Fussball und andere Randsportarten: Lionel Messi Menschenretter

Nr. 27 –

Pedro Lenz über Weltfussballkenntnisse als Überlebenshilfe

Vor einigen Jahren sollte mein Freund und Kollege, der Schriftsteller Beat Sterchi, einem Spanier erklären, wo er herkommt. Bern sagte dem Spanier gar nichts. Von der Schweiz habe er zwar schon gehört, beschied er Sterchi, aber er sei noch nie dort gewesen. Immerhin kenne er aus jenem fernen Land zwei Städte dem Namen nach: Grasshoppers und Xamax.

Wir Umstehenden haben seinerzeit gelacht, als Sterchi uns die kleine Anekdote erzählte. Es dünkte uns einigermassen lustig, dass jemand Vereinsnamen mit Städtenamen verwechselte und seine Fussballkenntnisse für geografisches Wissen hielt.

Zurzeit macht in der internationalen Presse eine Geschichte die Runde, über die zu lachen schon etwas schwieriger ist. In Nigeria wurde der 28-jährige argentinische Agronom Santiago López Menéndez entführt, der seit zwölf Monaten in der Stadt Kontagora in einem Entwicklungsprojekt arbeitete. Seine Entführer hätten ihn zunächst für einen US-Amerikaner gehalten, erzählte der Entführte nach seiner Freilassung. Da sie offensichtlich auf die USA sehr schlecht zu sprechen gewesen seien, hätten sie ihn geschlagen und misshandelt.

Er selbst spreche ausser Spanisch bloss ein wenig Englisch, aber die Entführer hätten keine der beiden Sprachen verstanden, erklärte der Agronom gegenüber JournalistInnen. Deshalb habe er seinen Kidnappern lange nicht klarmachen können, dass er Argentinier und nicht US-Bürger sei. Als er den Eindruck bekommen habe, er überlebe die Schläge seiner Peiniger nicht, sei ihm nichts anderes eingefallen, als voller Verzweiflung «Messi, Messi, Messi!» zu rufen. Die Botschaft sei bei den Entführern sofort angekommen. Sie hätten verstanden, dass ihr Opfer nicht Nordamerikaner, sondern Argentinier sei. Also hätten sie aufgehört, ihn zu schlagen.

Von da an habe er es sogar recht gut gehabt. Und schon drei Tage später sei er freigelassen worden. Nun sei er natürlich überglücklich, die Entführung überlebt zu haben, sagte der junge Mann gegenüber der Presse. Aber vor allem sei es ihm wichtig festzuhalten, dass Lionel Messi sein Leben gerettet habe. Nur weil Messi so berühmt sei, hätten die Entführer verstanden, dass ihre Geisel Argentinier sein müsse. Es sei ihm ein grosses Anliegen, sich beim mehrfachen Weltfussballer zu bedanken.

Etwa so war die Geschichte vergangene Woche in argentinischen Zeitungen zu lesen. Von dort fand sie den Weg in die spanische Presse, von wo sie sehr schnell auch zu uns gelangen dürfte.

Falls sich aber die Entführung tatsächlich so abgespielt hat, wie es der junge Argentinier schildert, wäre dies ein Indiz dafür, dass Kenntnisse über den Weltfussball tiefer im Bewusstsein der Weltbevölkerung verankert sind, als wir es uns überhaupt vorstellen können. Es gibt nicht mehr viele Menschen auf der Welt, die nicht wissen, wer Lionel Messi ist und aus welchem Land er stammt. Auch den nigerianischen Entführern von Santiago López Menéndez ist Messi wahrscheinlich besser vertraut als jeder einzelne Spieler ihres Heimatvereins. Das ist die gute Nachricht.

Die schlechte Nachricht ist die, dass so eine Rettungsmethode nicht für alle funktioniert. Sollte ich einmal irgendwo auf der Welt von Leuten entführt werden, die mich für einen US-Bürger halten und deswegen quälen wollen, würde es wohl eng. Anders als ein Argentinier könnte ich nicht einfach Messi erwähnen, um meine Herkunft klarzustellen. Und ob es mir helfen würde, in letzter Not den Namen eines YB-Spielers zu rufen, darf zumindest bezweifelt werden.

Es würde mich allerdings auch nicht besonders wundern, wenn irgendwann herauskäme, der argentinische Agronom Santiago López Menéndez und seine nigerianischen Entführer seien eine Erfindung der Fifa-Presseabteilung, um der Welt die Blatter-Worte «Fötbol brings piiiipl tugedder» in Erinnerung zu rufen.

Pedro Lenz (50) ist Schriftsteller und lebt in Olten. Er staunt weiterhin gern und viel und über alles Mögliche.