Ukraine/Donbass: Eine friedliche Lösung wird immer unwahrscheinlicher
Das neue ukrainische Parlament ist gespickt mit rechtsradikalen Abgeordneten und ehemaligen FrontkämpferInnen. Sie setzen sich für ein hartes Vorgehen im Donbass ein.
Nach den Parlamentswahlen werden Petro Poroschenko und Arseni Jazenjuk auch in Zukunft die Geschicke des Landes gestalten. Die rechtsradikalen Parteien Rechter Sektor und Swoboda sind mit 1,6 beziehungsweise 4,7 Prozent beide an der Fünfprozenthürde gescheitert. Doch Präsident Poroschenko, der wie kein anderer ukrainischer Politiker für eine Verhandlungslösung mit dem Osten des Landes steht, fuhr mit 22 Prozent ein unerwartet niedriges Ergebnis ein. Und trotz der Niederlage der rechtsradikalen Parteien werden auch dem neuen Parlament rechtsradikale Abgeordnete und ehemalige FrontkämpferInnen angehören, die auf ein hartes Vorgehen im Krieg mit dem Donbass setzen.
So hatte das Freiwilligenbataillon Donbass beschlossen, verstärkt politisch Einfluss in Kiew zu nehmen und gemeinsam mit der Partei Selbsthilfe zu den Wahlen anzutreten. Zahlreiche KombattantInnen der Freiwilligenverbände, die im Osten des Landes ausserhalb der Kontrolle Poroschenkos kämpften, sind nun im Parlament. Einer von ihnen ist der direkt gewählte Dmitri Jarosch, Chef des Verbands Rechter Sektor. In Kiew ist Andri Bilezki, Kommandant des Freiwilligenbataillons Asow und Chef der rechtsradikalen Gruppierung Patrioten der Ukraine, über ein Direktmandat gewählt worden. Bilezki lässt sich gerne als «weisser Führer» bezeichnen. «Er steht für Neonazismus pur», so Kyryl Savin, Chef des Kiewer Büros der Heinrich-Böll-Stiftung. Für die Partei Selbsthilfe führt der Abgeordnete Sergej Sementschenko, Kommandant der Freiwilligeneinheit Donbass, derzeit Koalitionsgespräche.
Verbündete KämpferInnen
Die Abgeordneten der bewaffneten Freiwilligenverbände machen deutlich, dass sie im Parlament nicht als StatistInnen wahrgenommen werden wollen. Am vergangenen Montag erklärte Andri Bilezki, die neuen Abgeordneten, die zuvor im Donbass gekämpft hätten, würden parteienübergreifend eine eigene Plattform gründen. BeobachterInnen wie der Kiewer Politologe Wladimir Fesenko fürchten, dass die KombattantInnen eines Tages in einer konfliktreichen Situation ihre bewaffneten KameradInnen zu einem Marsch auf Kiew aufrufen werden. Ein erster Konflikt der selbstbewussten Frontkämpfer mit anderen Abgeordneten ist bereits programmiert: Man werde alle Abgeordneten, die für die diktatorischen Gesetze von Expräsident Janukowitsch gestimmt hatten, am Zugang zum Parlament hindern, liess die Gruppe der Abgeordneten um Bilezki mitteilen.
Falls sich die KombattantInnen durchsetzen, könnten 64 gewählte Abgeordnete ihr Mandat nicht ausüben. Und sollten die Abgeordneten bei ihrem Versuch, trotz der geplanten Blockade ins Parlament zu kommen, die Kiewer Polizei einschalten wollen, werden sie auch dort auf wenig Verständnis stossen: Am Dienstag hatte Innenminister Arsen Awakow den stellvertretenden Kommandanten des Freiwilligenbataillons Asow, Wadim Trojan, zum Milizchef des Gebiets Kiew ernannt. Trojan, der nach Angaben der ukrainischen Ausgabe der «Komsomolskaja Prawda» auch Mitglied bei den rechtsradikalen Patrioten der Ukraine ist, kündigte sofort nach seiner Ernennung an, Milizionäre aus Kiew in den Osten zu entsenden, um ihnen die Möglichkeit zu bieten, «sich zu stählen».
Kaum Verhandlungsspielraum
Für Poroschenko, der auf einen Ausgleich mit dem Osten des Landes zielt und dessen Partei sogar im russischen Fernsehen als die «Partei des Friedens» bezeichnet wird, dürfte es eng werden. Sein wichtigster Koalitionspartner, die Volksfront von Arseni Jazenjuk, fordert ein härteres Vorgehen gegenüber dem Donbass. Und die Abgeordnetengruppe von KommandantInnen der Freiwilligenverbände wird sämtliche Bemühungen, einen Kompromiss mit dem Osten zu suchen, blockieren. Poroschenko weiss, dass er nur dann mit Mehrheiten rechnen kann, wenn er sich unnachgiebig verhält. Für eine friedliche Lösung dürfte es bei dieser Konstellation kaum noch Handlungsspielraum geben. Noch sind die Koalitionsverhandlungen nicht abgeschlossen. Doch eines steht schon jetzt fest: Die BefürworterInnen einer radikalen militärischen Lösung des Konflikts werden die Mehrheit haben.
In einer ersten Reaktion auf die Wahlen vom 2. November in den «Volksrepubliken» von Lugansk und Donezk kündigte Poroschenko an, dem Donbass den angekündigten Sonderstatus nicht zuzusprechen. Die Aufständischen, so der Präsident, würden sich einem Dialog verweigern. Für dieses Vorhaben ist sich Poroschenko einer Mehrheit im Parlament sicher.
Hass sät neuen Hass
Der Krieg entwickelt sich nach eigenen Gesetzen. Derzeit befinden sich rund tausend UkrainerInnen als Kriegsgefangene in den «Volksrepubliken». In der Ukraine wiederum werden 860 Aufständische als Gefangene festgehalten. Beide Seiten misshandeln ihre Gefangenen. «Nie habe ich mir vorstellen können, dass ich irgendwann einmal in meiner Heimat in Gefangenschaft geraten würde», berichtet der 27-jährige Anatoli Kononow gegenüber dem «Reporter». Er habe sich nie an den Kämpfen beteiligt. Irgendwann sei er von Freiwilligeneinheiten gefangen genommen worden, nur weil er leere Patronenhülsen von der Strasse aufgelesen hatte. In der Gefangenschaft sei er von den Bewaffneten gefoltert worden. Erst dort habe er sich entschieden, nach seiner Freilassung aufseiten der Aufständischen zu kämpfen.
Doch es gibt auch Hoffnungsschimmer: Informelle Quellen berichten von einer Einigung zwischen Donezk und Kiew über den Verkauf von Kohle aus dem Donbass in verschiedene Städte der Ukraine. Ausserdem verhandeln derzeit Vertreter der «Volksrepublik Donezk», des ukrainischen Generalstabs und Russlands über ein Ende der Kämpfe am Donezker Flughafen.
Wahlfälschungen vermutet
Kaum hatten die Wahllokale am 26. Oktober in der Ukraine geschlossen, häuften sich Meldungen über Wahlfälschungen. So wunderten sich viele WählerInnen über das sprunghafte Ansteigen der Wahlbeteiligung. Diese war am Wahltag in der letzten Stunde vor der Schliessung der Lokale um 20 Uhr von 41 auf 50 Prozent nach oben geschnellt. BeobachterInnen halten es für unwahrscheinlich, dass sich fast 20 Prozent der UrnengängerInnen nach Einbruch der Dunkelheit zum Gang ins Stimmlokal entschlossen hatten.
Kommunistenchef Petro Simonenko beklagte sich, seine Partei habe wegen Drangsalierung und Verfolgung durch Behörden und Rechtsradikale keinen echten Wahlkampf führen können. Ein Wahlbeobachter kommt zu dem Ergebnis, dass es vor allem in Wahllokalen nahe der Front zu Manipulationen im grossen Stil gekommen sei. Man habe sich den Umstand der Kämpfe in unmittelbarer Nähe zunutze gemacht und deswegen weder internationalen noch nationalen BeobachterInnen einen Besuch der Wahllokale ermöglicht.