Zum 1. Mai 2015: Den Widerspruch umarmen

Nr. 18 –

Die Zukunft ist auch nicht mehr das, was sie einmal war. Im Kino sucht sie uns fast nur noch als Albtraum heim. Das ist offenbar die einzige Alternative zum Kapitalismus, die sich unsere Kultur vorstellen kann, und auch seine letzte Konsequenz: Staub und Asche, die Vision einer Welt nach dem Kollaps. Aber eine Gesellschaft, die keinen Begriff von einer anderen Zukunft mehr hat, ist auf Dauer nicht zu ertragen. Das verlangt nach neuen Utopien. Nach einem Denken also, das seit dem Mauerfall als diskreditiert gilt.

Nur vier Stunden arbeiten pro Tag: Ist das utopisch oder bare Vernunft? Fängt die Utopie schon im Bett an, und wenn ja, hört sie auch dort auf? Ein kalifornischer Milliardär, der den Weltraum besiedeln will: Ist das der wahre Utopist für unsere Zeit? Oder nur ein Technokrat unter vielen, die einen Fortschrittsglauben, der sich längst überlebt hat, künstlich beatmen?

Um heute utopisch zu denken, müssen wir uns von dem verabschieden, was wir bisher darunter verstanden haben. Das sagt der Literaturprofessor Philipp Theisohn. Auch die utopischen Parolen von früher sind ja längst vom Kapital kolonisiert worden. Oder wie es einst der japanische Philosoph Toyota sagte: «Nichts ist unmöglich.» Die Utopie als Glücksversprechen der Reklame: Wir können das betrauern. Oder aber wir können diesen Widerspruch umarmen. So fest, bis ihm die Luft wegbleibt.

Wir wünschen Ihnen einen entfesselt utopischen 1. Mai!