Editorial: Im Angesicht des Kinos

Nr. 3 –

  • Die Zürcherin Annina Walt (19) ist an den Solothurner Filmtagen in «Nichts passiert» und «Amateur Teens» zu sehen. Foto: Helvetia Leal und Christian Knörr
  • Bloss nicht zu früh fertig werden mit den Figuren, sagt Ursina Lardi: «Sonst wird mir grad langweilig.» Foto: Helvetia Leal und Christian Knörr
  • Johanna Lier war das Mädchen in Fredi Murers «Höhenfeuer». Es war ihre erste Filmrolle – und auch ihre letzte. Foto: Helvetia Leal und Christian Knörr
  • «Alter, deine Rolle ist ein Honey Badger!»: Joel Basman, Gewinner des Deutschen Filmpreises. Foto: Helvetia Leal und Christian Knörr
  • Zurück aus dem Kloster: Sabine Timoteo ist in Solothurn in «Zen for Nothing» und in «Tinou» zu sehen. Foto: Helvetia Leal und Christian Knörr
  • Entrückte Gesten: Lilith Stangenberg ist in Solothurn als Journalistin in «Die Lügen der Sieger» zu sehen. Foto: Helvetia Leal und Christian Knörr

Zwei kurze Sätze nur, aber sie markieren einen ganzen Epochenbruch: «We didn’t need dialogue. We had faces!» So beklagt die Stummfilmdiva Norma Desmond in «Sunset Boulevard» (1950) den Niedergang des Schauspiels mit der Einführung des Tonfilms. Es klingt wie ein Affront gegen alle Nachgeborenen ihrer Zunft. Haben die Schauspielerinnen und Schauspieler heute etwa keine Gesichter mehr? Sind sie nur noch  Automaten, die ihren Text aufsagen?

Natürlich nicht. Ang Lee sagte einmal bei einem Interview auf dem Dach eines Hotels im Zürcher Niederdorf: «Das menschliche Gesicht ist immer noch das wichtigste Element des Kinos.» In unserer Filmbeilage wollen wir ihn beim Wort nehmen. Das Heft ist für einmal ganz den Gesichtern des Kinos gewidmet, dieser erhabensten und unschuldigsten Form des Personenkults.

Für ein grosses Porträt habe ich mich mit der Schweizer Schauspielerin Ursina Lardi getroffen, die als Ehrengast der 51. Solothurner Filmtage mit einer Retrospektive geehrt wird. Die gebürtige Bündnerin hat früh die deutschen Bühnen erobert, erst seit ihrem Auftritt in Michael Hanekes Film «Das weisse Band» wurde sie auch fürs Schweizer Kino entdeckt. Und ich habe mich mit Joel Basman unterhalten, der mit seinen 26 Jahren schon auf vierzig Filme zurückblicken kann und sich  für eine Rolle als Neonazi schon mal Dokus über den afrikanischen Honigdachs anschaut.

«Mit der Grossaufnahme des Gesichts entfaltet das Kino seine maximale Potenz und droht dabei zugleich selbst zu verglühen», schreibt Johannes Binotto in seiner Hymne auf das Close-up. Denise Bucher blickt hinter die Kulissen des Castings und zeigt, wie die Gesichter des Kinos ausgewählt und «gemacht» werden. Im Beitrag von Esther Banz erzählt die Zürcher Regisseurin Jacqueline Zünd, wie sie die Gesichter ihrer weltumspannenden Dokumentarfilme sucht und findet. Und Andreas Tobler geht der Frage nach, warum es eigentlich so schwierig ist, jenseits von Hilfsausdrücken wie «Charisma» über Schauspielkunst zu schreiben – und was wir meinen, wenn wir von der unglaublichen Präsenz einer Schauspielerin schwärmen.

Für die Fotos zu dieser Filmbeilage haben Helvetia Leal und Christian Knörr einige der aufregendsten Gesichter inszeniert, die in den Texten  einen grossen oder kleinen Auftritt haben. Auf den letzten Seiten finden Sie schliesslich einige Empfehlungen zu den Filmen in Solothurn, mit neuen und schon bekannten Gesichtern – und sogar solchen, die Dialoge gar nicht nötig haben. Especially for you, Norma Desmond.