«Taxi Teheran»: Der Geist subversiver Herzlichkeit
Eine grosse Tragikomödie auf kleinstem Raum: Der iranische Regisseur Jafar Panahi darf offiziell keine Filme mehr machen, also drehte er sein jüngstes Werk in einem Taxi. An der Berlinale gabs dafür den Goldenen Bären.
Der Mann am Steuer kennt den Weg nicht, sein Fahrgast reagiert ungläubig: «Du willst ein Taxifahrer sein? Das ist aber nicht dein richtiger Beruf, oder?»
Das könnte ein Satz aus einem Sketch über den Fahrdienstvermittler Uber sein, aber die Frage des erstaunten Passagiers ist mehr als ein Gag, sie hat eine unerhört existenzielle Dimension. Denn der Fahrgast im Film «Taxi Teheran» hat natürlich recht: Der Mann am Steuer ist kein richtiger Taxifahrer. Das Taxi ist für ihn nur eine Zwischenlösung, aus der Not geboren, weil er seinen eigentlichen Beruf nicht ausüben darf. Es ist der iranische Regisseur Jafar Panahi, der im Dezember 2010 von einem Gericht in Teheran zu zwanzig Jahren Arbeitsverbot verurteilt wurde und der seither auch nicht mehr ausreisen darf.
Und weil ein Leben ohne Film keines ist für Panahi, hat er sich bislang nicht an das Arbeitsverbot gehalten, und so ist jetzt auch dieses Taxi erst mal nur ein Vorwand: die fahrbare Kulisse für einen Film, den er eigentlich nicht drehen dürfte. «Taxi Teheran» ist ein langer Sketch über eine unwürdige Situation, das schelmische Kabinettstück eines Regisseurs, der seinen wahren Beruf nur ausüben kann, indem er einen Taxifahrer spielt. Wenn sie dir deinen Lebensinhalt verbieten, bleibt dir nichts anderes übrig, als die Wahrheit in der Scharade zu suchen.
Blutend auf dem Rücksitz
Diese klandestine Stadtrundfahrt fürs Kino beginnt wie eine politische Talkshow auf kleinstem Raum, mit einem Streitgespräch über die vorbeugende Wirkung der Todesstrafe. Eine Lehrerin teilt das Taxi mit einem reaktionären Maulhelden, der sich auf die Scharia beruft, wenn er darauf beharrt, dass zur Abschreckung von Strassendieben einfach mal ein paar von ihnen hingerichtet werden müssten, dann würden es die anderen auch kapieren. Aber als er aussteigt, wirft er uns wie beiläufig eine Pointe hin, die seine Tirade nochmals in ein ganz anderes Licht rückt: Er sei selbst ein Strassenräuber. Und so geht das nun immer weiter: Panahi spielt mit unseren Erwartungen, lässt uns immer wieder ins Leere laufen, indem er das Dokumentarische als Fiktion tarnt oder umgekehrt.
«Das waren Schauspieler, oder?», fragt der nächste Fahrgast, ein Verkäufer von DVD-Raubkopien, der den Mann am Steuer gleich erkannt hat und darum richtigerweise vermutet, dass der berühmte Herr Panahi hier gerade einen Film dreht. Wenig später nimmt dieser noch ein Unfallopfer in seinem Taxi mit, und so liegt auf dem Rücksitz nun auch noch ein Mann, der dramatische Schmerzenslaute von sich gibt und fast verblutet auf dem Weg zum Spital, während er noch sein Testament in die Handykamera spricht. Der DVD-Händler schaut jetzt doch sehr besorgt, er scheint schon wieder vergessen zu haben, dass er in einer Filmkulisse sitzt, aber Panahi beruhigt ihn: «Er wird es überleben.» Warum der Taxifahrer das so genau weiss? Na, weil er der Regisseur ist. Das war schliesslich ein Schauspieler, oder?
Das schon, aber niemand im Ensemble ist ein Profi, der Taxifahrer ist schliesslich auch keiner. Panahi hat den Film mit lauter Verwandten, Bekannten und Bekannten von Bekannten besetzt, die alle mehr oder weniger sich selbst spielen. Gedreht hat er alles in zwei Wochen und praktisch ohne zusätzliche Crew, um keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Vom Rohschnitt hat er dann mehrere Sicherungskopien gemacht, die Dateien versteckte er in verschiedenen Städten. Für die Weltpremiere an der diesjährigen Berlinale musste er den Film auf einem USB-Stick ausser Landes schmuggeln lassen. Weitere repressive Massnahmen gegen den Regisseur sind bisher ausgeblieben.
Slapstick auf engstem Raum
Aber im Auto durch Teheran, hatten wir das nicht schon mal im Kino? Ja, Panahi verbeugt sich mit «Taxi Teheran» unverkennbar vor seinem Landsmann Abbas Kiarostami. Dieser, eine Generation älter als Panahi, hat seinen Film «Ten» (2002) einst noch rigoroser als automobiles Kammerspiel angelegt, mit nur zwei fix installierten Digitalkameras: eine für die Frau am Steuer, die andere für ihre wechselnden Fahrgäste. In «Ten» waren es fast lauter Frauen aus unterschiedlichen Milieus, die zustiegen, und so wird jetzt auch das Auto in «Taxi Teheran» zum Kompressionsraum, in dem sich ein Panorama der iranischen Gesellschaft entfaltet.
Kiarostami hatte sich die räumliche Beschränkung noch selbst auferlegt, als konzeptuellen Rahmen, um die soziale Stellung der Frau im Iran zu spiegeln. Panahi greift diese formale Spielerei auf, aber er tut es aus seiner existenziellen Unfreiheit heraus. Schon sein letzter Film «Closed Curtain» (2013) war ja ein raffiniertes Vexierspiel um einen verfolgten Künstler, der sich in einem abgelegenen Ferienhaus versteckt. Und in seiner vertrackten Selbstreferenzialität wirkte es fast schon gespenstisch, wie Panahi hier seine Verurteilung und seinen Hausarrest zum Thema machte – als habe er sich dieses filmische Labyrinth errichtet, um zwischen den doppelten Böden seiner Fiktion zu verschwinden, wo ihm kein Gericht seines Landes mehr etwas anhaben kann.
Nach der spröden Schwermut von «Closed Curtain» hat Jafar Panahi nun zu einer umso kühneren Verschmitztheit gefunden. Vielleicht ist es Trotz, vielleicht auch einfach ein Beleg dafür, dass sich die Fantasie durch Verbote nicht unterbinden lässt: Je enger Panahis Räume werden, umso entfesselter wirkt sein Spielwitz. So finden in seinem Taxi die grossen und die ganz kleinen Geschichten zusammen, und weil man alles an diesem Film als Verweis auf das Schicksal des Regisseurs verstehen kann, ist auch das Triviale politisch. Einmal steigen zwei Frauen zu, sie führen eine fragile Fracht mit: ein Goldfischglas. Etwas plakativ als Sinnbild für ein Leben in aufgezwungener Isolation? Mag sein, aber statt die Metapher zu strapazieren, spielt Panahi den tapsigen Saboteur und zeigt mal eben schnell, was er handwerklich draufhat: Slapstick auf engstem Raum.
Zur schönsten Volte aber holt Panahi aus, als er dann mit dem Taxi seine Nichte von der Schule abholt. Dieses ganz erfreulich vorlaute Kind soll als Hausaufgabe einen Kurzfilm über Edelmut und Opferbereitschaft drehen. Und weil sie von der Lehrerin schon gründlich indoktriniert worden ist, erklärt sie ihrem Onkel Jafar nun, worauf man zu achten habe, wenn man einen wohlgefälligen iranischen Film machen wolle: dass nämlich nur die Bösen eine Krawatte tragen, zum Beispiel, und dass die Guten keine persischen Namen haben, sondern islamische.
Panahi holt also die eigene Nichte als Musterbeispiel einer regimetreuen Filmemacherin an seine Seite – und lässt diese dann daran scheitern, dass sich die iranische Wirklichkeit, die sie mit ihrer Kamera einfängt, halt einfach nicht an ihre Vorstellungen von Edelmut hält. Etwas unfein und uniranisch gesagt: In ihrer entwaffnenden Offenherzigkeit ist diese Episode das charmanteste «Fuck you» an die Adresse von Zensur und Willkürjustiz, das man sich denken kann.
Heiterkeit und Verzweiflung
Diesen Geist subversiver Herzlichkeit verströmt auch der letzte Fahrgast. Das ist Nasrin Sotoudeh, eine Anwältin und Menschenrechtsaktivistin, die im September 2010 im gleichen Gefängnis wie vor ihr schon Panahi eingesperrt war und anschliessend wegen «Gefährdung der nationalen Sicherheit» und «Propaganda gegen das Regime» verurteilt wurde. Sotoudeh hat einen Strauss roter Rosen dabei und ist unterwegs ins Gefängnis, um eine junge Frau im Hungerstreik zu besuchen. Und während der Regisseur stoisch am Steuer sitzt, berichtet sie strahlend und im trügerischen Plauderton, was das für ein Leben ist, das Leute wie sie und Panahi führen: keines, das diesen Namen verdient. So bündelt sich in dieser Frau zugleich das ganze Temperament, das diese grosse Tragikomödie auf kleinstem Raum auszeichnet: eine bodenlose Heiterkeit, die uns nie die Verzweiflung dahinter vergessen lässt.
Ab 2. Juli 2015 im Kino.
Taxi Teheran. Regie und Drehbuch: Jafar Panahi. Iran 2015