Durch den Monat mit John Mbiti (Teil 2): Wollten Sie nie in die Politik einsteigen?
Wie die Eltern von John Mbiti im ländlichen Kenia reagierten, als er 1965 eine Schweizerin heiratete, wie er den Diktator Idi Amin erlebte und warum die Kirche nicht unpolitisch sein kann.

WOZ: Herr Mbiti, Sie sind seit fünfzig Jahren mit einer Schweizerin verheiratet. Wie haben Sie Ihre Frau kennengelernt?
John Mbiti: 1960 erhielt ich von einer amerikanischen Kirche ein Stipendium für ein weiterführendes Theologiestudium in Cambridge. Verena war dort Sprachstudentin und verdiente sich ihren Lebensunterhalt als Hausangestellte in einem Studentenheim. Das war im Oktober 1960. Sie kehrte in die Schweiz zurück, und wir schrieben uns Briefe. Einmal trafen wir uns in Genf, spazierten am See. Ich kehrte nach Uganda zurück, und der Briefkontakt wurde intensiver. Also beschlossen wir zu heiraten. Ich reiste in die Schweiz, und wir wurden im Mai 1965 in der Markuskirche in Bern getraut.
Wie haben Ihre Familien reagiert?
Wir kommen beide aus religiösen Familien. Sie sagten, dass sie unsere Ehe in die Hände Gottes legen. Das hat uns beruhigt. Ich wurde in Vrenis und sie in meiner Familie liebevoll aufgenommen. Nur einige Missionare in Kenia waren dagegen. Bis zur Unabhängigkeit 1963 war die Heirat zwischen Afrikanern und Europäern in Kenia verboten. Aber zwei Jahre später konnte uns niemand mehr etwas anhaben.
Und was meinte Ihre Familie in Kenia dazu, dass Sie eine Europäerin ehelichen?
Alle waren froh, dass ich endlich heirate, denn ich war über dreissig Jahre alt. Meine Eltern nahmen Vreni sofort als ihre Tochter auf. Wir feierten in Kenia ein zweites Fest. Die Leute nannten sie «mutanu», das heisst auf Kiikamba «die Fröhliche». Das war das erste Mal, dass Vreni in Afrika war. Alles ging gut.
Haben Sie und Ihre Frau in den vielen Jahren Rassismus erlebt?
Nein, offenen Rassismus haben wir als Ehepaar nie erlebt.
Und Ihre vier Kinder?
Ach, wissen Sie, die Hautfarbe ist bei uns eigentlich gar nie ein Thema.
Nach der Hochzeit sind Sie zusammen an die Makerere-Universität in Uganda gegangen. Das muss für Ihre Frau, die in einem Käsereibetrieb in Blumenstein bei Thun aufgewachsen ist, eine grosse Lebensumstellung gewesen sein.
Sie hat sich in Uganda wohlgefühlt, hat Englisch und Soziologie studiert. Dann kamen unsere ersten beiden Kinder zur Welt. Wir lebten auf dem Campus mit Menschen aus verschiedenen Ländern. Es war eine schöne Zeit.
An der Makerere-Universität wurde damals die ganze politische Elite Ostafrikas ausgebildet.
Ja, es war damals die einzige Universität in Ostafrika. Unser Sohn ging zum Beispiel mit den Kindern des ugandischen Diktators Idi Amin zur Schule. Von den grossen englischsprachigen afrikanischen Staatsmännern jener Zeit hat wohl nur Jomo Kenyatta nicht dort studiert.
Wollten Sie nie in die Politik einsteigen?
Nein. Obschon ich mit meiner Ausbildung gut Politiker hätte werden können: Damals gab es wenige entsprechend gut ausgebildete Afrikaner. Natürlich war ich für die Unabhängigkeit, obschon dies während der Kolonialherrschaft nicht unproblematisch war: Einige meiner Kollegen wurden verhaftet. Aber ich war immer schon mehr soziokulturell und an theologischen als an politischen Fragen interessiert.
Waren Sie von Idi Amins Hetze gegen Intellektuelle nicht betroffen?
Oh doch! Der Rektor und einige Dozenten wurden umgebracht. Wir zogen für einen Studienurlaub nach New York. Als wir nach einem Jahr zurück nach Uganda kamen, hatte sich die Lage nochmals verschlimmert; alle Ausländer mussten fliehen. Da mir die Stelle als Direktor des Ökumenischen Instituts in Bossey bei Genf angeboten wurde, verliessen wir Uganda 1974 und zogen ins Welschland.
Würden Sie das Engagement des Ökumenischen Rats der Kirchen, der seinen Sitz in Bossey hat, nicht als politisch bezeichnen? Schliesslich hat er während des Kalten Kriegs stets versucht, die West- und die Ostkirchen zu verbinden.
Wir hatten Studierende aus Osteuropa und sogar aus Nordkorea in Bossey. Aber wir mussten vorsichtig sein, wenn politische Fragen aufkamen, damit die Studenten nicht gefährdet waren, wenn sie in ihre Länder zurückkehrten. Offene politische Debatten gab es in Bossey kaum – ausser wenn es um Friedensfragen ging.
Sollte Ihrer Ansicht nach die Kirche politisch Stellung beziehen?
Da die Kirche Teil der Gesellschaft ist, kann sie gar nicht unpolitisch sein. Ihre Mitglieder können sich als Christen politisch engagieren. Aber die Kirche als Institution sollte sich aus der Politik heraushalten. Sie muss offiziell unabhängig und so neutral wie möglich sein.
Ihre Frau unterrichtet Sans-Papiers in Deutsch. Ist das kein politisches Engagement?
Nein, das ist ein soziales, ein humanitäres Engagement. Die Diakonie ist in der Kirche ganz zentral. Sie ist unweigerlich mit dem christlichen Gedanken der Nächstenliebe verbunden. Meine Frau hat sich stets sozial und kirchlich engagiert. Früher war sie aber in Burgdorf auch politisch engagiert: Sie war Stadträtin für die Grünen.
John Mbiti (84) ist auf einem Bauernhof in Kenia aufgewachsen und lebt seit 1974 im Welschland und im Kanton Bern. Er war einer der ersten afrikanischen Pfarrer in der Schweiz.