Kost und Logis: Statt blutiger Schlachten
Ruth Wysseier über interessante Jubiläen 2015
Mit Pouletbrüstli, Reis und Gemüse machte das neben der Hohlen Gasse gelegene Gymnasium Immensee den Auftakt, wo sich im Mai der Maturajahrgang 1975 samt Anhängen traf. Arme katholische Familien schickten früher ihren Ältesten an die damalige Missionsschule. In den Siebzigern kamen dann Koedukation, Befreiungstheologie und die Achtundsechziger. Ein Jahr lang hatte die Klasse aufs Znacht verzichtet und das Geld für Entwicklungshilfe für das damalige Rhodesien gespendet. Ausgerechnet Robert Mugabe, der greise Diktator Simbabwes und einstige Befreiungskämpfer, hatte in den fünfziger Jahren an einer von Patres gegründeten Schule unterrichtet – Immensees grösster Betriebsunfall. Dagegen scheint die viel kritisierte Amtsführung von Immensee-Schülerin Simonetta Sommaruga bloss ein kleiner Klecks.
Ossobuco mit Gemüse und Spätzli gab es im Juni zum 20-Jahr-Jubiläum der deutschsprachigen «Le Monde diplomatique»-Ausgabe. Die WOZ lud die «Diplo»-Familie ins Zürcher Café Boy. Von überall her waren sie gekommen; die Monatszeitung erscheint heute in 28 Sprachen und mit über zwei Millionen Exemplaren. Beeindruckend die Mitherausgeberin der Onlineausgabe aus Budapest, die schilderte, wie die ungarische Gesellschaft auseinanderfällt. Unter dem «Diplo»-Label zeigen sie in Budapest aktuelle politische Filme und organisieren Referate. Zürich scheint ihr unglaublich friedlich und reich. Sie will in der WOZ einen Spendenaufruf für den ungarischen «Diplo» machen.
Pizzoccheri, Lasagne und üppige Desserts assen wir Ende Juni im Salecina, dem vom Zürcher Buchhändlerpaar Amalie und Theo Pinkus gegründeten Bildungszentrum. Dreissig Jahre nach dem letzten grossen Frauenseminar trafen sich auf Initiative einiger Studentinnen Frauen aus Deutschland, Italien und der Schweiz zu Workshops, Wanderungen, Disco und Debatten. In seinen Anfängen war das Haus ein Treffpunkt für die zersplitterte 68er-Linke; später hielten Feminismus, Ökologie und Alpenpolitik Einzug. In der aktuellen Metamorphose entdeckt die U30-Generation das Haus und die progressiven Seiten des «Zäme-choche-putze-schnurre» auf 1800 Metern.
Hummus, Auberginen, Schweinebraten dann Mitte Juli am kalten Buffet, das Ehemalige des Zürcher Kollektivs Restaurant Palme auftischten. Kulinarisch ein Höhepunkt, dabei war die selbstverwaltete Beiz damals für ihre Küche nicht berühmt. Arbeitsteilung war des Teufels, «Alle machen alles» das Credo. Aber der Garten mit den alten Bäumen war wunderschön, die Aufbruchstimmung Anfang der achtziger Jahre ebenfalls, am Feierabend ging man noch im AJZ vorbei. Heute haben die KollektivistInnen «richtige» Berufe, aber nicht alle sind vom Beizenfieber geheilt: Drei wollen es noch einmal wissen und übernehmen auf den Herbst den «fallenden Brunnenhof» in Zürich.
Ruth Wysseier glaubt, dass Selbstverwaltung die beste aller schlechten Organisationsformen ist.