Nach Köln: «Wäre der Araber weg, blieben uns noch die restlichen neunzig Prozent junger männlicher Straftäter, mit ziemlich ähnlichem Verständnis von der Ehre der Frau.»

Nr. 2 –

Deutschland bekämpft wieder jemanden: Männer, die Frauen belästigen. Die kann der Deutsche nicht ausstehen. Da kennt er keine Parteien mehr. Der deutsche Bundesrichter Thomas Fischer rückt die Kategorien zurecht.

Heute scheint mir ein kleiner Zwischenruf zum Thema «Sexmob» («Bild») dringend erforderlich. Das ist, wie uns mitgeteilt wird, ein nordafrikanisch oder sogar arabisch aussehendes Pack, das unsere Städte verunreinigt und unsere Frauen belästigt. Wir wollen jetzt einmal dahinstehen lassen, verehrte Kenner des Diercke-Weltatlas und Freunde des Maghreb, wo Ihrer Ansicht nach die Grenze zwischen Arabien und Nordafrika verläuft. Köln, Frankfurt und Hamburg zählen aber, da haben Sie recht, allenfalls zum sekundären Siedlungsgebiet jener Stämme. Deutschland hat sich bereits mit seiner ganzen Geisteskraft daran gemacht, die Sache zu klären. Schon ist der Kölner Polizeipräsident im Orkus verschwunden. Da wird ein kleines Untersuchungsausschüsschen nicht mehr lange auf sich warten lassen. 2017 sind Landtagswahlen.

Der Kreis der Mobbekämpfung

Unser Herr Bundesjustizminister Heiko Maas hat darauf hingewiesen, es habe sich beim Phänomen Sexmob – oder, in seinen Worten, bei den «Horden» von Köln – um eine «neue Form organisierter Kriminalität» gehandelt. Da wir im Interesse des Koalitionsfriedens nicht hoffen wollen, dass der Minister eine Regierungspartei im Verdacht hat, an dieser Organisation beteiligt gewesen zu sein, darf man dies wohl als innovativen Beitrag zur Kriminologie verstehen. Bisher dachten wir, «Organisation» sei irgendetwas anderes als die zufällige Zusammenballung eines Haufens Besoffener, lassen uns allerdings gern belehren.

Wissenschaft, Kriminalbürokratie und Juristen rudern ein bisschen zurück: Es sei «denkbar», dass die am Hauptbahnhof Köln seit jeher tätigen organisierten Banden von Taschendieben sich am Silvesterabend auch irgendwie zwischen Hauptbahnhof und Dom befunden hätten. In der Tat, das wäre denkbar. Wäre ich Taschendieb von Beruf, ich wäre jedenfalls dort gewesen: Mehr unbeschwerte Opfer auf einem Haufen gibts sonst nur am Rosenmontag.

Bleibt die Frage: Wer sind die organisierten Taschendiebe, die dort seit langem tätig sind? Warum erfahren wir erst jetzt von ihnen? Lebenspraxis: Der Kolumnist ging vor Silvester 2015 samt Rollkoffer abends um 21 Uhr vom Hauptbahnhof über die Domplatte. Gerade noch rettete er sich in den Hoteleingang vor zwei Verfolgern, die man als «aggressive Bettler» oder «unorganisierte Rauschgiftsüchtige» bezeichnen könnte. Die Herren waren eindeutig weder arabisch noch nordafrikanisch, sondern einheimische Freunde des Heroins. Das war das dritte Mal in zwei Jahren. Kein Innenminister weit und breit.

Unsere Bundeskanzlerin hat am 7. Januar gesagt, sie überdenke die Ausweisungspraxis. Die «Süddeutsche» schreibt, Frau Merkel wolle uns damit sagen: Ich kann auch anders! Und «Zeit Online» fügt hinzu, damit stehe eine «Zeitenwende» bevor. Da fürchtet sich der fremde Mob, wenn die Bundeskanzlerin ihre Praxis überdenkt. Von ferne winkt das Grundgesetz: Leben wir, ohne es bemerkt zu haben, inzwischen in einer Präsidialdemokratie?

Nun gut, die Sache ist noch nicht zu Ende gedacht. Zum Beweis vorerst, live aus dem Denkprozess, ein Kanzlervideo: «Es ist richtig und gut, dass es jetzt sehr, sehr viele Anzeigen gibt», sagt unsere Bundeskanzlerin. Ein schöner Satz, der freilich zwei Auslegungsvarianten zulässt. Niemand wird der Sprecherin ernsthaft unterstellen, sie freue sich darüber, dass es sehr, sehr viele Straftaten gegeben habe. Deshalb bleibt nur diese Variante: Es gab sehr, sehr viele Straftaten, und richtig und gut ist, dass diese nun angezeigt werden. Ich hörte allerdings die Kanzlerin noch nie sagen, es sei wichtig und gut, dass es sehr, sehr viele Anzeigen wegen Tankstellenüberfällen gibt.

Woher weiss die Bundeskanzlerin, dass es sehr, sehr viele Straftaten gegeben hat? Ich an ihrer Stelle würde sagen: Das weiss ich aus den sehr, sehr vielen Strafanzeigen. So schliesst sich der Kreis der Mobbekämpfung, freilich auch der sinnlosen Beweiswürdigung. Dass man das «richtig und gut» findet, ist entweder ziemlich crazy oder eine üble Verdrehung. Der einzig rationale Blickwinkel, aus dem die vielen Anzeigen «richtig und gut» sind, ist das Interesse der CDU/CSU an einer Zeitenwende in der Ausländerpolitik.

Ganz grosse Verschwörung!

Es gibt, liebe Leserinnen und Leser, nach der Erkenntnis der Bundeskanzlerin «Fragen, die über Köln hinausgehen: Gibt es gemeinsame Verbindungen? Gibt es in Teilen von Gruppen so was wie Frauenverachtung?» Denn: «Wir müssen dem mit aller Entschiedenheit entgegentreten.»

Ja, das ist gut gefragt und tief geschürft: Gibt es in Teilen von Gruppen so was wie Frauenverachtung? Wir fragen zurück: Was sind «Teile von Gruppen»? Sind es einzelne Menschen? Gibt es Frauenverachtung in Menschen? Oder sind es Teilgruppen? Hat man jemals davon gehört, dass es in Teilgruppen von Gruppen oder Gruppen von Teilen oder Teilgruppen von Teilgruppen so was wie Frauenverachtung, Männerverachtung, Araberverachtung, Schwulenverachtung, Türkenverachtung, Kopftuchmädchenverachtung oder sonstige Verachtung gegeben habe? Schwierige Frage! Gut, dass sie einmal ausgesprochen wurde! So was wird ja sonst meist verschwiegen und ist ein Tabu.

Die Frage, ob es, über Köln hinaus, «gemeinsame Verbindungen» gibt, ist fast noch scharfsinniger. Ganz grosse Verschwörung!

Apropos Tabu: Man las am 7. Januar, es sei nicht ausgeschlossen, dass sich unter den Tätern auch Flüchtlinge befunden haben. Am 8. Januar lasen wir, die Straftäter hätten ausschliesslich Asylantragspapiere vorweisen können und sich – das nenne ich zügige Integration! – in perfektem Deutsch mit folgenden Worten höhnend an Polizeibeamte gewandt: «Ich bin Syrer. Ihr müsst freundlich zu mir sein. Frau Merkel hat mich eingeladen!»

Ja, liebe Leser, genau so wird es gewesen sein, daran kann man keinen Zweifel haben, denn es steht ja im Einsatzbericht. Da geht dem Pegidisten das Klappmesser in der Tasche auf! Ob es sich bei dem zitierten Syrer um einen Straftäter handelte, war bis zum Redaktionsschluss leider noch nicht geklärt. Ganz gewiss werden wir das aber noch erfahren. Denn es ist nicht vorstellbar, dass ein solcherart angesprochener Polizeibeamter mit Fachhochschulausbildung einen dringend Straftatverdächtigen nicht festgenommen hat, der ihm das sagte. Oder war der des Gutmenschendeutsch mächtige Syrer am Ende gar nicht verdächtig?

Am 9. Januar lasen wir, von 31 Tatverdächtigen seien 18 Asylbewerber gewesen. Diesen 18 Personen würden allerdings keine Sexualdelikte zur Last gelegt. Gleichwohl analysierte das Feuilleton der FAZ am selben Tag, die Berichterstattung jener Medien, die sich gegen eine Identifizierung der Tatverdächtigen mit «Flüchtlingen» wende, sei «das Gegenteil von Journalismus». Am 11. Januar meldete die «Süddeutsche», es lägen über 500 Anzeigen vor, gegen 20 (!) Verdächtige werde ermittelt.

Allgemeine Ansicht: Es müsse im Umgang mit Ausländerkriminalität endlich Ehrlichkeit her. Der Kolumnist unterstützt das ausdrücklich. Eine aufgeklärte Gesellschaft kann nicht hinnehmen, dass Jahr um Jahr wider jede Evidenz behauptet wird, man wisse leider immer noch nicht, ob der internationale Leistungssport aus kriminell organisierten Kartellen bestehe, man habe leider noch nicht herausfinden können, welche ausländischen Mitarbeiter der Deutschen Bank dem deutschen Rentner in spe ein Drittel seiner Altersvorsorge unter dem Sofakissen weggezogen haben, und es sei völlig ungeklärt, ob der ausländische Pharmakonzern Pfizer das ihm hierzulande gewährte Gastrecht dazu missbraucht habe, 100 000 deutsche Ärzte zu bestechen, 250 Krankenkassen zu betrügen und fünf Millionen deutsche Frauen an ihrer Gesundheit zu beschädigen.

Deshalb kann man den Führern unserer grossen deutschen Parteien einfach nur recht geben: Schluss mit der politisch motivierten Schonung von Ausländern! Knallharte Verfolgung nordamerikanischer Verbrecher, die das Gastrecht in Ramstein missbrauchen! Konsequente Ermittlung gegen ausländische Täter, die gegen Recht und Gesetz die Telekommunikation deutscher Frauen abhören! Sofortige Entlassung der Innen- und Justizminister, die es aus politischer Opportunität unterlassen haben, mit der ganzen Härte des Rechtsstaats gegen die Taten von Ausländern einzuschreiten, die von deutschem Boden aus menschenrechtswidrige Entführungen oder Folterungen organisierten, anordneten oder durchführten!

«Ich sage: Null Toleranz gegenüber kriminellen Ausländern!», sprach Sigmar Gabriel. «Es geht darum, alle Möglichkeiten des internationalen Rechts auszuloten, um kriminelle Ausländer in ihre Heimat zurückzuschicken.» Besser, liebe Leser, kann man das gar nicht sagen. Da kann selbst die sogenannte FDP, unser waches Auge des Rechtsstaats, nicht mithalten: «Köln darf nicht für unangemessenes Verhalten missbraucht werden», sprach ihre Vertreterin. Wann kommt der Gesetzentwurf zur Strafbarkeit des «Missbrauchs von Städten»?

Alles extrem satirisch

Die Menge war «tausendköpfig», meldete in der ersten Freude des Superlativs unsere wie stets kurz nach der Tat zum Ort des Verbrechens geeilte Gewerkschaft der Polizei. Nach Ausnüchterung und bei nochmaligem Nachzählen ergaben sich «circa 400» Köpfe.

Es ist nun, liebe Christen und Muslime, leider nicht ausgeschlossen, dass sich in dieser Menge zwei Jesuiten auf der Durchreise von Oslo nach Rom befanden. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass sich unter den organisierten Taschendieben eine Frau, vier Iren und zwölf Russen befunden haben. Die sich wie überall übergebenden britischen Domstadtbesucher lassen wir hier beiseite, um nicht unnötige Ressentiments zu schüren. Warum sollte das alles ausgeschlossen sein, da wir ja nicht wissen, was «die Tat» dieser organisierten Bande und was «die Täter» waren?

«21 Verdächtige sind identifiziert», meldete der Deutschlandfunk am 8. Januar, «allerdings befinden sich noch nicht alle in Gewahrsam.» Ja gut, sagt der noch nicht vollständig benebelte Kriminologe: Wenn alle Tatverdächtigen in Deutschland «in Gewahrsam» (meint wahrscheinlich: Untersuchungshaft) zu nehmen wären, müssten wir die Anzahl der Gefängnisse etwa verzehnfachen. Dann gründet Pegida eine Bürgerbewegung gegen Justizvollzugsanstalten und für die Einführung der vorläufigen Todesstrafe.

Die Integrationsvereinbarung

Wir müssen sie anders fassen, die Nordafrikaner und Araber: Herr Buschkowsky, Bezirksbürgermeister a. D., Experte für Libanesen-Integration, der es wissen muss, hat am 6. Januar im Deutschlandfunk gesagt, er habe schon immer gesagt, dass Integration kein Spass sei. Es müssten endlich Integrationsvereinbarungen her, und wir müssten von den Arabern verlangen, sich an unsere Werte anzupassen.

Lieber Herr Buschkowsky, wir wollen jetzt nicht fragen, wann und woher Ihre eigenen, sehr geehrten Vorfahren ins schöne Deutschland eingewandert sind und ab wann und warum sie sich «wir» nannten und welche Vereinbarungen sie damals unterschrieben haben. Es stellt sich hier die rechtsdogmatisch interessante Frage, ob der Integrationsvereinbarungsvertrag rechtswirksam auch für Folgegenerationen abgeschlossen werden kann. Ich würde sagen: Nein. Wir, also wir Inländer, müssten also von den (angeblich!) integrationswilligen Ausländern auch in der zweiten und dritten Generation verlangen, dass sie sich schriftlich gegenüber der örtlichen Integrationsbehörde verpflichten, freitags Fisch und sonntags Schwein zu essen, die Frau zu achten und den Propheten im Herzen, aber nicht durch die Strassen zu tragen. Für die Polen ist «Prophet» natürlich durch «Muttergottes» zu ersetzen.

Ist die Integration mit der Verleihung der deutschen Staatsbürgerschaft beendet? Ich meine: Nein; beides hat wenig miteinander zu tun und trifft sich nur zufällig. Dann müssten, wenn man es genau, also deutsch nimmt, der Herr Buschkowsky und der Herr de Maizière nun am Ende auch noch eine solche Vereinbarung unterschreiben.

Wie auch immer: Es scheint, liebe Mitbürger mit Namen auf «-ky», die Integration der polnischen Armutsflüchtlinge im Durchschnitt einigermassen gelungen zu sein. Obwohl ja gerade die Polen (Teile von Gruppen nennen sie bis heute «Polacken», aber nur aus Spass) seit dem 19. Jahrhundert vielfach auffielen durch organisierte Kriminalität, Bandenbildung, Rückzug in Polnisch sprechende Subkulturen und Komasaufen von Schnäpsen, von denen der Gelsenkirchener noch nie gehört hatte.

Harald Schmidt, Flüchtling aus Böhmen, Schauspieler in Düsseldorf bei Köln, ist öffentlich Multimillionär geworden mit Polenwitzen, ohne dass eine einzige Bundeskanzlerin jemals gesagt hat, die ganze Härte des Rechtsstaats müsse entfaltet werden gegen den xenophoben Mob. Und Alfred Tetzlaffs dumpfe Muslimfeindlichkeit ist noch in der siebten Wiederholung am Silvesterabend ein echter Brüller. Alles extrem satirisch. Kommt ein Muslim zum Arzt …

Es spricht, liebe Leser, der Fachmann: In acht Jahren neue Bundesländer wurden dem Kolumnisten vier mit Herzblut abbezahlte Kraftfahrzeuge entwendet und allesamt gen Oder- Neisse entführt. Aber was solls: Der Pole stiehlt, was er nicht hat, da ist er wie der Chinese. Ich wäre überrascht gewesen, wenn mein Golf VR6 in Leipzig von einer Wolfsburger Rentnerin geknackt worden wäre.

Es geht auch anders

Noch einmal zurück zum Ausgangspunkt. Es soll nicht verharmlost werden, was geschehen ist oder sein soll. Gewalterfahrung, Hilflosigkeit, Ausgeliefertsein ist eine menschenunwürdige, verstörende Erfahrung, gegen die nicht nur unser zivilisatorischer Anspruch, sondern auch unser Strafgesetzbuch gewisse Vorkehrungen getroffen haben. Das gilt auch für sexuelle Gewalt. Daher, sehr geehrte Rechtspolitiker, weise ich vorsorglich (aber vermutlich vergeblich) darauf hin, dass seit etwa 140 Jahren die gemeinschaftliche Körperverletzung mit Freiheitsstrafe bis 10 Jahre, sexuelle Nötigung mit Freiheitsstrafe bis 15 Jahre, Raub mit Freiheitsstrafe bis 15 Jahre bedroht sind. Es wäre daher nicht nützlich, wenn Sie sich nun einen Tatbestand der «organisierten Belästigung durch unorganisierte Gruppen von Teilen» ausdenken. Wir haben das schon. Sie, liebe Abgeordnete, haben all dem schon in den letzten 15 Jahren dreimal zugestimmt.

Überlegen wir vielmehr, was wir aus den Erfahrungen mit Sexmobs und Horden schwer alkohol- und testosteronberauschter Jungmänner lernen können. Nehmen wir ein besonders abstossendes Beispiel: «Allein der kurze Weg zur Toilette ist der reinste Spiessrutenlauf. Drei Umarmungen von wildfremden, besoffenen Männern, zwei Klapse auf den Hintern, ein hochgehobener Dirndlrock und ein absichtlich ins Dekolleté geschütteter Bierschwall sind die Bilanz von dreissig Metern. Es ist Samstag, 11 Uhr morgens im Hofbräuzelt. Der Wiesntag hat gerade angefangen.» Das schrieb die «Süddeutsche» am 29. September 2011, und dann weiter: «Gefährlich ist auch der Rasen unter der Bavaria. Gerade Frauen (…) sind wehrlose Opfer.» Ja, so war das! Wir wissen es noch wie heute. Die vielen Sondersendungen! Der Rücktritt des Polizeipräsidenten! Die aktuelle Stunde im Bundestag! Angela Merkels Videobotschaft an die deutschen Frauen.

Und das knallharte Durchgreifen des Rechtsstaats. Beispielhaft «Zwölf Wiesn-Tipps für Frauen», 2014: «Wenn Ihnen etwas Unangenehmes passiert, sollten Sie den Security Point aufsuchen … Niemand sollte das Oktoberfest allein oder mit einem Unbekannten verlassen ... Verlassen Sie das Zelt nur mit einer vertrauten Person …» Da hat sich die deutsche Leitkultur allerhand einfallen lassen, um dem Sexmob das Handwerk zu legen! Deshalb stieg in den vergangenen zehn Jahren die Zahl der sexuellen Nötigungen auch kaum einmal über 150 pro Wiesn-Wochenende.

Erinnern Sie sich, liebe Leserinnen, wie die Frau Kanzlerin Ihnen montags immer zurief: «Es ist gut, dass es auch heute wieder sehr, sehr viele Anzeigen gibt»? Und immer wieder hob an zu sprechen der Herr Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz: «Die abscheulichen Angriffe auf Frauen werden wir nicht hinnehmen. Alle Täter müssen konsequent zur Rechenschaft gezogen werden.»

Sorry, Irrtum: Das sagte er am 5. Januar 2016. Aber es kann nicht schaden, so etwas auch einmal vor einem Ereignis zu sagen, das seit vielen Jahrzehnten wiederkehrend eine abstossende Welle von sexualisierter Gewalt, Belästigung, Körperverletzung und Eigentumskriminalität über unser Land schwappen lässt, losgetreten von Kartellen zur Herstellung von Rauschmitteln (sogenannten Brauereien) und unter Leitung ehrenwerter Gesellschaften (sogenannter Narren), in denen Horden männlicher Alkoholiker jenseits der sechzig das Sagen haben, die zur Anheizung ihrer sexuellen Fantasien sechzehnjährige halb nackte Mädchen stundenlang Tänze aufführen lassen, welche ihren Höhepunkt in dumpf-rhythmischem Hochreissen eines Beins unter Entblössung von Schamregion und Gesäss finden. Die organisierten Frauenerniedriger nennen diese abstossenden Rituale «Prunksitzung». Sie tragen superlustige rote Hüte und besprechen, bevor das Marcumar sie übermannt, bei dieser Gelegenheit gleich noch die Auftragsvergabe für die U-Bahn. Unten sitzen die Oberbürgermeisterinnen und Familienministerinnen und schreien: Alaaf!

«Wir», so formulierte es nun die Oberbürgermeisterin von Köln, «werden uns den Karneval in Köln durch solche Übergriffe nicht verderben lassen.» Recht hat sie. Wer einmal im Sommer samstagnachts um drei Uhr mit zwei Freundinnen durch die Düsseldorfer Altstadt schlenderte, der weiss, was ein Mob sexualisierter Jungmänner ist. Das hat mit dem Karneval, wie der Kölner weiss, nun wirklich nichts zu tun! Zum Beweis hier ein Bericht der örtlichen Presse über einen sicheren und friedlichen Freudentag im Zülpicher Viertel, Köln 2014:

«Die Beamten haben insgesamt 43 (88) Platzverweise erteilt und 47 (39) Personen in Gewahrsam genommen (Vorjahreszahl in Klammern). Die Polizisten leiteten 55 (46) Strafverfahren, unter anderem wegen Körperverletzungsdelikten, Sachbeschädigung, Taschendiebstahl, Raub und Verstoss gegen das Betäubungsmittelgesetz ein. 18 (9) Straftäter wurden festgenommen.» Nun gut, später entwickelte sich die Sache: «Zu vorgerückter Stunde und mit steigendem Alkoholpegel stieg die Zahl der Straftaten wie Körperverletzungen, Sachbeschädigungen und Beleidigungen an.» Aber insgesamt eine rundum schöne Bilanz: «‹Die Polizei sorgte durch konsequentes Einschreiten und sichtbare Präsenz für Sicherheit›, bilanzierte Einsatzleiter Polizeirat H.»

Man kann also, verehrte Araber, auch anders. 55 Strafverfahren, 18 Festnahmen, ein paar Dutzend Raube und ein paar Hundert Körperverletzungen an einem fröhlichen Karnevalstag in einem einzigen Kölner Stadtviertel. Das muss man sich nicht kaputt machen lassen von Ereignissen, die der Vizepräsident der Gewerkschaft der Polizei in NRW, Pickert, nur mehr als «unfassbar» bezeichnen mochte. Und der Innenminister des Landes sprach aus, was wir nach seiner Ansicht fühlen: «Wir nehmen  es nicht hin, dass sich nordafrikanische Männergruppen organisieren, um wehrlose Frauen mit dreisten sexuellen Attacken zu erniedrigen.» Donnerwetter!

Inländer des Herzens

Ausschreitungen und Straftaten von Ausländern sind irgendwie schlimmer als die von Inländern, stimmts? Schaut man sich die in Gruppen begangenen Sexualdelikte, Körperverletzungen und Eigentumsdelikte deutscher Männergruppen im Ausland an, etwa auf dem Ballermann, kann man allerdings qualitativ keinen grossen Unterschied entdecken. Der Mallorquiner hält von käsefarbenen, Sangria kotzenden Frauenbelästigern aus Köln ungefähr so viel wie der Deutzer von schwarzhaarigen Handyräubern.

Zwei Unterschiede gibt es freilich. Erstens: Die deutsche Männergruppe lässt auf dem Ballermann ein paar Hunderter zurück. Ob das die Ehre der Frau rausreisst?

Zweitens: Der Ausländer ist im Inland auffälliger. Wenn also zum Beispiel 30 000 blonde Männer mit durchschnittlicher Körpergrösse von 1,82 Metern und Durchschnittsgewicht von 105 Kilogramm von Frankfurt nach Bangkok, Manila oder Saigon fliegen, um dort minderjährige Prostituierte zu erniedrigen und jede flüchtig lächelnde Verkäuferin im Andenkenladen anzugrapschen, dann mag dies dem kleinen thailändischen Mann als «unfassbar» auffallen. Der Deutsche sieht das naturgemäss anders. Ihm fällt sein Tun auch in Bangkok nicht auf, weil er halt überall auf der Welt beliebt, zu Hause und ein echter Inländer des Herzens ist. Merke: Die deutsche Männergruppe nimmt ihr Inland einfach mit. Schon allein wegen der Korrektheit: Hier mein Abbuchungsbeleg, wo bleibt der gebuchte Oralverkehr mit Schlucken und Fusspflege?

Nun will unsere Frau Bundeskanzlerin «die Abschiebepraxis» überdenken, meint: ändern. Auch unser Bundesminister des Innern machte am 8. Januar in der «Süddeutschen» ein Gesicht, als wolle er alle Hugenotten morgen persönlich aus Deutschland dahin verfrachten, wo nordafrikanische und sonstige fremde Männer hingehören, also nach Paris oder Metz.

Ach ja, seufzt der Leiter der Ausländerabteilung. Unser Gastrecht! Menschenrecht! Genfer Konvention! Sagen wir mal: Hätte der Asylant Albert Einstein in den USA einer Sekretärin an Halloween durch einen Kürbis hindurch an den Busen gefasst oder hätte der Asylant Bertolt Brecht am Geburtstag von Karl Marx in Santa Monica nach Genuss eines Liters russischen Wodkas einen Ladendiebstahl begangen. Was hätte de Maizière als Sheriff von Princeton oder Innenminister der USA getan? Ich schätze: nachgedacht. Den Einzelfall betrachtet. Sich überlegt, wie der Ladendiebstahl in Kalifornien oder die sexuelle Nötigung in New York mit der Todesgefahr in Deutschland abzuwägen sei. Er hätte also, vermute ich, dasselbe gemacht wie jetzt: gar nichts. Und daher sich und uns die Grimassen der sogenannten Sorge erspart, und das Gerede über Konsequenzen, die es nur gäbe, wenn man unseren Rechtsstaat in einen Unrechtsstaat verwandeln wollte.

«Pegida» demonstriert für die deutsche Frau! O wie fürchterlich! In solchen Zeiten der Not kennt der deutsche Sozialdemokrat nichts, da greift er zum letzten Mittel: Er tut einfach, was Pegida will. Sonst wird er am Ende abgewählt, und das kann ja nun die Lösung nicht sein. So rettet er zwar nicht den Rechtsstaat, aber immerhin sein Amt, für alle Fälle.

Der Tanz folgt einer verschlungenen, entrückten Choreografie: Wir haben in unserem Land einige Hunderttausend sehr schlecht in die Gesellschaft integrierte junge Männer. Neunzig Prozent davon sind Deutsche, zehn Prozent Ausländer. Um die meisten von ihnen kümmert sich, ausser ein paar als «Gutmenschen» verhöhnte Sozialarbeiter und die Arbeitslosenverwaltung, kein Mensch. Die bei weitem gewalttätigste Gruppe unter ihnen sind die Söhne und Enkel der – von Helmut Kohl eingeladenen – Aussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion, insbesondere Kasachstan. Sie heissen Waldemar oder Johann und sind Deutsche. Ihre Christlichkeit übersteigt alles, was der Berliner oder Kölner zwischen 15 und 25 zu bieten in der Lage ist.

Wir haben in diesem Land übrigens auch einen Sexmob. Er beherrscht weite Teile unserer Lebenswirklichkeit. Seine mächtigsten Organisatoren wohnen in sogenannten Redaktionen von Deutschlands allerbeliebtesten Massenblättern und Fernsehsendern. Eine Woche «Frau» in den Mehrheitsmedien: Wer da als Nordafrikaner nicht verrückt wird, kann kein Muslim sein.

Straftaten geschehen. Drei Millionen jährlich in Deutschland. 150 am Kölner Hauptbahnhof am 31. Dezember 2015. Sie werden von Inländern, Ausländern, Arabern und Nordafrikanern begangen. Manche vorwiegend von Inländern (Steuerhinterziehung). Manche vorwiegend von Ausländern (illegale Einreise). Manche geschlechtsspezifisch (Körperverletzung), manche gelegenheitsspezifisch (Betrug). Sie alle sind zu verfolgen und gegebenenfalls zu bestrafen. Nicht «mit der ganzen Härte», und nicht «energisch» und nicht «unnachgiebig». Sondern so, wie wir zivilisierten Rheinländer es gelernt haben: jeder Einzelfall nach seiner Verantwortung. Die Behauptung, Asylbewerber (oder Flüchtlinge) oder Ausländer müssten besonders gnadenlos bestraft werden, ist dumm und ohne jede Rechtsgrundlage.

Wenn ein in Schanghai zum Tode verurteilter Tibeter in Spanien Asyl beantragte, dort einen Taschendiebstahl beginge und deshalb von Spanien nach China abgeschoben werden sollte, würden die deutsche Presse und politische Öffentlichkeit über diesen Akt der Barbarei tagelang herfallen; rund um den Kölner Dom würden besorgte Bürger Kerzen zur Solidarität mit dem Jüngling aufstellen, und unsere Frau Ministerin Manuela persönlich würde ihm eine Lehrstelle als Tierpfleger besorgen.

«Das Gastrecht missbrauchen»: ein schöner Begriff, aber ein vergifteter und ein komplizierter. Ist Asylrecht «Gastrecht»? Haben Sie, liebe Leser, eine Vorstellung davon, wie viele Hunderttausend Mal pro Jahr Deutsche im Ausland «das Gastrecht missbrauchen»? Gibt es einen Unterschied des «Missbrauchens» zwischen deutschen Hotelgästen, die Badehandtücher und Espressomaschinen in Spanien stehlen, und libyschen Asylbewerbern, die Zigaretten oder Handys in Deutschland klauen?

Ein gewisses Problem scheint mir, dass der Deutsche das «Gastrecht» recht einseitig definiert. Was in Arabien oder Asien «Gastrecht» genannt wird, gewähren wir unseren Gästen mitnichten. Millionen von Deutschen strömen in jedem Herbst zurück aus allen Winkeln dieser Welt und berichten verzückt von der «unglaublichen Gastfreundschaft» der Araber oder Nordafrikaner oder Walfische. Drei Prozent von ihnen stehlen ihren lieben Gastgebern dort Korallen oder geschützte Tiere oder antike Steine.

Ein kleiner Schritt, aber ein weiter Weg!

Bleiben Sie, liebe Mitbürger, bitte ruhig und freundlich! Es sind am 31. Dezember 2015 in Deutschland etwa genauso viele Straftaten geschehen wie an jedem anderen 31. Dezember. Der Anteil der von Ausländern begangenen Straftaten ist nicht gestiegen.

Der Nordafrikaner neigt von Natur aus zur Vergewaltigung nicht mehr als der Nordsiegerländer, hat allerdings gelegentlich eine aus unserer Sicht recht verquere Auffassung von der Sozialadäquanz männlicher Gewalt. Daran sollten wir arbeiten. Wäre der Araber weg, bliebe uns noch das Problem der restlichen neunzig Prozent junger männlicher Straftäter, die ein ziemlich ähnliches Verständnis von der Ehre der Frau haben. Die sind eindeutig deutsch, immerzu entweder in «Liebe» oder in «Ehre» entbrannt und ziehen eine Schneise von Blut und Sperma von Saarbrücken bis Usedom. Wir könnten gewiss nicht alle, aber doch die meisten von ihnen einfangen und besänftigen und mit einer gewissen Lebensperspektive erfüllen, wenn sie uns als Menschen etwas wert wären.

Sind sie aber nicht. Wir nehmen sie hin, verachten sie, ignorieren sie. Kein Politiker sagt, sie seien ein Menetekel der Zerstörung unserer Kultur. 20 000 Millionen Euro schreibt unsere Regierung ab für die Resozialisierung der verrückt gewordenen Investmentbanker, damit dem deutschen Mittelstand kein weiteres Leid geschehe. Wenn in Köln 13 neue Stellen für Pädagogen oder Sozialarbeiter gefordert werden, um ein paar Hundert armseligen Verlierern eine klitzekleine Pforte zum Paradies zu zeigen, wandeln 1000 Pegidisten um den Dom und murmeln: «Erlöse uns vom Araber.»

Und schon geht wieder die Post des Strafrechts ab: Über die nächste «Strafbarkeitslücke» berichten alle Zeitungen. Bisher sei die geplante Ausdehnung des Verbrechenstatbestands Paragraf 177 Strafgesetzbuch auf Kritik gestossen, «nun nimmt sie Fahrt auf». Bundesjustizminister HM «sieht sich bestätigt». Als habe es nie eine Diskussion gegeben, hören wir gebetsmühlenartig dieselben alten Unwahrheiten: Sexuelle Nötigung sei bisher nur strafbar, wenn das Tatopfer bedroht werde – und so weiter.

Frau Künast kritisiert, das sei alles viel zu wenig. Frau Göring-Eckardt fordert «die ganze Härte des Gesetzes» – was immer sich der Bürger unter dieser Idiotenformel vorzustellen hat. Sie mahnt, dabei dürfe keine Rolle spielen, ob einer aus Deutschland oder aus dem Ausland komme. Holla! Auch ein abgebrochenes Theologiestudium schärft den gnadenlos evangelischen Blick aufs Grundgesetz. Früher, viel früher einmal, hätte ein solcher Satz aus dem Mund einer «grünen» Leitfigur für Unruhe unter den Deutschen gesorgt. Heute ist klar, dass die ehemalige Präside der Synode der EKD damit meint, dass Ausländer endlich nicht länger bevorzugt werden dürfen. Ein kleiner Schritt, aber ein weiter Weg!

Was derzeit an «Opferschutz»-Parolen aus den Lautsprechern quillt, ist nicht mehr als eine Instrumentalisierung, die das Mindestmass an intellektueller Redlichkeit unterschreitet. Das «unfassbare» Grauen, das den tapferen nordrhein-westfälischen Polizeigewerkschafter ergreift, wenn er an «nordafrikanisch aussehende» Männer einerseits und die sexuelle Integrität unserer milchweissen Frauen andererseits denkt, hat mehrere wahre, aber nicht nur gute Kerne. Auf die verfaulten will ich nicht weiter eingehen. Ein lebendiger aber ist: Man soll Frauen und Männer nicht nötigen, bestehlen, berauben, sexuell mit Gewalt bedrängen. Das sieht die Polizei in Marrakesch, Algier, Tunis und Tripolis ganz ähnlich.

Wir hörten, es seien in Köln Menschen festgehalten, abgetastet, durchsucht, geschlagen, begrapscht, beraubt, erpresst, bedroht worden. Keine einzige dieser Handlungen ist straflos. Es handelt sich um Raub, räuberische Erpressung, sexuelle Nötigung, Nötigung im besonders schweren Fall, Körperverletzung, Bedrohung, Beleidigung, Diebstahl. All das ist heute bereits strafbar und mit hohen Höchststrafen bedroht. Die forcierte Schliessung der angeblichen «Strafbarkeitslücke» hat nicht das Geringste damit zu tun.

Merkel wird Tacheles reden

Der nächste Polizeipräsident von Köln wird die Ehre der deutschen Frau im Karneval verteidigen wie ein Löwe sein letztes Stück vom Hirschkälbchen. Herr Innenminister wird wieder unter Druck gewesen sein, Herr Til Schweiger mit einem schweren Maschinengewehr vor den Toilettenwagen des Oktoberfests in Stellung gehen. Jeden besoffenen Schwulen, der einem männlichen Pinkler zwischen die Beine greift, wird er wegputzen. Die deutsche und die nordafrikanische und die verschleierte Frau werden «rund um den Hauptbahnhof» gehen, immer wieder, nachts, auch am 31. Dezember, und niemand wird ihnen nichts tun. Das ist sicher.

Denn erstens werden wir mit allen Fremden Integrationsvereinbarungen abschliessen. Es gibt sie in Deutschland übrigens schon seit geraumer Zeit unter dem Namen «Taufe»: Ein Fremder in dieser Welt – also jeder von uns – kann da eine Vereinbarung treffen (zwei Bürgen müssen dafür einstehen!), sich anständig zu benehmen. Ein paar wenige Prozent schaffen das, der Rest leider nicht. Pech gehabt, sagt der Integrationsminister Erzengel Gabriel: Ab in die Hölle!

Zweitens wird sonst Frau Merkel kommen und mit den Tätern mal Tacheles reden, wie der ausländische Muslim oder der internationale Jude oder der nordafrikanische Christ oder irgendjemand ausser uns es braucht.

Und drittens ist Deutschland ein weltoffenes und aufgeklärtes Land, in dem jeder glücklich werden kann. Weil wir hier mit uns selbst so glücklich sind.

Thomas Fischer

Der 62-jährige Thomas Fischer ist Vorsitzender Richter am deutschen Bundesgerichtshof. Für das Nachrichtenportal «Zeit Online» beschäftigt er sich in einer wöchentlichen Kolumne («Fischer im Recht») mit Rechtsfragen. Der vorliegende Text ist am 12. Januar im Rahmen dieser Kolumne erschienen.