Volksabstimmung im Schatten des Bankrotts: Kalter Krieg mitten in Europa

Nr. 27 –

Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras steht mit dem Rücken zur Wand. Er kann der Destabilisierungspolitik der EU nur wenig entgegensetzen.

Jetzt ist es amtlich: Griechenland ist pleite. Der Umstand, dass Athen eine Kreditrate in Höhe von 1,55 Milliarden Euro nicht bis zum 30. Juni beim Internationalen Währungsfonds begleichen konnte, macht aus einem klammen Land ein bankrottes.

Es ist die hohe Zeit der HeuchlerInnen. «Selbstverständlich werden wir nun den Menschen in Griechenland jede denkbare humanitäre Hilfe zukommen lassen», sagt Volker Kauder, Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag. Derselbe Kauder hatte kurz zuvor den Daumen nach unten gesenkt, als es um weitere Überweisungen an das Land ging.

Auch die führenden Köpfe in den Verhandlungen mit der griechischen Regierung spielen auf dieser Klaviatur. Ob Angela Merkel, Wolfgang Schäuble, Jean-Claude Juncker, Mario Draghi oder Christine Lagarde: Sie alle geben vor, sich um die Menschen in Griechenland zu sorgen, während sie in Tat und Wahrheit einen Kalten Krieg gegen die linke Regierung des Landes begonnen haben.

Ihre ständigen Drohungen, Griechenland die Geldquellen abzustellen, haben die Bevölkerung tief verunsichert. Als Reaktion darauf leerten viele ihre Bankkonten. Dies hat aber die Lage nur weiter destabilisiert. Die Entscheidung der Europäischen Zentralbank, den griechischen Banken keine weiteren Notkredite zu gewähren, führte dann zu den Bankenschliessungen vom Montag.

Über viele Gegenmittel verfügt die von Alexis Tsipras geführte griechische Regierung nicht. Das Referendum, das am 5. Juli abgehalten werden soll, ist ihr stärkstes. Die Regierung ruft die Bevölkerung auf, Nein zu den Vorschlägen der Institutionen zu stimmen. Damit will sie eine zusätzliche Legitimation für ihr eigenes Nein, sodass sie die nächsten Runden der Verhandlungen mit Nachdruck führen kann.

Allerdings ist das Referendum umstritten – zumal die Gläubiger ihre Vorschläge inzwischen zurückgezogen haben. Unklar ist auch, wie die Regierung reagieren wird, falls die Mehrheit der Bevölkerung den Vorschlägen zustimmt. In diesem Fall müsste die Regierung eine Politik umsetzen, die auf das Gegenteil ihrer eigenen abzielt: die Fortsetzung der katastrophalen Sparpolitik zulasten des Wachstums und der wirtschaftlich schwachen Schichten der Bevölkerung. Ministerpräsident Alexis Tsipras hat angedeutet, in diesem Fall zurückzutreten.

Tsipras scheint sich mit dem Referendum politisch verkalkuliert zu haben. Und das, erstens, weil seine Ankündigung die patriotischen Gefühle der GriechInnen nicht im erwarteten Ausmass mobilisiert hat: Die finanzielle Knechtung des Landes ist nicht mit der militärischen Besatzung durch Nazideutschland, auf die er rekurrierte, zu vergleichen. Für viele seiner AnhängerInnen – auch für Mitglieder der Syriza-Partei – haben die Wiedereröffnung der Banken und ein halbwegs normalisierter Alltag Priorität gegenüber einem stolzen Nein zu den Vorschlägen der Gläubiger.

Zweitens hat der Druck der Oppositionsparteien, die bis anhin ein bescheidenes Dasein fristeten, enorm zugenommen. Die Versammlungen, die die konservative Nea Dimokratia auf dem Syntagmaplatz, direkt vor dem griechischen Parlament, in den letzten Wochen organisiert hat, ziehen Zehntausende BürgerInnen an. Der Vorsitzende der Partei, der ehemalige Ministerpräsident Antonis Samaras, feiert dadurch auch ein unerwartetes Comeback.

Drittens hat das Referendum eine Spaltung innerhalb der Regierung hervorgerufen. Wichtige Exponenten wie der stellvertretende Ministerpräsident Giannis Dragasakis und der Wirtschaftsminister Giorgos Stathakis fordern, die Abstimmung abzublasen und an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Andernfalls, sagen sie, werde das Land vor die Hunde gehen und das linke Experiment in Griechenland zu einer Randnotiz der Geschichte verkommen.

Tsipras’ Lage ist schwieriger denn je. Er hat mit einer schwächelnden Unterstützungsfront in Griechenland und einer geschlossenen Gruppe von skrupellosen PolitikerInnen und Finanzhaien im Ausland zu kämpfen. Es kann sein, dass er den Verzicht auf das Referendum als Verhandlungsgegenstand benutzt, um ein Zugeständnis in der Forderung nach einem Schuldenschnitt zu erreichen oder um Mittel aus dem Rettungsschirm des Europäischen Stabilitätsmechanismus zu bekommen. Vieles deutet aber darauf hin, dass das Hauptangebot der Gläubiger weiterhin ein Programm sein wird, das wie die vorherigen auf einer Sparpolitik gründet. Seine Annahme wäre die pure Kapitulation.

Nikos Chilas ist Korrespondent der
 griechischen Zeitung «To Vima» in Berlin.