Fussball und andere Randsportarten: Der dritte Mann
Etrit Hasler über den Unbekannten auf dem berühmten Olympiabild von 1968
Es ist eines der bekanntesten Bilder der Sportgeschichte: zwei schwarze US-Amerikaner ohne Schuhe auf dem olympischen Podest, ihre Hände zur Faust erhoben, ihre Köpfe gesenkt. Dies war 1968 an den Olympischen Spielen in Mexiko-Stadt, und es lief «The Star-Spangled Banner» für einen der beiden, Tommie Smith, der gerade den Weltrekord in 200 Meter Sprint gebrochen hatte. Es war das Jahr, in dem Martin Luther King erschossen wurde. Die USA wurden zerrissen von Protesten der schwarzen Bürgerrechtsbewegung und Antikriegsdemonstrationen, und das weisse Bürgertum witterte das Schreckgespenst der Black Panthers an jeder Häuserecke in den Armenvierteln der Grossstädte.
Die Reaktion war entsprechend. Die beiden Athleten Tommie Smith und John Carlos wurden im Stadion ausgebuht, IOK-Präsident Avery Brundage (der sich 1936 gegen einen Boykott der Nazispiele in München gewehrt hatte) zeigte sich empört über diese «Politisierung» der Spiele und zwang das US-Team, die beiden Athleten von künftigen Spielen auszuschliessen. Ihre Sprinterkarrieren waren beendet. Da half es auch nichts, dass Smith und Carlos mehrfach betonten, ihr symbolischer Gruss hätte nicht den Black Panthers gegolten, sondern dem Olympic Project for Human Rights (OPHR), einer Organisation, die unter anderem den Ausschluss von Apartheidstaaten wie Südafrika und Rhodesien aus dem IOK forderte.
Der dritte Mann auf dem Bild, Peter Norman, geht gern vergessen – natürlich, er hatte die Faust nicht zum Gruss erhoben, und er war ein weisser Australier. Doch auch Norman trug einen Button des OPHR (den er sich von einem Mitglied des US-Ruderteams geliehen hatte). Carlos und Smith hatten ihm von der Aktion erzählt, mehr um ihn vor den Reaktionen zu warnen – doch zu ihrer Überraschung hatte er sofort geantwortet: «Ich werde mit euch stehen.»
Norman war überzeugter Christ, Soldat der Heilsarmee und vehementer Gegner der rassistischen Politik des australischen Staats, der zu dieser Zeit immer noch Aborigines-Familien ihre Kinder wegnahm. Anstatt sich den medialen Spekulationen zu beugen, er habe sich von seinen beiden Mitsprintern beeinflussen lassen, sagte er: «Ich glaube, dass jeder Mensch gleich geboren ist und so behandelt werden sollte.»
Und so erging es ihm denn in der Heimat auch nicht besser als Smith und Carlos. Er wurde vom australischen Komitee für die nächsten Olympischen Spiele aussortiert und wechselte zum Australian Rules Football. Nach einem Trainingsunfall erlitt er Wundbrand und verlor beinahe ein Bein – angeblich wurde die Amputation nur verhindert, weil ein behandelnder Arzt sich weigerte, das Bein eines olympischen Athleten abzuschneiden. Norman wurde depressiv, medikamentensüchtig und begann zu trinken.
Im Unterschied zu Smith und Carlos, die heute in den USA gewürdigt werden, blieben ihm späte Ehrungen verwehrt. Wobei er seine Rolle an der Aktion auch häufig herunterspielte. Als in San José 2005 eine Nachbildung des berühmten Podests aufgestellt wurde, inklusive Statuen von Smith und Carlos, bat er, dass sein Platz leer bleiben möge. Er habe sie unterstützt, mit Leib und Seele, sagte er seinem alten Freund Carlos. Doch er habe nicht dasselbe geleistet. Wenn sein Platz leer bleibe, könne jede Person sich an seine Position stellen – als Zeichen der Solidarität, wie er es damals getan habe.
Als die Olympischen Spiele 2006 nach Australien kamen, wurde Peter Norman als Einziger der noch lebenden australischen Medaillengewinner nicht zur Eröffnungszeremonie eingeladen. Er starb im Oktober desselben Jahres an einem Herzinfarkt. An der Beerdigung trugen John Carlos und Tommie Smith seinen Sarg. Erst 2012 verabschiedete das australische Nationalparlament eine Entschuldigung, in der es Peter Normans athletische Leistungen und seinen Mut würdigte.
Etrit Hasler dankt dem Luzerner Musiker Mauro Guarise für den Hinweis auf diese vergessene Geschichte des Sports.