Proteste in Südafrika: Und über allem steht die Korruption

Nr. 44 –

Seit dem Ende der Apartheid haben nicht mehr so viele Studierende demonstriert wie in den letzten Tagen. Vordergründig richten sich die Kundgebung gegen eine geplante Erhöhung der Studiengebühren. Tatsächlich geht es aber um viel mehr.

2000 bis 4000 Franken kostet in Südafrika ein Studienplatz pro Jahr. Das ist mehr, als eine durchschnittlich verdienende Familie aus einer Township aufbringen kann. Doch die Bildungsinstitutionen weisen darauf hin, dass die Zuschüsse aus der Staatskasse und die bisherigen Studiengebühren nicht mehr genügen, um die Ausgaben zu decken. Würden aber die Gebühren, wie es unter anderen die Witwatersrand-Universität (Wits) in Johannesburg angekündigt hat, um über zehn Prozent angehoben, müssten viele bereits immatrikulierte Studierende die Hochschule verlassen. 2015 seien 3000 qualifizierte StudiumsanwärterInnen an der Wits nicht aufgenommen worden, weil sie die Beiträge nicht hätten bezahlen können, sagt der Soziologe David Dickinson. «So werden aus unseren Universitäten de facto private Institutionen.» Für die Reichen gebe es gute Bildung, für die Armen ungenügende, erklärt der Wits-Professor. «Das spaltet die südafrikanische Bevölkerung noch mehr.»

Viele Schwarze haben kaum die Möglichkeit, der Armutsspirale zu entkommen. Gründe dafür gibt es viele: Hauptursächlich ist wohl, dass einerseits die Schulen in benachteiligten, meist ausschliesslich von Schwarzen bewohnten Gebieten noch immer viel schlechter sind als in privilegierten Gegenden. Andererseits bleibt vielen Schwarzen der Zugang zu höherer Bildung aus finanziellen Gründen verwehrt. Somit haben sie kaum die Chance, später einen Job zu erlangen, der ihnen den Aufstieg in die Mittelschicht erlauben würde.

Immer mehr «schwarze Schulden»

Immer noch lebt fast die Hälfte der Bevölkerung in Armut. Weisse Studierende sind im Post-Apartheid-Südafrika hingegen immer noch wirtschaftlich besser gestellt, weil sie sich auf die finanzielle Unterstützung ihrer Eltern verlassen können. Immerhin zählt sich heute ein Fünftel der erwachsenen Schwarzen zur Mittelschicht, aus der auch die meisten Studierenden stammen. Doch auch von ihnen sind viele gezwungen, für die Studiengebühren einen Kredit aufzunehmen, und oft brauchen sie Jahrzehnte, bis diese «schwarzen Schulden» abbezahlt sind.

«Mit Bildung die Armut bekämpfen!»: Das hatte Nelson Mandela zeitlebens gefordert. Seine heute regierenden damaligen Parteifreunde interessieren sich kaum mehr für solche Ziele. Die Forderung «Bildung für alle!», die Staatspräsident Jacob Zuma noch vor seiner Wiederwahl im Mai 2014 hochgehalten hatte, scheint vergessen. Die Ankündigung der Bildungsinstitute Mitte Oktober, die Beiträge zu erhöhen, hat nun das Fass zum Überlaufen gebracht: Ausgehend von der Wits, reagierten Tausende Studierende im ganzen Land – flankiert von solidarischen KommilitonInnen und anderen SympathisantInnen – mit Demonstrationszügen und Sitzblockaden auf die Versäumnisse der Politik. Die Polizei konterte mit Tränengas und Festnahmen. Als Hunderte StudentInnen die Sperren auf dem Gelände des Parlaments in Kapstadt durchbrachen, wurden sie von der Polizei mit Blendgranaten und Gummigeschossen zurückgedrängt. Als einige den Parlamentssaal zu stürmen versuchten, wo Finanzminister Nhlanhla Nene gerade düstere Aussichten für die südafrikanische Wirtschaft prognostizierte, solidarisierten sich Delegierte der linken Partei Kämpfer für wirtschaftliche Freiheit von Julius Malema mit den Studierenden. Sie griffen deren Sprechchöre auf und verlangten, dass das Thema Studienkosten auf die Tagesordnung gesetzt werde.

Gegen den politischen Filz

Doch die Abschaffung der Gebühren ist nur das vordergründige Ziel der StudentInnen. Ungleiche wirtschaftliche Verhältnisse und Rassismus, Arbeitslosigkeit und Armut sind die erklärten Kernthemen der Demonstrierenden. Und über allem stehen die Korruption und das Scheitern der Post-Apartheid-Regierungen, die seit zwanzig Jahren das Land führen. In Südafrikas Platingürtel nordwestlich von Johannesburg kommt es fast täglich zu Demonstrationen (siehe WOZ Nr. 6/2015 ). Und in den grossen Städten protestieren seit Monaten regelmässig Tausende gegen den politischen Filz. «Die Apartheid hat uns die Vergangenheit gestohlen, die Korruption nimmt uns die Zukunft» hiess es etwa auf den Spruchbändern an einer Kundgebung Ende September in Kapstadt. Oder: «Unsere Eltern haben die Rassentrennung bekämpft, jetzt wehren wir uns gegen die Korruption».

Der Widerstand der Studierenden hat etwas bewirkt: Jacob Zuma versprach, sich mit Themen wie Gebührenverordnungen, Rassismus und «schwarzen Schulden» zu befassen. Und er kündigte an, die Studiengebühren vorerst nicht zu erhöhen. Dass der Präsident seinen Ruf und denjenigen des regierenden African National Congress (ANC) mit diesem Versprechen retten kann, ist unwahrscheinlich. Zum ersten Mal werden die einstigen FreiheitskämpferInnen an Nelson Mandelas Seite in Bedrängnis gebracht – und von JungwählerInnen auch aus den eigenen Reihen für ihre verschiedenen Versäumnisse zur Rechenschaft gezogen. Die Proteste gehen deshalb auch nach Zumas Beteuerung weiter.

Den Druck der StudentInnen zu unterschätzen, wäre politisch unklug. Der ANC muss nun rasch zeigen, dass er sich für die Bevölkerung einsetzt. Denn nächstes Jahr sind Regionalwahlen. Und der politischen Elite weht derzeit von vielen Seiten ein eisiger Wind entgegen.