Familienoper: Auf der «Balkanroute» nach Tripiti

Nr. 9 –

In Winterthur kommt der Kinderbuchklassiker «Reise nach Tripiti» auf die Bühne. Die Inszenierung zeigt die Abenteuer einer Solidargemeinschaft.

Gemeinsam lässt sich viel erreichen: Theo der Teddybär mit GefährtInnen auf der Reise nach Tripiti. Foto: Tine Edel

Schon vor der Vorstellung summt, quietscht, pfeift und brummt es von unten herauf. Neugierige Blicke äugen in den Orchestergraben. Für Kindersinne ist eine Oper kein alltägliches Genre. So bietet das Theater Winterthur mit der Familienoper «Reise nach Tripiti» von Beginn an ein Erlebnis der besonderen Art. SolistInnen in opulenten Kostümen und ein Kinderchor in Müllsäcken treten auf die schlicht ausstaffierte Bühne und begeistern neben den Kleinen und ihren Eltern auch das eher grauhäuptige Stammpublikum. Die Inszenierung der fantasievollen Bühnenadaption des Komponisten Fabian Künzli und der Librettistin Pamela Dürr ist unter der Regie von Nina Russi gelungen.

Theodor, ein verfilzter Teddybär, dem ein Ohr und ein Auge fehlen, wird in der Geschichte von ordnungsliebenden Eltern rücksichtslos auf die Abfallhalde geworfen. Hier lernt er das lädierte Steckenpferd Kaspar und die kopflose Trachtenpuppe Resi kennen. Gemeinsam machen sich die ausrangierten Spielzeuge auf den Weg nach Tripiti, einem entrückten Sehnsuchtsort, wo die Kinder auch mit ihnen lachen, spielen und einschlafen möchten. Die Weggeworfenen krabbeln aus der Müllhalde, bereisen fremde Länder, trotzen Naturgewalten und finden neue FreundInnen.

Prächtige Tableaus, präzise Richtung

Im Bühnenstück ist die Odyssee eingebettet in den Traum des kleinen Max, der sein geliebtes Stofftier natürlich nimmer hätte entsorgen lassen. Diese Rahmenhandlung fehlt in Hans-Ulrich Stegers Vorlage aus dem Jahr 1967. Zunächst vorwiegend als politischer Karikaturist bekannt, schuf der heute 92-jährige Zürcher Maler damit einen Kinderbuchklassiker. 1976 doppelte er mit «Wenn Kubaki kommt» nach und produzierte damit ein weiteres Kultwerk.

«Mama, wo bleibt die Kuh?», piepst es von der hinteren Sitzreihe. Nicht nur beim Personal musste das Bühnenwerk gegenüber dem Original naturgemäss Abstriche machen. Schmerzhaft, aber nachvollziehbar ist der Verzicht darauf, Stegers prächtige Tableaus einzubringen. Mit dem Weglassen der bunten Landschaftsbilder geht der Abenteuerreise auch der geografische Bezug verloren. Wenngleich im Buch nicht explizit benannt, ist die Route klar und präzise: Die Spielzeugtruppe um Teddy Theodor reist über einen Schweizer Alpenpass ins Südtirol, über die Hügellandschaft Sloweniens in die Tiefebenen Slawoniens, auf dem Floss die Save hinunter in die jugoslawische Hauptstadt Belgrad, durch die Sumadija in den Süden, ins mazedonische Skopje und schliesslich an den griechischen Ägäishafen Thessaloniki, von wo aus sie ein Fischer zum Dorf Tripiti auf der Halbinsel Chalkidiki verschifft.

Utopia bleibt kein Traum

Steger verarbeitete mit «Tripiti» die Erlebnisse verschiedener Balkanreisen, die er mit seinem Citroën Deux Chevaux in den fünfziger und sechziger Jahren getätigt hatte. Wie nicht wenige seiner Landsleute faszinierte ihn damals das Jugoslawien weitab des anlaufenden Massentourismus an der Adriaküste. Im Neben- und Durcheinander von sozialistischer Moderne und seiner als orientalisch wahrgenommenen Zurückgebliebenheit diente das Land als Projektionsfläche für die Sehnsüchte westlicher Reisender. So zeigen die Illustrationen neben Fabrikschloten, Wolkenkratzern und Autobahnen auch Nutzvieh auf den Strassen, Basare, Minarette und «Zigeunerromantik» mit Tanzbären. Hilfsbereite EinwohnerInnen helfen den Reisenden; jugoslawische Spielzeuge wie der Traktorist Mischa, die Babuschka und der Turner Ali schliessen sich ihnen an.

Der Kern von «Reise nach Tripiti» bleibt in der Familienoper gut erhalten. Sie handelt von einer solidarischen Schicksalsgemeinschaft ausgestossener Kreaturen, die sich voll Hoffnung auf den beschwerlichen Weg in eine bessere Zukunft aufmachen. Ihr Utopia bleibt kein Traum. Gemeinsam lässt sich vieles erreichen. Dass die Spielzeuge ihrer Heimat auf der heuer wohlbekannten «Balkanroute» entfliehen – in umgekehrter Richtung –, darf das Publikum getrost im Hinterkopf behalten.

«Reise nach Tripiti», Theater Winterthur. Weitere Vorstellungen am 3., 5. und 6. März 2016.