Flüchtlinge: Der kurze Sommer der Nächstenliebe

Nr. 43 –

Die deutsche Regierung hat vergangene Woche die massivsten Asylrechtsverschärfungen seit 23 Jahren beschlossen.

Tausende HelferInnen, die heissen Tee reichen und Flüchtlingen applaudieren: Vor wenigen Wochen gingen diese Bilder aus Deutschland um die Welt, lobten internationale Medien den Spätsommer der Willkommenskultur. Inzwischen ist der Herbst angebrochen, die euphorischen Bilder sind grösstenteils verschwunden. Entgegen der Hoffnung mancher sind die Flüchtlinge indes immer noch da. Die Regierung tut sich schwer, einen Umgang mit der «Flüchtlingskrise» zu finden, wie ihr ideenloser Zickzackkurs der vergangenen Wochen vermuten lässt – und beschliesst Massnahmen, die kaum zu einer Entspannung der Lage beitragen dürften.

Schien die Willkommenspolitik zuletzt noch über alle Parteigrenzen hinweg – zumindest rhetorisch – Konsens zu sein, dominieren wieder Begriffe wie «Transitzonen» und «Grenzzäune» den Diskurs. Das Parlament segnete vergangene Woche einen Gesetzesentwurf ab, der das geltende Asylrecht deutlich verschärft. Derweil die Linksfraktion im Bundestag fast geschlossen gegen das Gesetz stimmte, nahmen Union und SPD den Entwurf fast ebenso geschlossen an. Auch im Bundesrat, der Vertretung der Bundesländer, stimmte eine Mehrheit mit Ja.

«Migrationspolitische Steinzeit»

Das neue «Asylbeschleunigungsgesetz» wird bereits am 1. November in Kraft treten. Neben dem schnelleren Zugang zu Sprachkursen und Arbeitsmarkt für AsylbewerberInnen mit Bleibeperspektive und mehr Geld für Gemeinden und Bundesländer enthält das Paket eine Reihe von Verschärfungen: Neu gelten Albanien, der Kosovo und Montenegro als «sichere Herkunftsstaaten». Können Asylsuchende aus diesen Ländern keine persönliche Verfolgung nachweisen, dürfen sie schneller ausgeschafft werden. Zudem können AsylbewerberInnen in Zukunft statt drei bis zu sechs Monate in Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht werden. In diesen Zentren soll es statt wie bisher Taschengeld nur noch Sachleistungen geben. Und wer keinen positiven Bescheid bekommt, erhält nur noch ein Lunchpaket und ein Billett für die Heimreise. Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl konstatiert entsprechend eine «Rückkehr in die migrationspolitische Steinzeit».

Ähnlich rückwärtsgewandt ist ein Vorschlag, den die Union eingebracht hat: An der deutschen Grenze sollen sogenannte Transitzonen entstehen, in denen die Chancen auf Asyl binnen kürzester Zeit geprüft werden. Eine ähnliche Regelung war im Zuge des «Asylkompromisses» von 1992 bereits für die Ankunft an Flughäfen eingeführt worden. Weil ein rechtsstaatliches Asylverfahren so kaum garantiert werden kann, ist diese Regelung bis heute umstritten. Nun könnten auch an den Binnengrenzen Aufnahmezentren im Niemandsland entstehen.

Kuhhandel am Bosporus

War Kanzlerin Angela Merkel zu Beginn skeptisch, schwenkte sie zuletzt um: «Wir erleben eine aussergewöhnliche Zeit, in der zeitweise auch ein aussergewöhnliches Mittel hilfreich sein kann», sagte sie gegenüber der FAZ. Wie realitätsfern die Idee ist, fasst Pro Asyl zusammen: «Denkt man den Vorschlag konsequent zu Ende, dann müsste an der deutschen Grenze ein meterhoher Zaun nach ungarischem Vorbild errichtet werden», schreibt die Organisation. Und die SPD lehnt die Massnahme ab und spricht von «Internierungslagern».

So stark eingeschränkt wurde das Asylrecht zuletzt vor 23 Jahren. Damals hatten FremdenfeindInnen wochenlang in mehreren Städten randaliert. Bezug auf die hohen Flüchtlingszahlen nehmend, sprach Kanzler Helmut Kohl von einem «Staatsnotstand» – und schränkte das Grundrecht auf Asyl ein. Heute bedient sich CSU-Chef Horst Seehofer eines ähnlichen Vokabulars und droht mit «Notwehr» gegen die seiner Ansicht nach zu wohlwollende Flüchtlingspolitik der Kanzlerin. Seehofers alarmistische Rhetorik und der gleichzeitig sinkende Rückhalt für Merkels flüchtlingsfreundlichen Kurs innerhalb der CDU zwingen die Kanzlerin zum Einlenken (vgl. «Wenn der Hass an den Salon klopft» ).

Dass ihr der Spagat zwischen Aufnahme und Abschottung nicht recht gelingen will, zeigt auch ein Deal, der vergangene Woche am Bosporus geschlossen wurde: Die Türkei soll der EU verstärkt dabei helfen, Flüchtlinge fernzuhalten. Im Gegenzug hat Merkel dem Präsidenten Recep Tayyip Erdogan finanzielle Hilfe und Visaerleichterungen zugesichert.