Film «Difret»: Geraubte Unschuld

Nr. 12 –

Ein Schlag ins Gesicht, ein pfeifender Summton und eine Dunkelheit, die gnädig verhüllt, was die vierzehnjährige Hirut (Tizita Hagere) erdulden muss: Das Mädchen wurde auf dem Nachhauseweg von der Schule entführt, jetzt vergeht sich der Kidnapper an ihr.

Bis zu Beginn des neuen Jahrtausends war es in den ländlichen Gebieten Äthiopiens Sitte, dass heiratswillige Männer Frauen wie Nutztiere einfingen. Doch so leicht lässt sich Hirut nicht an die Kandare nehmen. Als sie unbeobachtet ist, erschiesst die Gefangene ihren Peiniger mit einem Karabiner und schleicht sich davon. Nach alter Sitte müsste Hirut für ihre Gegenwehr mit dem Leben bezahlen, doch da nimmt die Geschichte, die auf einer wahren Begebenheit beruht, eine neuzeitliche Wendung. Eine Anwältin und Menschenrechtlerin (Meron Getnet) aus Addis Abeba wird auf Hiruts Fall aufmerksam und kämpft vor Gericht stellvertretend für alle äthiopischen Frauen gegen Bevormundung und Zwangsheirat an.

«Difret» bedeutet in Äthiopien so viel wie «wagen». Allerdings geht das Drama, für das sich Angelina Jolie als ausführende Produzentin verpflichtete, erzählerisch kein Risiko ein. Sicher, der Umstand, dass der Film in Äthiopien per Gerichtsentscheid verboten werden sollte, macht deutlich, wie wichtig die Aufarbeitung dieser unbewältigten Vergangenheit wäre. Doch wenn Landschaftsaufnahmen mehr Emotionen wecken als das Schicksal der Figuren, läuft etwas schief.

Vielleicht liegt es an den Darstellerinnen, vielleicht an den Dialogen. Aber vieles, was in diesem Erstling des äthiopischen Regisseurs Zeresenay Berhane Mehari gezeigt und gesagt wird, wirkt unecht. Etwa wenn sich das sonst so stille Mädchen darüber beklagt, dass die Anwältin sie für ihre Zwecke missbrauche. Das klingt nach Hollywood, dessen Klischees nur unbeholfen bedient werden. Irritierend auch der laue Soundtrack, der für das Gehör eines westlichen Publikums komponiert scheint. Der milde Tonfall von «Difret» enttäuscht: Hirut wird die Unschuld geraubt, aber der Film nimmt sich selbst seine eigene Schärfe.


Ab 19. März 2015 im Kino.

Difret. Regie und Drehbuch: Zeresenay Berhane Mehari. Äthiopien 2014