Neues aus der Wissenschaft: «Eine Frau. Ei der Zufall»

Nr. 3 –

Physik war nicht mein Lieblingsfach. Zumindest am Gymnasium nicht mehr – doch da war es bereits zu spät, mein Mathelehrer in der Sek hatte mich in die naturwissenschaftliche Abteilung eingewiesen.

Warum ich das erzähle? Weil namentlich jüngere SekundarlehrerInnen laut einer ETH-Studie im Fach Physik von akutem Gender-Bias befallen scheinen. «Mädchen müssen mit schlechteren Physik-Noten rechnen», berichtet die ETH Zürich. Nicht, weil sie weniger begabt als Jungs wären, sondern weil ihre LehrerInnen sie bei gleicher Leistung viel schlechter benoten. Die Datenlage stützt sich auf 780 Antworten von SekundarlehrerInnen aus der Schweiz, Deutschland und Österreich. Sarah Hofer, am Lehrstuhl der Lernforscherin Elsbeth Stern tätig, hatte allen eine nur teilweise korrekte Prüfungsantwort auf eine Aufgabe in klassischer Mechanik «zur Überprüfung» vorgelegt. Bei der Hälfte der VersuchsteilnehmerInnen fügte Hofer den Hinweis hinzu, dass es sich um «eine Schülerin» handelte, die anderen gingen davon aus, dass die Antwort von «einem Schüler» kam.

Wer weniger als zehn Jahre unterrichtete, benotete die Mädchen im Schnitt zwischen 0,7 (Schweiz) und 0,9 (Österreich) Noten schlechter. Das nennt sich systematische Diskriminierung.

Ein Skandal, der die Schweizer Tagespresse nicht zu interessieren scheint. Nur die NZZ und «20 Minuten» berichteten kurz. Und in den recht einsilbigen Kommentarspalten wird der Befund als «unglaubhaft» kleingeredet oder in hinlänglich bekanntem Muster reproduziert: «… und wer hat die Studie verfasst?», schreibt ein NZZ-Leser. «Eine Frau. Ei der Zufall.»

Dabei bestätigt die Studie nicht einfach unreflektierten Sexismus. Denn zum einen verschwinden die geschlechtsspezifischen Noten mit zunehmender Lehrerfahrung, zum andern äussert sie sich ausgerechnet bei jungen Lehrerinnen in Deutschland besonders deutlich. Was die Studie einmal mehr bestätigt: Frauen müssen für dieselbe Beurteilung mehr leisten. Und: Es mangelt offensichtlich noch immer an weiblichen Rollenmodellen im Physikunterricht und in der Forschung. Der Nobelpreis in Physik ging bislang nur zweimal an Frauen – Marie Curie (1905) und Maria Goeppert-Mayer (1963) –, beide mussten ihn sich mit Männern teilen.

Naturwissenschaftlich begabte Frauen, so das Fazit von Stern und Hofer, wenden sich deshalb weiterhin lieber Fächern zu, in denen sie stärker gefördert werden. In meinem Fall hat es indes nicht am Lehrer gelegen.

Die Wissenschaftlerinnen vom Institut für Verhaltenswissenschaften der ETH Zürich haben ihre Studie im «International Journal of Science Education» veröffentlicht.