Somalia: Gefährlicher Abschied von der Waffe

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Wer teilnehmen darf, entscheidet der Geheimdienst: Aussteiger aus der islamistischen Al-Schabab-Miliz werden in Somalia in Demobilisierungslagern auf das zivile Leben vorbereitet. Das ist für sie und ihre Ausbilder äusserst riskant.

Ein Schüler und ein Ausbilder im Demobilisierungszentrum für ehemalige islamistische Kämpfer in Baidoa.

Hühner scharren konzentriert im sandigen Boden ihres Geheges. Ein Strohdach spendet in einer Ecke Schatten, aufgeschnittene gelbe Plastikkanister dienen als Tränke. Sie sind mit Wasser gefüllt, das Federvieh wird offensichtlich gut versorgt. Mustafa Muhammad Scheich ist zufrieden und macht die Tür des Auslaufs wieder zu. «Ich unterrichte fünfzehn junge Männer», erzählt er. «Einigen zeige ich, wie man Hühner hält, anderen bringe ich den Anbau von Feldfrüchten bei, wieder andere führe ich in die Imkerei ein.» Der somalische Ausbilder führt durch den kleinen Garten, in dem seine Schüler lernen. Auf kleinen Beeten wachsen Blumen und etwas Gemüse, ein paar Papayabäume hängen voller Früchte. «Meine Lehrlinge dürfen ihre Produkte selbst verkaufen», sagt Scheich. «Das fördert ihr Interesse am Lernen.»

Nur ein paar Meter von den Hühnern entfernt hämmern zwei junge Männer im Blaumann unter Anleitung an einem Bett. Das Einschlagen der Nägel bereitet ihnen sichtlich Probleme. Im Umgang mit Kalaschnikows sind sie geschickter als im Gebrauch eines Hammers.

Allgegenwärtige Furcht vor Rache

Gut hundert Männer und ein paar wenige Frauen lernen in diesem Zentrum. Sie alle waren Mitglieder der islamistischen Al-Schabab-Miliz, die zum Terrornetzwerk al-Kaida gehört. «Sie sind ausgestiegen und wollen nicht mehr kämpfen», versichert Adam Hussein. Der väterlich wirkende Mann leitet das Demobilisierungslager von Baidoa. Es wird von Deutschland finanziell unterstützt und von der Internationalen Organisation für Migration (IOM) geleitet. Mit der Entwaffnung und Reintegration einer grösseren Anzahl islamistischer Milizionäre gibt es weltweit bisher kaum Erfahrungen. Das Programm in Somalia ist eine Art Pilotprojekt, von dem andere Länder lernen können, gegebenenfalls auch aus möglichen Fehlern. Die Demobilisierung ist für alle Beteiligten gefährlich, denn in Somalia dauert der Krieg zwischen der Regierung und den IslamistInnen an. AussteigerInnen laufen Gefahr, als VerräterInnen ermordet zu werden. Auch diejenigen, die mit ihnen arbeiten, müssen die Rache der militanten IslamistInnen fürchten.

Während Mustafa Muhammad Scheich auf dem Hof des Camps mit denen unterwegs ist, die sich für Landwirtschaft interessieren, pauken andere im grossen Fernsehraum Theorie. Auf Plastikstühlen sitzen ein gutes Dutzend Männer und Frauen im Halbkreis. Ihr Ausbilder erklärt an einer Tafel Grundlagen der Buchhaltung. Der 22-jährige Maslan Muhammad Hassan hört aufmerksam zu, er will nach seiner Entlassung einen Laden eröffnen. Fast drei Jahre lang war Hassan bei der Al-Schabab-Miliz, Ende 2013 stieg er aus. Nun will er ausgerechnet Kosmetika verkaufen, nachdem er als Milizionär jeden bestrafte, der für weltliche Schönheit empfänglich war. Aber Hassan kennt sich aus mit Kosmetika, er handelte bereits damit, bevor er der Al-Schabab-Miliz beitrat. Nachmittags verdiente er so das Geld, das er für die Schulgebühren brauchte. Den bewaffneten Islamisten habe er sich 2010 angeschlossen, weil ihn deren damalige Stärke faszinierte. «Viele meiner Freunde machten schon mit – warum nicht auch ich?» Er wurde religiös geschult, erhielt eine militärische Grundausbildung. Während seiner aktiven Zeit, sagt er, kämpfte er mit Überzeugung und liebte den Krieg. «Ich wollte die Christen auslöschen.»

Schwer überprüfbare Vorwürfe

Ein hundertprozentiger Kämpfer also, sollte man meinen. Trotzdem wird Hassan von der somalischen Regierung nur als sogenannter Niedriggefährder oder Mitläufer eingestuft. «Andere würden gar nicht erst im Demobilisierungslager Baidoa aufgenommen, sondern gleich der Militärjustiz überstellt», sagt Abdirizak Omar Mohamed, Minister für nationale Sicherheit. Für die «Einteilung» der Aussteiger ist der Nationale Geheimdienst Nisa zuständig, die Kriterien aber behält er für sich.

Nicht nur dadurch provoziert der Geheimdienst Kritik. Es gehe ihm weniger um Demobilisierung und Reintegration als um Terrorabwehr, so der häufig wiederholte Verdacht. Bei den Lagern handle es sich tatsächlich um Internierungslager und nicht um Demobilisierungszentren. Geständnisse der AussteigerInnen würden unter Folter erzwungen. Und: Unter massivem Druck würden sie zu Agenten des eigenen Diensts gemacht, um die anderen in den Demobilisierungslagern auszuspionieren. Sollten die Vorwürfe stimmen, widerspräche das den internationalen Standards solcher Programme. Dass niemand die Vorwürfe überprüfen kann, liegt nicht zuletzt an der schlechten Sicherheitslage in Somalia. MitarbeiterInnen internationaler Organisationen verlassen ihre militärisch gesicherten Unterkünfte kaum.

«Über die Abläufe in den Camps bekommen wir viel zu wenig Informationen», bestätigt Waldemar Vrey. Er ist Direktor des Uno-Programms, das Somalia beim Aufbau eines Rechtsstaats unterstützen soll. Dazu gehört auch, den Ablauf der Demobilisierung zu koordinieren. «Wir arbeiten da in einem ganz neuen Bereich», betont Vrey. «Es ist eine grosse Herausforderung, Menschen mit einem bestimmten ideologisch-psychologischen Hintergrund zu rehabilitieren.» Wie kann man sicherstellen, dass ein ehemaliger Kämpfer durch das Demobilisierungsprogramm seiner Ideologie tatsächlich abschwört? Wann kann man ihn gefahrlos in die Gesellschaft reintegrieren?

In Baidoa werden die AussteigerInnen von einem Geistlichen betreut, Scheich Aden Sak Wardhere. «Die meisten haben sich der Terrorgruppe aus finanziellen Gründen angeschlossen», meint der. Sie hofften auf eine Art Gehalt; Gerüchte über die lukrative Bezahlung durch die IslamistInnen kursieren in Somalia schon lange. Im Gespräch aber bestätigte keiner der Aussteiger, dass er tatsächlich bezahlt wurde. «Wer ein ziviles Auskommen hat, geht nicht zur Al-Schabab-Miliz», ist Scheich Aden dennoch überzeugt. Einige freilich seien auch religiös in die Irre geleitet worden, und «denen muss man erklären, dass der Islam eine friedliche Religion ist».

Hassan, der frühere Kosmetikaverkäufer, hatte andere Gründe. Er wollte, so schildert er das, vor allem auf der Seite der Sieger stehen. Als die Miliz gegenüber der afrikanischen Eingreiftruppe Amisom militärisch in die Defensive geriet, verlor sie für ihn an Faszination. Der ehemalige Kämpfer Muhammad Muchtar dagegen kam ins Zweifeln, als die Miliz immer brutaler gegen ZivilistInnen vorging. Der hagere 42-Jährige ist vor gut eineinhalb Jahren ins zivile Leben zurückgekehrt und hat inzwischen in der Stadt einen kleinen Kiosk eröffnet. Dort verkauft er mit seiner Frau Brühwürfel, Kekse, Streichhölzer, Waschpulver und andere Kleinigkeiten des täglichen Bedarfs. Die Angst vor seinen ehemaligen Waffenbrüdern hat ihn noch nicht verlassen. «Sie können jeden Tag kommen und meinen Laden anzünden», sagt er. Muchtars Angst wird durch häufige Drohanrufe geschürt. Dass er ständig die Nummer seines Mobiltelefons wechselt, hilft jeweils nur für wenige Tage. Er schläft jede Nacht in einem anderen Haus, um seine Frau und die gemeinsamen vier Kinder nicht unnötig zu gefährden.

Vier Monate Verhandlungen

Muchtar hat sieben Jahre lang für die Al-Schabab-Miliz gekämpft. Er habe sich der Gruppe kurz nach deren Gründung angeschlossen, im August 2007. «Sie waren die Einzigen, die in Somalia so etwas wie eine Regierung waren», sagt er. «Sie sorgten in ihren Gebieten für Recht und Ordnung.» Seit dem Sturz des letzten Diktators, Siad Barre, im Januar 1991 war Somalia in die Herrschaftsbereiche verschiedener Warlords zerfallen. Die Bevölkerung war Plünderern und Kriminellen aller Art wehrlos ausgeliefert. Muchtar, damals Geschäftsmann, glaubte an den Islam. Nach Jahren eines brutalen Bürgerkriegs sah er in der Religion das einzig wirksame Mittel gegen die allgegenwärtige Gewalt, das willkürliche Morden. Nachdem er sich 2007 der damals noch jungen Al-Schabab-Miliz angeschlossen hatte, wurde er acht Monate lang militärisch trainiert, zusammen mit 200 weiteren Rekruten. Er habe dabei nichts über den Bau von Sprengstoffgürteln für Selbstmordattentate gelernt und auch nichts über das Basteln von Bomben. Er selbst verstand sich als Soldat, sei am Ende Offizier gewesen. Aber im Lauf der Jahre sei die Gruppe immer brutaler geworden, auch gegen ZivilistInnen. Eine Aktion in einem der Dörfer im Süden habe ihm 2013 die Augen geöffnet. Dort seien Dutzende Geschäfte niedergebrannt und rund fünfzig Menschen ermordet worden. «Von da an wollte ich nur noch weg.»

Heimlich rief er die Ältesten seines Clans an, die dann in seinem Namen mit dem Geheimdienst und Militärs verhandelten. Vier Monate lang dauerten die Gespräche, und ebenso lange fürchtete Muchtar, von seinen Mitkämpfern als «Verräter» verdächtigt und ermordet zu werden. Dann erst konnte er sich stellen, ohne befürchten zu müssen, nun von den staatlichen Sicherheitskräften ermordet zu werden.

Adam Hussein, Leiter des Demobilisierungszentrums.

Auch Hassan bat die Ältesten seines Clans telefonisch um Vermittlung, damit er nach Baidoa zurückkehren konnte. Er wurde dort zunächst zwei Wochen lang vom Geheimdienst verhört, sei dabei aber korrekt behandelt worden. Danach kam er ins Demobilisierungslager. Das ist nun zwei Jahre her, bald soll er entlassen werden. Er gibt sich zuversichtlich. Kein Frust der Welt könne ihn in die Arme der Miliz zurücktreiben.

Bis zu 5000 aktive Kämpfer

Nach Schätzungen des zuständigen somalischen Ministers haben in den vergangenen drei Jahren rund tausend Kämpfer die Al-Schabab-Miliz verlassen. Die Weltbank gibt die aktuelle Stärke der 2006 gegründeten Miliz mit 3000 bis 5000 Mann an. Rund hundert davon seien aus dem westlichen Ausland, vor allem aus Deutschland, Grossbritannien und den USA, und aus arabischen Staaten nach Somalia gekommen.

Die zum Terrornetzwerk al-Kaida gehörenden IslamistInnen werden von der 22 000 Mann starken Militärmission der Afrikanischen Union (Amisom) bekämpft, die von den USA und der Europäischen Union unterstützt wird. Al-Schabab ist militärisch unter Druck, kontrolliert aber nach wie vor Teile von Somalia.