Hymnenprotest: Die offenen Rechnungen des Präsidenten
Mit seinen abfälligen Bemerkungen über die Nationalhymnenproteste in den US-Profiligen hat Donald Trump den SportlerInnen die grösstmögliche Plattform verschafft. Gleichzeitig lenkt er damit von den Ermittlungen gegen sein Umfeld ab.
Es war eine flapsige Bemerkung – so wie die meisten jener Sätze, die der US-Präsident formuliert, wenn er von seinem Skript abweicht. Die Worte fielen gegen Ende einer «Strange Rally» am 22. September in Huntsville, Alabama. Strange, also seltsam, war der Auftritt, weil Trump zur Unterstützung von Luther Strange III gekommen war, der sich um die Nachfolge von Jeff Sessions als Senator von Alabama bewirbt, und weil es mit den üblichen Gepflogenheiten bricht, wenn sich der amtierende Präsident in einen vorläufig noch parteiinternen Wahlkampf einmischt. Und auch weil Trump über diesen Kandidaten in seiner insgesamt achtzigminütigen Rede nichts zu sagen wusste, ausser dass er «ein guter Patriot» sei und dass er ihn «Big Luther» nenne – weil er so gross gewachsen sei, dass er eigentlich Basketball spielen müsste.
Ansonsten plapperte Donald Trump vor sich hin, wie man es von seinen Tweets kennt: über den «Little Rocket Man» in Nordkorea, Hillary Clinton (wozu das Publikum wie eingeübt «Lock her up» skandierte), die Mauer, die «es geben wird – glaubt mir, es wird sie geben», und dann nahm er sich aus dem Nichts ein anderes Thema vor, das ihm seit längerem am Herzen liegt: Football. «Würdet ihr nicht gern zusehen, wie einer dieser NFL-Besitzer, wenn wieder ein Spieler unserer Flagge den Respekt verweigert, sagen würde: ‹Nehmt den Hurensohn sofort vom Feld, er ist gefeuert! Er ist gefeuert!›» Und fügte nach einer kurzen Tirade über die Verweichlichung der modernen Footballspieler hinzu: «Aber wisst ihr, was dem Spiel noch mehr schadet? Wenn Leute wie ihr den Fernseher einschalten und zusehen müssen, wie sich diese Leute hinknien, während unsere grossartige Nationalhymne läuft.»
Im Visier: Colin Kaepernick
Trump bezog sich mit seinen Tiraden auf die sogenannten Nationalhymnenproteste, die seit dem vergangenen Jahr in diversen Sportarten, aber vor allem in der Footballliga NFL laufen: Damit begonnen hatte der damalige Quarterback der San Francisco 49ers, Colin Kaepernick, als er letzten August beim Einspielen der Nationalhymne vor einem Testspiel demonstrativ sitzen blieb. Er wolle damit seine Solidarität mit der Black-Lives-Matter-Bewegung zeigen, erklärte er später: «Ich werde nicht aufstehen und Stolz zeigen für eine Flagge oder ein Land, das schwarze und farbige Menschen unterdrückt.»
Die Aktion erregte grosses Aufsehen – innert kürzester Zeit tobte in den USA eine Debatte darüber, ob es Kaepernick am nötigen Respekt mangle oder ob er nur die in den USA viel beschworene Redefreiheit ausübe. In den sozialen Medien wurde er beschimpft von Menschen, die fanden, er missbrauche den Sport und beleidige die Polizei und die US-Truppen, was wiederum von PolizistInnen und SoldatInnen bestritten wurde mit Sätzen wie: «Ich diene, um eure Freiheiten zu beschützen, nicht ein Lied.»
Eine «dumme» Aktion?
Die Debatte verlief teilweise konfus: Befürworter und Gegnerinnen verglichen Kaepernick mit Tommie Smith und John Carlos, die bei den Olympischen Spielen 1968 die Faust zum Black-Power-Gruss erhoben hatten. Und ausgerechnet die als äusserst links geltende Bundesrichterin Ruth Bader Ginsburg bezeichnete den Protest als «dumm».
Trotzdem setzte Kaepernick diesen fort – und begann damit, sich während der Hymne hinzuknien, anstatt sitzen zu bleiben. Mit jeder Woche, mit jedem weiteren Opfer von Polizeigewalt in den USA schlossen sich mehr Spieler seinem Beispiel an – erst Teamgefährten, dann Profis anderer Mannschaften, erst nur schwarze Spieler, plötzlich auch weisse und SpielerInnen anderer Sportarten wie die Fussballerin Megan Rapinoe. Der NFL und ihrem Kommissär Roger Goodell war sichtlich unwohl bei der Sache, insbesondere als republikanische Kreise zum Boykott der Liga aufriefen und die Einschaltquoten zu sinken begannen, doch Goodell äusserte sich nicht öffentlich. Ob es aufgrund von Druck aus der Liga war oder nicht, ist Spekulation, jedenfalls verlor Kaepernick Ende Saison seinen Vertrag bei den 49ers und wurde von keiner anderen Mannschaft mehr angestellt – was eine weitere Ausweitung der Proteste zur Folge hatte.
Dennoch bewegten sich diese in einem noch überschaubaren Rahmen. Ein paar Dutzend Spieler in den gesamten USA. Bis zu jenem 22. September und Trumps Bemerkung. Am darauffolgenden Wochenende knieten sich ganze Mannschaften hin oder blieben aus Protest während der Nationalhymne in den Kabinen, nicht nur in der Footballliga, sondern auch im Basketball. Selbst im durch und durch von Weissen dominierten Baseball schloss sich ein Spieler an. Insgesamt waren es über 150 Profis, die an diesem Wochenende protestierten.
Selbst Teambesitzer wie John Mara, der noch im letzten Jahr gesagt hatte, dass «viele unserer Fans an kein Spiel mehr kommen würden, wenn auch nur einer meiner Spieler sich weigerte, zur Hymne zu stehen», verteidigten die Aktion plötzlich: «Wir sind stolz auf unsere Spieler, von denen die Mehrheit ihre NFL-Plattform nutzt, um eine positive Veränderung in unserer Gesellschaft zu erwirken.» Und sogar Kommissär Goodell verurteile Trumps Bemerkungen als «spalterisch» und mit Trumps eigenen Worten als «respektlos». Eine Einschätzung, der sich sogar der selbsterklärte «gute Freund» Trumps, der Quarterback und patriotische Posterboy Tom Brady, anschloss.
Der «Guardian» schrieb: «Kaepernick hat gewonnen – er wollte eine Diskussion, und Trump hat sie ihm gegeben.» Seit jenem Wochenende kommt niemand mehr an den Protesten vorbei. Womit Trump aber auch ein weiteres Mal die öffentliche Diskussion von den Machenschaften seines persönlichen Umfelds in Verbindung mit Russland abgelenkt hat.
Drei Dollar Schadenersatz
Doch Trumps Tirade gegen Football hat noch einen weiteren, viel kleinlicheren Grund: Vor 1984 übernahm Trump ein Team in der USFL, einer Liga, die sich als Alternative zur NFL etablieren wollte – und innert kürzester Zeit kläglich scheiterte. Am bekanntesten wurde sie, als die Teambesitzer (darunter auch Trump) die NFL wegen Verstoss gegen das Monopolverbot verklagten. Das Gericht befand zwar tatsächlich, dass die NFL ein Quasimonopol errichtet habe, erklärte aber auch, dass die Probleme der USFL hauptsächlich auf ihre eigene Misswirtschaft zurückzuführen seien – und sprach ihr einen lächerlichen Schadenersatz in Höhe von drei Dollar zu.
Das war eine Niederlage, die Trump nie mehr losliess: 2014 versuchte er, für eine Milliarde US-Dollar die Buffalo Bills zu kaufen, eine der erfolglosesten Mannschaften in der Geschichte der NFL (vier Superbowl-Niederlagen in Folge und das einzige Team, das sich im 21. Jahrhundert noch nie für die Playoffs qualifizierte). Auch damit scheiterte er – US-Medien vermuteten, dass die Teambesitzer dies aus persönlicher Abneigung gegen Trump verhinderten. Nach dieser Niederlage suchte sich Trump eine neue Beschäftigung – und wurde schliesslich Präsident.