Kommentar zur bevorstehenden Genfer Syrien-Konferenz: Hoffnung voller Widersprüche

Nr. 38 –

Der Syrienkonflikt wird bald wieder an einer Genfer Konferenz verhandelt. Auch die USA und wichtige EU-Staaten tendieren mittlerweile dazu, das jetzige Regime daran teilnehmen zu lassen.

Viereinhalb Jahre nach Beginn des Syrienkonflikts gibt es verstärkte diplomatische und militärische Aktivitäten, die zu seiner Beendigung führen sollen. Dazu beigetragen haben vier Entwicklungen in den letzten Monaten.

Erstens: Mit dem mit dem Iran geschlossenen Nuklearabkommen beendet Washington die jahrzehntelange Isolationsstrategie gegenüber Teheran. Somit wird die Einbeziehung des Iran in die Bemühungen um eine Deeskalation und Lösung der Konflikte in Syrien und anderen Ländern der Nahostregion ermöglicht. Dies ist für einen Erfolg unerlässlich.

Zweitens: In Washington, Paris, Berlin, Moskau und Beijing verstärkt sich die Einschätzung, dass der sogenannte Islamische Staat (IS) die grösste Bedrohung ist, seine erfolgreiche Bekämpfung ein gemeinsames politisches wie militärisches Handeln erfordert und Voraussetzung für eine Lösung des Syrienkonflikts ist. Die Regierung in Teheran ist schon lange dieser Ansicht. Inzwischen wird sie auch von den beiden anderen relevanten Regionalmächten Saudi-Arabien und Türkei geteilt – zumindest gemäss Regierungsbekundungen.

Drittens: Die vielen syrischen Flüchtlinge, die in den letzten Tagen und Wochen nach Europa gekommen sind, haben den Druck auf die Regierungen, sich um die Ursachen dieser Flüchtlingsbewegung zu kümmern, erheblich verstärkt.

Viertens: Der seit August 2014 amtierende dritte Syrienvermittler der Uno, Staffan De Mistura, hat in monatelangen Einzelgesprächen mit VertreterInnen der syrischen Regierung sowie fast aller syrischen Oppositionsgruppen eine grundsätzliche Verständigung über einen neuen, als «Genf 3» bezeichneten Verhandlungsprozess erreicht. Der Schweizer Aussenminister Didier Burkhalter hat dies am Dienstag bestätigt.

Ein Erfolg der neuen diplomatischen und militärischen Aktivitäten ist allerdings höchst ungewiss. Denn sie basieren auf Widersprüchen, Fehleinschätzungen und Illusionen. Zudem bleibt eine zentrale Frage ungelöst: Welche Rolle soll Syriens Präsident Baschar al-Assad künftig spielen? An dieser Frage waren auch schon die früheren Genfer Syrienkonferenzen vom Juni 2012 und Februar 2014 gescheitert.

Die Regierungen der USA und vieler EU-Staaten schwenken zwar langsam auf die Linie Russlands und des Iran ein, nach der die Regierung Assad zumindest vorläufig noch gebraucht wird, da sie weiterhin ein zentraler Akteur ist und weder für die Bekämpfung des IS noch für den innersyrischen Verhandlungsprozess im Rahmen von «Genf 3» ignoriert werden kann. Doch die meisten Oppositionsgruppen sind nicht zu Verhandlungen mit Assad bereit oder machen gar dessen Rücktritt zur Vorbedingung für ihre Teilnahme an «Genf 3». Sie weisen darauf hin, dass die Regierungsstreitkräfte nach wie vor mehr Menschen töten, verletzen oder in die Flucht treiben als der IS. Diese Einschätzung wird vom Uno-Menschenrechtsrat in Genf sowie von anderen unabhängigen BeobachterInnen bestätigt.

Selbst wenn es zu einer Einigung über die künftige Rolle Assads käme und «Genf 3» eine Vereinbarung zwischen der syrischen Regierung und den beteiligten Oppositionskräften bringen würde, bliebe ein zentrales Problem. Denn jegliche Vereinbarungen können durch zwei Akteure sabotiert werden, die vom Verhandlungsprozess ausgeschlossen sind: durch den IS, der rund die Hälfte Syriens kontrolliert, und durch die Al-Nusra-Front, den syrischen Ableger des Al-Kaida-Netzwerks.

An Luftangriffen gegen IS-Stellungen in Syrien beteiligen sich seit Anfang September auch Australien, Britannien und Frankreich. Gerechtfertigt wird dies mit angeblich von IS-KämpferInnen in Syrien geplanten Terroranschlägen in diesen drei Ländern. Bislang haben die Regierungen in Canberra, London und Paris aber keine Beweise für diese Behauptungen vorgelegt. Es liegt nahe, dass die drei Regierungen mit der Demonstration militärischer Handlungsbereitschaft von ihrer mangelnden Bereitschaft zur Aufnahme von mehr syrischen Flüchtlingen ablenken wollen.

Doch was immer die Motive für die Luftangriffe sind: Damit lässt sich der IS nicht erfolgreich bekämpfen. Das zeigt der bereits vierzehn Jahre währende, gescheiterte und kontraproduktive «Krieg gegen den Terrorismus», der fast ausschliesslich mit Luftbombardements und Drohnen geführt wird. Selbst der Einsatz von Bodentruppen böte keine Erfolgsgarantie in einem asymmetrischen Krieg, wie die Niederlagen der vorgeblich haushoch überlegenen Militärmächte Sowjetunion und Nato in Afghanistan sowie der USA im Irak gezeigt haben. Ohnehin ist zur Entsendung von Bodentruppen in den syrischen Bürgerkrieg – die etwa zur Durchsetzung von Schutzzonen für Flüchtlinge unerlässlich wären – niemand bereit.

Auch Russland nicht, dessen Rüstungslieferungen in die westsyrische Provinz Latakia und dessen Ausbautätigkeiten am dortigen Flughafen seit Tagen für allerhand Spekulationen sorgen. Tatsächlich plant Moskau weder einen Bodenkrieg gegen den IS noch die Verstärkung der syrischen Regierungsstreitkräfte durch russische Soldaten. Es geht darum, einen Zufluchtsort für die Assad-Familie in ihrer Heimatregion Latakia vorzubereiten – geschützt durch russische Truppen, die zugleich den Marinestützpunkt und einzigen russischen Zugang zum Mittelmeer in Tartus sichern.