Nicaragua: Der Präsident lässt verhaften

Nr. 25 –

Amtsinhaber Daniel Ortega fürchtet berechtigterweise um seine Wiederwahl im November. Mit fadenscheinigen Gründen geht der Präsident Nicaraguas gegen alle vor, die seine Wiederwahl verhindern könnten.

Als Nicaraguas Präsident Daniel Ortega am 2. Juni Cristiana Chamorro verhaften liess, sah alles nach einem in Zentralamerika üblichen Trick aus: Eine Konkurrentin, die ihm bei der kommenden Präsidentschaftswahl am 7. November hätte gefährlich werden können, lässt sich am elegantesten ausschalten, indem ein Staatsanwalt ihr «finanzielle Unregelmässigkeiten» vorwirft – wer in ein Strafverfahren verwickelt ist, darf nach dem Gesetz nicht kandidieren.

Zuletzt wurde mit diesem Trick 2019 in Guatemala die dortige Favoritin Thelma Aldana aus dem Rennen geworfen. Sie hatte als Generalstaatsanwältin mehrere hochrangige PolitikerInnen wegen Korruption ins Gefängnis gebracht; die korrupte Elite des Landes konnte sie so als Präsidentin verhindern.

Inzwischen ist die Zahl der in Nicaragua verhafteten Oppositionellen auf über ein Dutzend gestiegen. Selbst einstige sandinistische RevolutionsheldInnen sind dabei. Dora María Téllez etwa, die 1978 den damals in Haft sitzenden Guerillakommandanten Ortega freigepresst hatte, als sie mit einem kleinen Kommando den Nationalpalast besetzte und rund tausend Geiseln nahm. Die heutige Kritikerin des Präsidenten hat nie Ambitionen auf die Präsidentschaft geäussert. Aber wenn sie es täte, könnte sie durchaus Chancen haben. Ortega – von 1985 bis 1990 und seit 2007 Präsident – scheint so viel Angst vor der Wahl zu haben, dass er präventiv verhaften lässt.

Kein billiges Öl aus Venezuela

Lange hat er sich sicher gefühlt. Nach dem Wahlgesetz genügen 35 Prozent der Stimmen, um Präsident zu werden. Bei der traditionell zerstrittenen Opposition schien dies eine sichere Bank zu sein. Offenbar zweifelt Ortega nun, ob er diese niedrige Hürde nehmen kann. Oder er befürchtet, dass sich die Opposition doch um eine starke Figur vereinen und gewinnen könnte. So wie 1990, als er die Präsidentschaftswahl gegen Violeta Barrios de Chamorro verlor, Cristianas Mutter. Ortegas Abstieg begann vor drei Jahren. Billiges Benzin aus Venezuela, das in Nicaragua teuer verkauft wurde, war wegen der dortigen Krise ausgeblieben. Das Geld in der Staatskasse wurde knapp, Ortega konnte die Renten nicht mehr bezahlen. Ein paar RentnerInnen demonstrierten, der Präsident liess sie niederknüppeln, und aus einem eher unbedeutenden Vorfall wurde ein Flächenbrand. Zu den protestierenden RentnerInnen kamen Schüler, Studentinnen, Arbeitslose und Unterbeschäftigte. Fast ein Jahr lang war Nicaragua von Barrikaden lahmgelegt. Sicherheitskräften und paramilitärischen Verbänden sandinistischer Veteranen gelang es schliesslich, die Proteste niederzuwalzen. Über 300 Menschen wurden getötet. Danach war endgültig klar, dass der zusammen mit seiner Frau und Vizepräsidentin, Rosario Murillo, immer selbstherrlicher regierende Ortega vor nichts zurückschrecken würde, um sich an der Macht zu halten.

Die jetzige Verhaftungswelle wurde im letzten Dezember vorbereitet. Damals verabschiedete das von Ortega-Getreuen dominierte Parlament zwei Gesetze, die die Grundlage des jetzigen Vorgehens sind. Eines stuft nichtstaatliche Organisationen, die Geld aus dem Ausland erhalten, als «ausländische Agenten» ein, die staatlich registriert und kontrolliert werden müssen. Die meisten der Verhafteten arbeiten für solche Organisationen. Das andere Gesetz richtet sich gegen Menschen, die «einen Putsch anführen oder finanzieren, das Ausland zur Einmischung ermuntern, um eine militärische Intervention bitten, Wirtschaftsblockaden vorschlagen oder planen oder Sanktionen gegen Nicaragua oder seine Bürger gutheissen». Sie werden als «Terroristen» und «Vaterlandsverräter» eingestuft und mit bis zu fünfzehn Jahren Haft bedroht.

Ohne führende Köpfe

In der einzigen bislang dazu veröffentlichten Erklärung unterstellt die Regierung den Verhafteten «Loyalität zur Regierung der USA» und «dass sie direkt oder über ihre jeweiligen Nichtregierungsorganisationen Millionen von Dollars aus den USA erhalten haben, um die gewählte Regierung von Präsident Comandante Daniel Ortega zu stürzen».

Die gezielte Repression gegen mögliche KonkurrentInnen birgt für Ortega kein grösseres Risiko. Die Verhafteten gehören durchweg zur schmalen oberen Mittelschicht des armen Landes und haben keine nennenswerte politische Basis. Die Bewegung von 2018 war eine reine Graswurzelrevolte ohne führende Köpfe. Dort herrscht heute zwar grosse Verbitterung, aber ans Aufstehen für ein paar Saturierte denkt – bislang zumindest – niemand.