Musik-Album «Mit alles und scharf»: Die heilige Familie
Tritt an einem Ländlermusikfest eine «Familienkapelle» auf, erwachen die Psychoanalytikerinnen im Saal. Sie prüfen den Blick des jugendlichen Örgelers, der vielleicht lieber im Partykeller als im «Löwen»-Säli wäre: Ist er traumatisiert oder beglückt? Sie wissen sofort, wie es um die Familienposition der Tochter an der ersten Klarinette steht, und die Mutter an der zweiten Klarinette lächelt je nachdem selig oder verkrampft zum Vater, der am Bass die Seinen im Takt hält.
Auch die Familie Janett aus Tschlin im untersten Unterengadin ist eine legendäre Familienkapelle, weit über Graubünden hinaus. Drei Janett-Brüder haben vor dreissig Jahren mit zwei Nachbarn Ils Fränzlis da Tschlin gegründet. Mittlerweile haben die beiden Nachbarn aufgehört, und es sind nur noch Janetts miteinander unterwegs. Und das scheint so schön zu sein, dass die Thurgauer Familienfraktion um den Komponisten, Akkordeonisten und Bassisten Curdin Janett einen weiteren Zweig gegründet hat: C’est si B.O.N. mit Cristina am Cello, Madlaina an der Bratsche und Niculin am Saxofon. Mit dabei auch hier ein Nachbarskind: Barbara Gisler an Cello und Bass. «Mit alles und scharf» heisst ihre CD. Wir hören eine Musik, die sich an John Coltranes Saxofonsound orientiert, wir hören schräge Streichersätze – Volksmusik ohne Rücksicht auf Verluste.
Bemerkenswert ist die weite Reise der Stückli, die die Fränzlis da Tschlin seinerzeit im Unterengadin ausgegraben haben, von der Ehrfurcht vor dem Original zum heiteren thurgauischen Widerwort. Wir staunen, wie viel ein Tanz wie der «Valser a la Veglia» hergibt, wenn sich ein Sopransaxofon und ein Streichtrio über ihn hermachen. Das Unterengadin genügt den MusikantInnen nicht; übers Tirol gehts nach Ungarn mit Gesang zum Gassenhauer «Amari szi» und zurück schliesslich zu einem herzergreifenden Schwyzer Jutz für Streichkapelle: Wie kosmopolitisch doch der Thurgau ist und wie seelenfüllend die heilige Familie.
C’est si B.O.N.: Mit alles und scharf. Narrenschiff