Geschichte der Prohibition: Der Drogenkrieg des Coiffeursohns

Nr. 15 –

Kommende Woche werden bei der Uno die Rauschmittel zum Thema. Inzwischen haben die meisten erkannt: Die repressive Politik ist gescheitert. Über die Anfänge einer tödlichen Strategie.

Zur moralischen Abschreckung verbreitet: Bild einer «Opiumhöhle» in San Francisco aus den zwanziger Jahren. Foto: Unbekannt, Library of Congress

Vor 45 Jahren lancierte Richard Nixon eine Kampagne, die als «War on Drugs» in die Geschichtsbücher einging. Der republikanische US-Präsident verfolgte eine Utopie: eine Welt ohne Drogen. Seither hat Amerika mit williger Unterstützung der Uno diesen «Krieg gegen Drogen» in die Welt getragen.

Dabei sind Wissenschaftler und Aktivistinnen genauso wie viele PolitikerInnen und Fachleute längst zur Erkenntnis gelangt, dass dieser Krieg nicht zu gewinnen ist. «Der von den USA ausgerufene ‹War on Drugs› ist verloren, die Antidrogenstrategie der westlichen Industriegesellschaften ist gescheitert, mag man das im autoritär-konservativen Lager auch noch so energisch bestreiten», bilanzierte der deutsche Soziologe Günter Amendt bereits 1995 bei einer Anhörung der Grünen.

Drogenpolitik ist Machtpolitik

Der Architekt dieser Politik war allerdings nicht Präsident Nixon selbst. Vielmehr war die Strategie, die er sich später zu eigen machte, jahrzehntelang vorbereitet worden. Und von Anfang an war Drogenpolitik auch eine Politik der sozialen Kontrolle und der Ausgrenzung. Die Grenzen zwischen legalen und verbotenen Rauschmitteln wurden dabei im Verlauf der Zeit immer wieder und recht willkürlich neu gezogen – je nachdem, wer gerade welche Droge konsumierte. Drogenpolitik war stets auch Klassenkampf.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde diese Grenze als Trennlinie zu den chinesischen ImmigrantInnen gezogen, die zum Arbeiten in US-Grossstädte kamen. Der unter ihnen verbreitete Opiumkonsum diente als Ausgangspunkt für die Politik der Prohibition. «Die opiumfeindliche Haltung der USA war von Anfang an in starkem Mass durch rassische Gesichtspunkte und rassistische Motive bestimmt», schreibt Jakob Tanner in einem Essay zur Geschichte der Drogenprohibition. «Fantastische Schilderungen von Opiumhöhlen, die in den Ausschmückungen von Moralaposteln alsbald zu reinen Inkarnationen aller kleinbürgerlichen Ängste, zu Orten der Unsittlichkeit und des physisch-psychischen Zerfalls gerieten, machten die Runde», so der Historiker weiter. 1909 wurde die Einfuhr von Rauchopium unter Strafe gestellt, während Drogen, die vornehmlich in der Oberschicht verbreitet waren, vorerst legal blieben. 1912 mündete diese repressive Politik dann unter dem Druck der USA in die internationale Opiumkonvention – die Geburtsstunde der Prohibition.

Wenige Jahre später wurde unter dem Druck der Abstinenzbewegung Alkohol verboten. Während der dreizehnjährigen Prohibition entstand in den USA ein lukrativer Schwarzmarkt. Die staatliche Repression schuf die Geschäftsgrundlage für berüchtigte Mafiabosse wie Al Capone, der in Chicago einen einträglichen Schmuggelhandel aufbaute.

In dieser turbulenten Zeit erhielt die amerikanische Drogenbehörde FBN einen neuen Chef: Harry J. Anslinger, Sohn eines Coiffeurs, der aus Bern eingewandert war. Er wurde zum Protagonisten der Prohibitionspolitik – erst recht, als die Behörde nach der Alkoholfreigabe ein neues Betätigungsfeld brauchte. Der «Krieg gegen Drogen» wurde zu Anslingers Lebensaufgabe.

Zu seinen ersten Opfern gehörten die ÄrztInnen, wie der britische Journalist Johann Hari in einem Buch über den Drogenkrieg schreibt. Tausende MedizinerInnen wurden für das Verschreiben von Drogen an Suchtkranke kriminalisiert, Süchtige damit in die Illegalität getrieben.

Dann begann Anslinger seinen persönlichen Kampf: gegen die Musik. «Jazz war das Gegenteil von allem, woran Anslinger glaubte. Jazz improvisiert, ist entspannt, ist frei und kaum an Noten gebunden. (…) Für Anslinger war Jazz musikalische Anarchie und ein Beleg für die Existenz primitiver Triebe, die in den Schwarzen nur darauf lauerten, ausbrechen zu können», so Hari. So geriet auch die wohl grösste Jazzsängerin der Welt in den Fokus: Billie Holiday. Nach jahrelanger Schikane und Kriminalisierung verstarb die Musikerin mit 44 Jahren bitterarm und schwer heroinabhängig in einem New Yorker Spital, bewacht von den Agenten des FBN. Drogenpolitik war stets auch Machtpolitik.

Die Utopie der drogenfreien Welt

Während seiner gesamten Karriere war der Spross eines Berners damit beschäftigt, die Minderheiten in den USA auszugrenzen. Und er liess die Medien Geschichten über die «Killerdroge Cannabis» verbreiten, die Einstiegsdroge, die Menschen zu Bestien mache. Geschichten, die bis heute unsere Wahrnehmung prägen. Wie sich herausstellen sollte, waren viele von ihnen frei erfunden.

Mittels Uno-Konvention wurde diese Politik 1961 auch international durchgesetzt. Und als die Jugend gegen den Vietnamkrieg aufbegehrte und im Zuge der 68er-Bewegung der Konsum von LSD und Marihuana zunahm, entfachte Richard Nixon den Antidrogenkampf erneut.

Seither ist in den USA ein hochprofitables, kommerziell betriebenes Gefängnissystem entstanden, in dem überwiegend schwarze und lateinamerikanische Jugendliche in grosser Zahl für Drogendelikte ins Gefängnis wandern. Zudem schufen staatliche Repression, radikale Prohibition und die Kriminalisierung Süchtiger eine Milliardenindustrie. Mächtige Kartelle haben in den «Drogen produzierenden Ländern» die staatlichen Strukturen in weiten Teilen ersetzt. Die USA haben Armee und Polizei immer weiter aufgerüstet – ohne nennenswerte Erfolge. Und der Handel mit Drogen gehört auch zu den einträglichsten Einnahmequellen von Terrororganisationen.

Nixons martialische Rhetorik wurde dabei zur selbsterfüllenden Prophezeiung. Bis heute sind als Folge seines Feldzugs unzählige Menschen gestorben. Die drogenfreie Welt blieb derweil weiterhin Utopie: Der Konsum ist unverändert, bei manchen Drogen steigt er sogar.

Eine Pointe der Geschichte

Auf die Drogenhysterie folgte dann doch ein gewisser Paradigmenwechsel. In den achtziger Jahren waren in den Grossstädten «Drogenszenen» entstanden. Krankheit, Elend und Gewalt wurden weithin sichtbar. Jakob Tanner sieht in ihrer Entstehung auch eine politische Entscheidung. «Drogen erfüllten eine gesellschaftliche Funktion, indem sie der moralischen Mehrheit in drastischer Weise zeigten, wohin es führt, wenn vom Pfad der Tugend abgewichen wird», schreibt der Historiker. Die Medien spielten bei dieser Moralisierung eine entscheidende Rolle: Sie zeigten mit dem Finger auf «Fehlentwicklungen» – und verstärkten dadurch die Marginalisierung.

Dabei zeigte sich nicht zuletzt am Zürcher Platzspitz in den achtziger Jahren das Scheitern der bisherigen Drogenpolitik. Mit polizeilicher Repression löste sich die «Drogenszene» nicht auf. Als der Platzspitz 1992 geschlossen wurde, verlagerte sie sich nur. Weltweit war vom Zürcher «Needle Park» zu lesen. Auch die neue Szene am Bahnhof Letten wurde aufgelöst, diesmal traf man jedoch weitere Massnahmen: Die Behörden richteten Fixerstuben ein, verteilten saubere Spritzen, der Staat gab Heroin auf Rezept ab. Die Repression jedoch blieb.

Eine besondere Pointe der Geschichte ist wohl: Derweil das Kind eines Schweizers den «Krieg gegen Drogen» ersann, fand man ebendort eine Antwort. Statt auf Kriminalisierung setzte man auf «Schadensminderung» und begann, den Heroinmarkt zu regulieren.

Seither haben auch andere Länder mit der restriktiven Politik von USA und Uno gebrochen. In Portugal setzt man seit fünfzehn Jahren auf Entkriminalisierung. Uruguay hat genauso wie einzelne US-Bundesstaaten den Konsum von Cannabis legalisiert. Und in Schweizer Städten wird über eine Legalisierung diskutiert.

Kommende Woche wird sich die Uno-Vollversammlung mit der Drogenpolitik befassen. Dies geschieht auf Wunsch von Kolumbien, Mexiko und Guatemala – Ländern, die genau wissen, was der «War on Drugs» bedeutet. Bei der letzten Konferenz 1998 war man noch dem Prohibitionsdogma der USA gefolgt: «Eine drogenfreie Welt – Wir schaffen das!»

Dass die Uno den «Krieg gegen Drogen» nun beendet, ist unwahrscheinlich, dafür bräuchte es die Zustimmung aller Mitglieder. Am Anfang einer anderen Politik steht jedenfalls die dringliche Erkenntnis, dass es eine drogenfreie Gesellschaft nicht geben kann. Für Günter Amendt, der die drogenpolitischen Debatten bis zu seinem Tod im Jahr 2011 mit prägte, war eine solche Gesellschaft sowieso bloss eine «totalitäre Fantasie».

Günter Amendt: «Legalisieren! Vorträge zur Drogenpolitik». Rotpunktverlag. Zürich 2014.
Johann Hari: «Drogen. Die Geschichte eines langen Krieges». S. Fischer Verlag, London 2015.
Jakob Tanner: «Kurze Geschichte und Kritik der Drogenprohibition im 20. Jahrhundert». Zeitenblicke 8/2009. Online abrufbar: www.zeitenblicke.de/2009/3/tanner

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