Jazz: Ein Ohr in die Zukunft
Hat Hut Records ist das Steckenpferd von Werner X. Uehlinger und eines der weltweit führenden Plattenlabels für zeitgenössische Klänge. Jetzt feiert der Basler Einmannbetrieb das vierzigjährige Bestehen.
Im modernen Jazz geben heute die Kleinen den Ton an. Da sich die Major-Labels mehr und mehr aus diesem Nischenmarkt zurückgezogen haben oder nur noch auf Nummer sicher gehen, fällt kleinen Firmen die Entdeckerrolle zu. In der Schweiz wirkt Hat Hut Records seit Jahrzehnten als wichtiger Impulsgeber der internationalen Szene.
Mit hochkarätigen Produktionen hat sich der Basler Betrieb sowohl im kreativen Jazz als auch in der komponierten Avantgardemusik einen exzellenten Ruf erworben. Spitzenkünstler wie Steve Lacy, Cecil Taylor, Paul Bley, Anthony Braxton und John Zorn schmücken den Katalog. Aber auch Schweizer Talenten bietet Hat Hut eine Plattform, ob dem Basler Schlagwerker Fritz Hauser, dem Jazzpianotrio von Michel Wintsch oder der Pianistin und Komponistin Luzia von Wyl.
Die treibende Kraft hinter Hat Hut Records ist Werner X. Uehlinger, der dieses Jahr achtzig wird und vor vierzig Jahren eher durch Zufall ins Plattengeschäft schlitterte. Einen Masterplan gab es nicht, im Gegenteil: Uehlinger war damals in der Marketingabteilung des Pharmakonzerns Sandoz beschäftigt – sein Tagesjob. Abends legte er Free Jazz auf dem Plattenspieler auf, der ihn immer mehr in seinen Bann zog.
Durch eine Mailorder lernte Uehlinger den US-amerikanischen Saxofonisten und Trompeter Joe McPhee kennen. Eine Geschäftsreise in die USA ermöglichte ein Treffen. McPhee berichtete von den Schwierigkeiten, seine radikale Improvisationsmusik zu veröffentlichen, und spielte Uehlinger ein paar Demobänder vor. Der Schweizer war derart begeistert, dass er ohne Vorwissen und ohne jegliche Erfahrung im Musikbusiness den Sprung ins kalte Wasser wagte: Im Frühjahr 1975 hob Uehlinger Hat Hut Records aus der Taufe. «Black Magic Man» von Joe McPhee war die erste Veröffentlichung.
In den Bestenlisten
Die Einspielung schlug Wellen. McPhee stellte Uehlinger befreundeten Musikern vor, und so erweiterte sich allmählich der Katalog: Grosse Namen wie Anthony Braxton und Steve Lacy gaben bald auf Hat Hut ihre Musik heraus. Die sorgfältigen Editionen überzeugten. Ja, selbst Free-Jazz-Koloss Cecil Taylor erteilte dem Schweizer Label den Zuschlag. Mit dem Katalog wuchs die Reputation. Nun tauchte Hat Hut sogar in den jährlichen Bestenlisten der US-amerikanischen Jazzmagazine auf.
Zehn Jahre lang fuhr Uehlinger zweigleisig. Tagsüber Brotjob, abends Jazzproduzent und Plattenverkäufer. «Ich war geschäftlich viel auf Reisen und nahm immer einen Stapel Schallplatten mit, die ich dann in den jeweiligen Städten in Spezialgeschäften unterzubringen versuchte, manchmal sogar tauschte», erinnert sich der Labelbetreiber an die Anfangszeit. 1985 machte er aus dem Hobby eine Vollzeitbeschäftigung, die Berufung zum Beruf.
Musiker nahmen Kontakt auf. Eines Tags klingelte das Telefon. Ein junger Mann aus New York war am Apparat, der meinte, Hat Hut sei das beste Label der Welt, und er würde gerne ein Album dort veröffentlichen. Nachdem eine Demokassette eingetroffen war, kam der Deal zustande. «Die Musik war grossartig», schwärmt Uehlinger noch heute. Das Doppelalbum «Cobra» von John Zorn wurde zu einer der epochemachenden Veröffentlichungen des experimentellen Jazz der achtziger Jahre, eine Produktion, die die Karriere von Zorn auf den Weg brachte; heute gilt er als einer der tonangebenden Musiker der Avantgarde.
Bis heute operiert Hat Hut als «Cottage Industry». Das Büro ist bei Uehlinger daheim, die LPs lagerten am Anfang im Keller seiner Eltern. Jazz ist eine Überlebenskunst: Die Kosten niedrig halten, eigene Ressourcen nutzen, lautet das Prinzip. Für die Produktion der Schallplatten galt das Spargebot dagegen nicht: Hier war das Beste gerade gut genug. «Es sollten ja kleine Kunstwerke sein», umreisst Uehlinger seine Absicht, an der sich bis heute wenig geändert hat. Das Cover des Doppelalbums «Nine Futurities» von Steve Lacy von 1987 ziert ein Gemälde des US-amerikanischen Hard-Edge-Malers Kenneth Noland, die Hülle von John Zorns «Cobra»-Album wurde von der japanischen Manga-Cartoonistin Kiriko Kubo gestaltet.
Private Mäzene nötig
Nach «Cobra» gelang mit John Zorns Einspielung «News for Lulu» (mit Bill Frisell) 1988 ein weiterer Bestseller, ähnlich erfolgreich war nur noch das «Erik Satie»-Album des Vienna Art Orchestra. Etliche Tausend Exemplare der drei Titel gingen über den Ladentisch. Die Erfolge halfen, Flops auszugleichen, Alben, die wie Blei in den Regalen lagen. Ende der achtziger Jahre startete Uehlinger mit dem Imprint Hat(now)Art eine zweite Produktionslinie mit avantgardistischer E-Musik: Alben von Morton Feldman, John Cage und Earle Brown erschienen – alles exquisite Produktionen, doch schwer unter die Leute zu bringen. Wenn Hat Hut nicht fünfzehn Jahre lang die Kulturförderung des Schweizer Bankvereins (später UBS) genossen hätte, wäre das Label wohl kaum über die Runden gekommen. Inzwischen sorgen der Backkatalog und die Re-Issue-Reihe für eine gewisse Stabilität.
Solche Sicherheit ist heute umso dringender gefragt, als dass der CD-Markt seit der Jahrtausendwende in Auflösung begriffen ist. Plattenläden machten reihenweise dicht, die Umsätze stürzten ab. Wieder sprangen private Mäzene ein, die Hat Hut über Wasser hielten – bis heute. Denn Kompromisse will Uehlinger keine machen. «Seit 1975, ein Ohr in die Zukunft» – für den Labelbetreiber ist das Hat-Hut-Motto ein Versprechen.