Vor 25 Jahren: Das Ende der Revolution
1990 verlor die FSLN die Präsidentschaftswahl von Nicaragua. Aber Daniel Ortega hat seinen Machtanspruch nie aufgegeben.
Vor 25 Jahren waren die Nächte noch still in Managua – jene vom 25. auf den 26. Februar war eine ganz besonders stille Nacht. Für Mitternacht war auf dem Platz der Revolution eine grosses und lautes Fest angesagt, aber niemand ist gekommen. Es war die Nacht nach dem Tag, an dem die Sandinistische Befreiungsfront (FSLN) nach elf Jahren an der Macht die Präsidentschafts- und Parlamentswahl gegen die rechte Parteienallianz UNO (Nationale Oppositionsunion) verloren hatte. Allenfalls ein paar JournalistInnen, die man für weltfremd hielt, hatten das für möglich gehalten. Sonst hatte niemand damit gerechnet, nicht einmal die klare Wahlsiegerin Violeta Barrios de Chamorro (54,7 Prozent der Stimmen) und schon gar nicht der unterlegene Daniel Ortega (40,8 Prozent). Das Jahrzehnt des grausigen Kriegs zwischen der FSLN und der von den USA aufgebauten Contra hatte Wirkung gezeigt: Zehntausende Tote, eine Wirtschaftsblockade, Hyperinflation und Versorgungsengpässe. Das Volk von Nicaragua war mürbe.
Mehrere hundert JournalistInnen warteten damals im Kongresszentrum Olof Palme nach einem ruhigen Wahltag auf die Ergebnisse. Als um 22 Uhr die ersten Provinzresultate veröffentlicht wurden, tat man sie noch ab als unbedeutend und nicht repräsentativ. Als sich um Mitternacht die lokalen Wahlsiege der UNO häuften, wurde man stutzig. Morgens um zwei war die Sache klar. Auf dem Weg nach Hause fuhr ich am Platz der Revolution vorbei. Arbeiter turnten über die Bühne der FSLN und bauten sie ab. Die UNO hatte keine Bühne vorbereitet.
Vier Stunden später war Ortega live im Fernsehen. Er sah müde aus und alt, fast so alt, wie er heute ist. Er gestand die Niederlage ein. Man hat ihm das damals hoch angerechnet. Danach befragte der Reporter InternationalistInnen, die Jahre ihres Lebens der sandinistischen Revolution gewidmet hatten. Ich erinnere mich an einen Bärtigen, sein grüner Papagei hockte auf seiner Schulter. Der Mann konnte kaum reden, so sehr schluchzte er, und der Papagei guckte ganz verdutzt.
Der Tag war gelaufen. Eigentlich sollte es ein Feiertag sein, schul- und arbeitsfrei für die vorgesehenen sandinistischen Feste. Doch Managua war wie tot. Die UNO brachte nicht einmal einen hupenden Autokorso zustande. Violeta Barrios brauchte geschlagene drei Tage, bis sie sich vom Schock ihres Wahlsiegs erholt hatte und zu einer Pressekonferenz lud. Ortega hatte da längst verkündet, er werde in Zukunft «von unten regieren».
Zunächst folgten die zwei Monate zwischen Wahlniederlage der alten und Antritt der neuen Regierung, die man in Nicaragua die «piñata» nennt. Eine Piñata gibt es eigentlich bei Kindergeburtstagen: Man füllt eine grosse Puppe aus Pappmaché mit Süssigkeiten und hängt sie auf. Ein Kind, bewaffnet mit einem Prügel, muss sie mit verbundenen Augen suchen. Ist die Puppe gefunden, wird so lange darauf eingeprügelt, bis sich die Süssigkeiten daraus ergiessen und die Kinder sich darauf stürzen. So etwa stürzten sich sandinistische Funktionäre auf die Süssigkeiten des Staats.
Daniel Ortega hat in den folgenden sechzehn Jahren meistens ganz oben mitregiert. Er sass nur formal in der Opposition. Tatsächlich hat er mit Violeta Barrios und den folgenden rechten Präsidenten einen Deal nach dem anderen ausgehandelt. Sie wussten, man darf Ortega nicht zu sehr reizen, sonst regiert er «von unten»: Er ruft seine Basis auf die Strasse und destabilisiert das Land. Dass er das kann, hat er mehrfach bewiesen.
2006 wurde er wieder ins Präsidentenamt gewählt. Er hat sich dann ein Wahlgesetz gegeben, das die vorher verbotene direkte Wiederwahl erlaubt und andere KandidatInnen faktisch chancenlos macht. WeggefährtInnen aus der FSLN, die seinen Machtanspruch infrage stellten, wurden aus der Partei geworfen oder hinausgeekelt. Die FSLN ist heute kaum mehr als ein Verein zur Förderung der Ambitionen ihres Chefs, und der will Nicaragua regieren, bis er stirbt. Sein Weg zum Autokraten begann an jenem Morgen des 26. Februar 1990, als er seine Wahlniederlage eingestand, seinen Machtanspruch aber bekräftigte.