James K. Galbraith: «Einfach Geld reinschütten nützt nichts»

Nr. 14 –

Der US-Starökonom James K. Galbraith über sein neues Buch «The End of Normal» und seine Beratertätigkeit für den griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis und die Syriza-Regierung.

«Für Griechenland ist das Beste, Zeit zu gewinnen», sagt Ökonom James K. Galbraith.

WOZ: James Galbraith, Sie waren unmittelbar nach dem Wahlsieg von Syriza in Athen. Wie war die Stimmung?
James K. Galbraith: Sie war unbeschreiblich. Es herrschte plötzlich ein Gefühl des Stolzes und der wiedererlangten Würde, und zwar unter ganz normalen Griechen. Sie hatten das bisherige Verhältnis zu Europa als demütigend empfunden, und man spürte, wie das mit einem Mal abfiel. Man spürte auch die Freude, dass man das bisherige Kartell der regierenden Parteien endlich los ist.

Sie halfen in Brüssel bei den entscheidenden Verhandlungen mit der Eurogruppe mit, als eine Art Berater …
«Berater» ist etwas übertrieben, ich wollte ein wenig hilfreich sein. Wir haben Finanzminister Yanis Varoufakis und seinen Mitarbeitern geholfen – sei es, gewisse Formulierungen zu finden, sei es, die Folgen mancher Vorschläge abzuschätzen.

Ein Thriller?
Die deutsche Position war im Grunde bis zur letzten Minute, dass sie keinen Millimeter Abkehr von allen bisherigen Abmachungen akzeptieren werden. Sie sassen mit entsicherter Pistole da und sagten eigentlich: Unterschreibt oder haut ab! Aber es war natürlich klar, dass es Bewegungsspielraum gibt, wenn die griechische Seite die rechtlichen Anforderungen erfüllt, die nun einmal durch die Verträge in der Eurozone gegeben sind, und auch gewisse politische Zwänge ihrer Partner im Auge hat. Und genau das ist dann auch rausgekommen.

Also war das Abkommen ein Erfolg?
Ja, es war auf jeden Fall positiv. Es ist natürlich nicht klar, ob es wirklich zu einem Ergebnis führt, das die Situation in Griechenland stabilisieren kann. Es ist ja nur eine Atempause und gibt Raum für Verhandlungen.

In einem Interview haben Sie gesagt, der einzige Finanzminister, der bestimmt, ist Wolfgang Schäuble. Ist das wirklich so, dass die anderen sich nur an Schäuble orientieren?
Natürlich nicht: Erstens gibt es einen Finanzminister, der Schäuble auch widerspricht, und das ist Yanis Varoufakis. Zweitens ist es nicht so, dass nicht auch andere eine Position formulieren. Aber das letzte Wort hat Schäuble. Und am Ende hängen Kompromisse vom Manöver der deutschen Regierung ab. Schäuble spielte den Harten, Vizekanzler Siegmar Gabriel hat ihn dafür sogar sanft kritisiert, und am Ende konnte sich Angela Merkel im direkten Gespräch mit Alexis Tsipras als die Versöhnliche darstellen. Und Schäuble konnte dann im Bundestag das Ergebnis als Resultat seiner Prinzipientreue präsentieren. Man kann das alles aus deutscher Sicht total nachvollziehen.

Was auch heisst: Jede Regierung in der Eurozone spielt für ihre eigene Galerie.
Das geht noch weiter: Die spanische und die portugiesische Regierung haben eine absolute Hardlinerhaltung eingenommen, weil sie von Bewegungen herausgefordert werden, die Syriza ähneln. Das heisst, Regierungen, die in Umfragen bei weniger als zwanzig Prozent liegen, haben sich allein aus innenpolitischen Erwägungen unbeugsam gegeben. Sie wollen jeden Syriza-Erfolg verhindern. Zudem ist die Situation in Griechenland extrem angespannt, weil die Regierung Liquiditätsprobleme hat.

Vor allem in der deutschsprachigen Presse wird die Storyline präsentiert, Varoufakis sei zu aggressiv, zu radikal, er giesse Öl ins Feuer, stosse mögliche Verbündete vor den Kopf und Ähnliches. Ist da was dran?
Ach, das ist doch nur Propagandaklimbim. Klar, Varoufakis hat im Moment einen der härtesten Jobs der Welt. Und er ist einer der Fähigsten in Europa. Die Art, wie er spricht, ist von einer Klarheit und Wahrhaftigkeit, die in offiziellen Kreisen äusserst unüblich ist – und damit auch überraschend und irritierend. Das Lustige ist, dass das sogar manche Journalisten verstört, die es offenbar als normal ansehen, dass man sie mit nichtssagenden Formeln abspeist.

Sie haben in Texas die vergangenen Jahre eng mit Yanis Varoufakis zusammengearbeitet: Wie würden Sie ihn charakterisieren?
Ich mag und bewundere ihn. Er ist ein grossartiger Intellektueller, ein glasklarer Schreiber. Er hat Analysen von unglaublicher Klarheit verfasst, unter anderem über die Eurokrise in den vergangenen Jahren. Jeder kann sich selbst ein Bild machen und das nachlesen.

Gibt es eigentlich eine gute Lösung, sowohl für Griechenland als auch für die Eurozone, die sich ja ebenfalls in einer Depression und Stagnation befindet, mit niedrigem Wachstum, explodierender Ungleichheit und wachsenden Schuldenständen?
Für Griechenland ist das Beste, was man sich vorstellen kann, Zeit zu gewinnen, dass die Banken nicht kollabieren. Zudem muss man institutionelle Reformen vornehmen, die auch Zeit brauchen, und man muss unmittelbar die humanitäre Katastrophe bekämpfen. Wäre das schon eine ökonomische Erholung? Nein. Eher nur eine Stabilisierung.

Wenn wir uns die europäische Situation ansehen, die von sieben Jahren Austerität und Stagnation geprägt ist, so kann man sich kaum vorstellen, dass sich Griechenland allein aus dieser Spirale befreien kann. Die Frage wäre also: Wie kann man sich einen Weg Richtung Prosperität für ganz Europa vorstellen?

Sie sind ja generell nicht sehr optimistisch. Schluss mit Austerität ist nicht genug, das ist die Botschaft ihres jüngsten Buchs, «The End of Normal».
Gerade die Europäische Union bräuchte eigentlich einen Totalumbau jener Institutionen, die während der Phase neoliberaler Dominanz errichtet worden sind – die Organisation der Währungsunion, das innereuropäische Regelwerk. Es bräuchte ganz massive Investitionen in jede einzelne der Volkswirtschaften, um wieder Prosperität zu ermöglichen.

In Ihrem Buch kritisieren Sie auch die linksliberalen keynesianischen Frontkämpfer wie Paul Krugman und Joseph Stiglitz. Deren Vorschläge reichten nicht aus, um die kaputte Maschine zu reparieren. Wieso?
Die Finanzmaschine ist kaputt, mit allen Folgewirkungen auf Konjunktur und Wachstumsaussichten. Einfach Geld reinschütten nützt da nicht viel. Es spielen viele Strukturveränderungen der letzten Jahrzehnte hinein: die technologische Revolution, die Volatilität und der Anstieg der Energiepreise, sobald es nur zu ein wenig Wachstum kommt. Das heisst, knapp gesagt, dass die Annahme falsch ist, wir bräuchten nur einen Kickstart der Ökonomie und schon gebe es wieder eine «normale Prosperität». Die Vorstellung einer solchen «Normalität» selbst ist heutzutage fragwürdig.

Aber vieles, was Sie vorschlagen, sagen Krugman und Stiglitz ja auch …
Klar, ich will doch gar keinen Streit vom Zaun brechen. Joe und Paul sind Kampfgefährten und Freunde, aber wir sehen eben ein paar Dinge anders. Ich würde sagen, ich denke deutlich institutionenorientierter als sie. Das ist Folge eines anderen theoretischen Modells, wie man sich das Funktionieren der Ökonomie vorstellt. Der traditionelle Keynesianismus denkt primär in Strömen von Kapital, Geld, Ressourcen und achtet weniger auf die Funktionstüchtigkeit der vorhandenen Institutionen. Dass diese funktionieren, setzt er voraus. Das sind diskutierbare Meinungsunterschiede, es soll aber jetzt um Gottes willen nicht der Eindruck entstehen, ich würde Krugman und Stiglitz angreifen. Sie tun viel Gutes in der Welt mit ihrem Engagement und der Verve, mit der sie sich in intellektuelle Kämpfe stürzen.

Das Panoptikum an Krisensymptomen, das Sie analysieren, besteht aus: einem dysfunktionalen Finanzsystem, einem Überhang an Verschuldung, der endemischen Korruption, gleichzeitig schwachem Wachstum, immer mehr Ungleichheit, der Energiekrise, dem Ende der US-amerikanischen Hegemonie, den digitalen Innovationen, die Jobs zerstören. Kommt der Kapitalismus, wie wir ihn kannten, an ein Ende?
Ich bin aber kein Katastrophentheoretiker!

Es muss ja kein Zusammenbruch sein, es kann eine Phase des sukzessiven Niedergangs sein …
Eine solche Stagnationsperiode ist tatsächlich eine Gefahr. Aber die Frage, die ich in meinem Buch aufwerfe, ist keine pessimistische. Ich versuche ja gerade, Antworten anzudeuten, wie mit einer solchen Situation umgegangen werden muss, in der die Schwierigkeiten deutlich grösser sind, als wir sie in den vergangenen achtzig Jahren jemals erlebt haben. Wir müssen sehr viel effizienter mit allen Ressourcen umgehen: Superreichen Fantasiegehälter zu bezahlen, ist ja nicht nur ungerecht, es ist auch ein verschwenderischer Umgang mit der Ressource Geld. Wir werden viel stärker die Bedürfnisse der verwundbarsten Mitglieder unserer Gesellschaft im Auge haben müssen.

Wenn der Wohlstand schnell und steil ansteigt, ist das alles einfacher: Ich kann soziale Sicherheit für die breite Mehrheit und den Reichtumszuwachs für die Privilegierten finanzieren. Aber was tut man, wenn die Wachstumskurve Richtung null geht? Dann türmen sich enorme Risiken für die Stabilität unserer Gesellschaften auf.

Zur Person

James K. Galbraith (63) ist einer der führenden US-amerikanischen VolkswirtschafterInnen. Er forscht und unterrichtet an der University of Texas in Austin. Dorthin engagierte er 2013 seinen Freund Yanis Varoufakis, den heutigen griechischen Finanzminister.

Galbraith ist der Sohn des legendären US-Ökonomen John K. Galbraith. Jüngst erschien sein Buch «The End of Normal», in dem er ein düsteres Bild der Krisentendenzen der Weltwirtschaft zeichnet.