passus sitzt derzeit etwa Saki Bani Arschid, Vizechef der Muslimbruderschaft, hinter Gittern, weil er die Vereinigten Arabischen Emirate als «Sponsoren des Terrorismus» bezeichnet hat. Gemäss jordanischer Justiz hat sich Bani Arschid mit seiner Kritik eines wichtigen Verbündeten des jordanischen Königshauses selbst zu einem Terroristen gemacht.

Durch grosszügige Auslegung des Terrorismusbegriffs, die Gleichsetzung missliebiger Journalisten und Dissidentinnen mit TerroristInnen, wird die Meinungsäusserungsfreiheit zunehmend beschnitten. Allerdings wurden bereits während der Massenproteste in den Jahren 2011 und 2012 viele DemonstrantInnen, die sich gegen die Regierung wandten, vom Staatssicherheitsgericht abgeurteilt.

«Da die Definition von Terrorismus unklar ist, sind die Oppositionskräfte dauernd in Gefahr, als Terroristen angegriffen zu werden», sagt Abla Abu Alba, Erster Sekretär der linken Jordanischen Demokratischen Volkspartei, gegenüber der WOZ. Nicht zuletzt deshalb forderte der UN-Menschenrechtsausschuss seit Jahren die Abschaffung des Staatssicherheitsgerichts.

Für das haschemitische Regime ist das Militärtribunal hingegen ein Segen. Der jordanische Innenminister Hussein al-Madschali pries die Institution als «effizient und schnell», um die interne Stabilität zu bewahren. Doch genau diese interne Stabilität wird durch die Unterdrückung von Grundrechten langfristig aufs Spiel gesetzt – besonders nachdem die öffentliche Empörung über die Verbrennung des Kampfpiloten Kasasbeh abgeklungen sein wird.

Aus dem Englischen von Markus Spörndli.