Unternehmenssteuerreform III: Die neue Avantgarde aus der Waadt
Von der SP hätte man das nicht erwartet: die voreilige Einführung der dritten Unternehmenssteuerreform. Mit 87 Prozent Ja-Stimmen haben die waadtländischen StimmbürgerInnen am vergangenen Sonntag die Vorlage des sozialdemokratischen Staatsrats Pierre-Yves Maillard angenommen. Das heisst, dass (frühestens 2019) die Gewinnsteuern für alle Unternehmen von 21,65 auf 13,8 Prozent gesenkt werden sollen.
Auf den ersten Blick ist das verblüffend, zumal die Waadt im Vergleich überaus fortschrittlich ist: In kaum einem anderen Kanton sind linke Ideen so mehrheitsfähig und Sozial- und Gesundheitswesen besser ausgebaut. Und nun das: eine finanzpolitische Reform, bei der selbst vernunftbegabten bürgerlichen PolitikerInnen die Schamesröte ins Gesicht schiessen könnte.
Mit diesem Volksentscheid könnte die Waadt eine weitere Avantgarderolle in der Schweiz einnehmen, mit der radikalkapitalistische Grossumbauten mit einem sozialen Touch verkauft werden. Denn, o ja: So einfach kommt man beim waadtländischen Publikum mit einem so tiefen Bückling gegenüber Multis und Grosskonzernen nicht zum Erfolg. Wohl darum verknüpfte der Staatsrat die massive Senkung der Gewinnsteuern für Unternehmen mit einem «Sozialpaket». Will heissen: einer Erhöhung der finanziellen Unterstützung für Familien, einer Verdoppelung der Beiträge des Staats und der Unternehmen an die Tagesbetreuung sowie einer Begrenzung der Krankenkassenprämien auf zehn Prozent der Haushaltseinkommen.
Funktioniert so der zeitgenössische Kuhhandel: Grosskonzernen wie Nestlé, McDonald’s oder Bobst pro Jahr Millionen von Franken schenken – und der Bevölkerung das Ganze mit ein paar zusätzlichen Brosamen schmackhaft machen? Um auf diese Weise die effektive Umverteilung, die dabei herauskommt – die von unten nach oben –, elegant zu verschleiern?
Wie tiefgreifend sich die zu erwartenden Steuerausfälle auf den Service public und den Arbeitsmarkt auswirken werden, darüber streiten sich die Parteien. Die radikale Linke und die Gewerkschaften, die das Referendum gegen die Vorlage lanciert haben, befürchten Schlimmes.