KuratorInnen (1): Ein Wackelpudding mit Ausrufezeichen

Nr. 12 –

Der Schweizer Überkurator Hans Ulrich Obrist hat ein Buch über seine Arbeit geschrieben. Doch von einer Philosophie des Ausstellungsmachens fehlt darin jede Spur.

Was haben Kanye West und Hans Ulrich Obrist gemeinsam? Den 1977 geborenen US-Rapper aus Georgia und den 1968 geborenen Schweizer Kunstkurator aus London trennen vermutlich Welten. Treffen könnten sich diese ästhetischen Tausendsassas aber vielleicht darin, wie sie alles und jeden «kuratieren».

Für eine Fotostrecke der Modezeitschrift «Fashion Book» durfte Kanye West, der sich auch schon als Modedesigner versucht hat, kürzlich Kunstwerke von Paul McCarthy bis Cecily Brown auswählen. Obrist wiederum brachte 2003 in London junge Künstler, Aktivistinnen und Wissenschaftler, die nach 1989 geboren wurden, zu einem «Marathon» zusammen. In seinem jüngsten Buch «Kuratieren!» überschreibt er das denkwürdige Ereignis vollmundig mit «Zukunft kuratieren».

Natürlich ist das Vage des «Berufs» Kurator im Begriff selbst begründet. Man muss nämlich keine Ausstellungsmacherin sein. Kuratorin ist schon, wer Mitglied eines Kuratoriums ist, selbst der Verwalter eines Zoos nennt sich Kurator. Und pflegen, sorgen, heilen – nichts anderes verbirgt sich in dem lateinischen Wortkern «curare» – kann man natürlich vieles: Um Alte Meister im Museum kann man sich genauso kümmern wie um Menschen im Altersheim. Doch so, wie der Kurator – einstmals ein ausserordentlicher Beamter des Römischen Reichs – und seine «Arbeit» in den letzten fünfzehn Jahren zur coolen Zentralfigur des globalisierten Kunstsystems im 21. Jahrhundert aufgerückt ist, wäre eine kritische Analyse seiner Position eigentlich überfällig. Genau das leistet Obrists Buch leider überhaupt nicht.

Lauter vage Definitionen

Wie kein anderer Vertreter seiner Spezies ist der Kodirektor der Londoner Serpentine Gallery zu einem Mythos der Kunstwelt aufgerückt. Kaum ein internationales Kunstevent kommt ohne den Omnipräsenten aus: als Ausstellungsmacher, publizistischer Interpret oder Herausgeber einer begleitenden Publikation, vorzugsweise einer Sammlung empathischer Interviews. Die Zeitschrift «ArtReview» platzierte Obrist 2009 an der Spitze ihrer Liste der hundert «mächtigsten» Figuren des Kunstbetriebs.

Doch von der «kleinen Philosophie des Ausstellungsmachens», wie der Verlag den schmalen Band anpreist, fehlt in «Kuratieren!» jede Spur. Obrist beschreibt darin nämlich nicht viel mehr als seinen persönlichen Werdegang. Sein Initialerlebnis hatte er 1985. Damals besuchte der Sechzehnjährige in der Basler Kunsthalle eine Ausstellung des Künstlerduos Fischli und Weiss. Es war der Beginn einer lebenslangen Freundschaft.

Zwar wimmelt es in dem Band nur so von Definitionen des Kuratierens. Mal lauscht Obrist sie den KünstlerInnen ab – der italienische Arte-Povera-Künstler Alighiero Boetti etwa vertraut ihm einmal den schönen Gemeinplatz an, Kuratieren bedeute, «Unmögliches möglich zu machen» –, mal ringt er sich selbst zu einer Definition durch, die den schwammigen Sammelbegriff aber nur weiter bläht: «Die Funktion des Kurators besteht darin, Freiraum zu schaffen, und nicht, bestehenden Raum zu besetzen.»

Ein intellektueller Scheinriese

Den grössten Teil des Buches hechelt Obrist freilich die Hitliste seines kuratorischen Schaffens durch: Wie er mit Christian Boltanski und Bertrand Lavier im Café in Paris die «do it»-Ausstellung erfand, wie ihn Christa Maar 1993 in die Akademie zum Dritten Jahrtausend einlud und so fort. So mäandert Obrist zwischen Systematik und Narzissmus. Der schattenwerfende Nagel auf weisser Fläche, der das Buchcover ziert, gewinnt da symbolische Bedeutung. So wie Obrist versucht, den begrifflichen Pudding des Kuratierens an die Wand zu nageln, kann der Leser die bohrende Frage nach dem Was, Warum und Wie des Kuratierens am Ende nur mit dem postmodernen Motto «Anything goes» bilanzieren.

Latente Obrist-SkeptikerInnen begegnen in diesem Buch einem intellektuellen Scheinriesen, der umso kleiner wird, je näher man ihm rückt. Denn bei Obrist ist Kuratieren nichts als naiver Wille und Vorstellung: Ich ersinne ein ungewöhnliches Konzept, steige ins Flugzeug und realisiere es in der grossen weiten Welt. Dass Kuratorinnen mit Geld, Leihgebern und Sponsoren kämpfen müssen, kommt bei Obrist nicht vor.

Der Gedanke, dass der Begriff «Kurator» eine Potenzfantasie bedient, die diese Abhängigkeiten nur verschleiert, kommt ihm nicht einmal versuchsweise. Ein Begriff wie «prekäre Arbeitsverhältnisse» fällt kein einziges Mal. Stattdessen flüchtet sich der grosse Zampano in treuherzige Banalitäten: «Das Kuratieren grosser Ausstellungen kann eine allumfassende und ungeheuer anstrengende Aufgabe sein.» Wer hätte das gedacht?

Auch als intellektuelle Autobiografie geht Obrists Werk nur schwer durch. So sehr sucht er sich mit fahrigem Namedropping, angereichert mit redundanten Wikipedia-Informationen, seinen Platz in der Phalanx der Kunst-Celebrities zu sichern, die er persönlich kennengelernt hat: von Eugène Ionesco bis Harald Szeemann, von Kasper König bis Klaus Biesenbach. Nur Kanye West fehlt noch in diesem Netzwerk. Aber das ist wohl nur eine Frage der Zeit.

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und Andreas Wirthensohn. C. H. Beck Verlag. München 2015. 206 Seiten. 30 Franken