Geschlechtsangleichung: «Entgegen gängiger Ansicht hat Testosteron keinen Einfluss auf den Charakter»

Nr. 15 –

Erst macht es einen giggerig, dann wandert das Fett von der Seite nach vorn, und die Schuhgrösse wächst um zwei Nummern. Was das Sexualhormon Testosteron so alles mit einem anstellt – ein Erfahrungsbericht.

«Mit der Behandlung angefangen habe ich im Alter von 54, das ist heutzutage vergleichsweise spät. In der DDR, wo ich aufgewachsen bin, hätte es sogar Möglichkeiten für eine Geschlechtsangleichung gegeben, das war damals dort vielleicht sogar einfacher als im Westen, aber ich hatte niemanden, mit dem ich darüber hätte sprechen und meine Worst-Case-Szenarien diskutieren können. Als Frau gefühlt habe ich mich nie, schon bei meiner ersten Beziehung mit sechzehn hatte ich das vollkommen klare Gefühl, dass ich der Freund meiner Freundin bin. Aber, wie gesagt, ich war damit vollkommen allein, und erst als ich im Jahr 2004 meine jetzige Partnerin kennenlernte, konnte ich darüber reden – das war der entscheidende Punkt – und den Weg endlich beginnen. Die Vornamensänderung ging bei mir recht schnell und war schon 2005 erledigt.

Um Testosteron zu erhalten, braucht man ein ärztliches Rezept und die Diagnose eines Psychologen oder einer psychiatrisch tätigen Ärztin, dass man ‹transsexuell› ist.

Bei mir ging es los mit einem Gel, das man sich einmal täglich auf den Arm oder auf die Schulter schmiert, also auf Körperpartien mit wenig Fett. Nach dem Auftragen sollte man für zwei bis drei Stunden keinen Hautkontakt zu anderen Menschen haben, damit sich das Hormon nicht überträgt. Der erste auffällige Effekt des Testosterons – bevor alles andere kam – war bei mir eine enorm gesteigerte sexuelle Ansprechbarkeit. Die überkam mich mehrmals am Tag, und zwar heftig, sodass es wirklich schon lästig wurde. Meine Freundin fragte dann auch: ‹Bleibt das etwa so?›

Einmal ertappte ich mich dabei, dass ich einer wildfremden Frau, die gerade eine Getränkekiste in ihr Auto hob, aufs Decolleté schaute. So etwas war mir vorher noch nie passiert. Ich dachte: ‹Was ist denn jetzt los?› Es war wirklich unangenehm und in Teilen auch anstrengend.

Seitdem ahne ich, dass die Pubertät für Bio-Jungs eine ganz schwierige Zeit ist. Wenn man nicht das richtige Alter hat, um einzusortieren, was da passiert, kommt fast zwangsläufig mancher Unsinn heraus. Die Phase des extrem starken Sextriebs dauerte bei mir ungefähr ein halbes Jahr an, dann reduzierte sich das langsam und pendelte sich ungefähr wieder auf das Mass von vorher ein.

Plötzlich diese Bierwampe

Das Testosterongel zu Beginn ist gut, um herauszufinden, ob man den Stoff verträgt und welche Dosis man braucht. Ich bin dann auf ein Depotpräparat umgestiegen, was sehr viel einfacher ist. Alle drei Monate gibts eine Spritze, intramuskulär, und das wars dann. Ich gehöre zu den Menschen, die nicht merken, wenn der Testosteronpegel sinkt. Andere spüren das deutlich, aber ich muss mir immer den Termin für die Spritzen aufschreiben. Anhand der Blutwerte lässt sich nachprüfen, welches der richtige Rhythmus für die Testosterongabe ist.

Also, die sexuelle Ansprechbarkeit war der erste Effekt. Dann vergrössert sich die Klitoris, was die eigene Vorstellung von dem, was man da zwischen den Beinen hat, befördert und vereinfacht.

Das muss man sich jetzt aber nicht als monströs gross vorstellen, so ist es nun auch wieder nicht. Die Stimmveränderung trat bei mir auch ziemlich schnell ein, bereits nach ein paar Wochen schon. Ich hatte nicht diese Art Stimmbruch, die andere beschreiben, also dass man eine Weile zwischen der alten und der neuen Tonlage hin- und herschwankt. Meine Stimme ging einfach kontinuierlich runter. Und dann kam ein bisschen Haarwuchs im Gesicht und an Armen und Beinen.

Hier gibt es extreme Unterschiede. Manche Transmänner haben schon nach ein paar Wochen einen richtigen Vollbart, kriegen oben eine Glatze, und die Haare quellen aus dem Hemd heraus. Bei mir hat das ewig gedauert, eigentlich bis jetzt, dass ich langsam, aber sicher einen Bart tragen kann. Brustbehaarung habe ich leider nicht. Oder Gott sei Dank, je nachdem, wie mans sieht.

Was auch relativ zügig vonstattengeht, ist die Fettumverteilung. Sofern man vor dem Testo übergewichtig war, kriegt man plötzlich eine Bierwampe, dafür wird es an Hüfte und Arsch weniger. Das ist wirklich so! Egal wie sich das Gewicht verändert, die Hosen passen am Becken immer noch, weil sich diese Stelle kaum verändert, dafür wölbt sich der Speck oberhalb des Gürtels – mehr oder weniger. Das Fett wandert von der Seite nach vorne, von der lateralen in die frontale Dimension sozusagen. Wenn man sich im Spiegel betrachtet, sieht man auch ganz deutlich, dass die seitliche Ausdehnung weg ist und irgendwie alles gerade wird. Ich glaube, deshalb finden sich dicke Männer nach wie vor attraktiv: weil man von vorne das Fett nicht so sieht. Das wäre meine Hypothese.

Pumpen und schwitzen

Die Muskelmasse nimmt zu. Ich habs überhaupt nicht mit Sport, deshalb kann ich nicht beurteilen, wie weit sich das zusätzlich auch noch durch Training weiter aufbauen lässt. Manche machen ja einen Kult draus. Also ich nicht. Ich habe nur in der Alltagspraxis erlebt, dass plötzlich Dinge ganz einfach gehen, die vorher nicht immer klappten, wie etwa Schraubgläser aufmachen. Also man hat ein bisschen mehr Kraft. Vor ein paar Monaten war ich bei einer Freundin auf dem Land, wo man das Wasser per Pumpe aus dem Brunnen holen musste. Mir hat das gar nichts ausgemacht, dauernd Wasser zu pumpen, ich habs als ganz normal empfunden. Nur an der Reaktion der anderen merkte ich, dass das wohl recht kräftig war.

Ein wichtiger Punkt ist auch, dass ich nicht mehr friere. Ich kann mich gut daran erinnern, dass ich früher immer ein bisschen fröstelig war, empfindlich auf Zugluft reagierte und darauf achtete, dass die Fenster bei Kälte geschlossen waren. Das ist komplett weg, mir ist eher alles zu warm, und ich schwitze öfter, als mir lieb ist.

Ach ja, und die Füsse wurden länger, ich habe jetzt Schuhgrösse 41 statt 39. Irgendetwas wächst da, vielleicht die Knochenzwischenfugen oder so etwas. Manche berichten auch von Wachstumsschmerzen, wie man sie als Kind manchmal hat. Aber das betrifft wohl eher Jüngere. Ich hatte das nicht.

Was auch noch auffällig ist, dass ich Süsses nicht mehr so mag. Kuchen oder Marmelade sind mir jetzt oft zu zuckrig, und ich könnte unmöglich eine Tafel Schokolade auf einmal aufessen. Mittlerweile macht sich Haarausfall bemerkbar – die Geheimratsecken sind grösser geworden, und auch sonst lichtet sich das Kopfhaar.

Von wegen Männer sind Macker

Entgegen gängiger Ansicht hat die Einnahme von Testosteron keinen Einfluss auf den Charakter. Man wird kein anderer Mensch. Das gilt für mich, aber auch für viele andere Transmänner, die ich kenne. Weder bin ich aggressiver geworden, noch habe ich mich persönlichkeitsmässig verändert. Ich war schon immer ein bisschen bissig in Diskussionen, habe den Meinungsstreit geliebt, bereits zur Schulzeit. Heute bin ich diesbezüglich sogar eher gelassener, sanfter, was wohl daran liegt, dass die ‹Baustelle› Geschlechtsidentität für mich vorbei ist, und ausserdem wird man ja auch älter und gelassener.

Also, ich bin keinesfalls dominanter geworden. Ich kenne natürlich Transmänner, für die das zum Selbstbild gehört: Männer sind Macker. Die laufen dann auch so rum. Die nehmen Testosteron als Begründung und als Erlaubnis, sich verhalten zu dürfen, wie sie es vorher schon gerne gewollt hätten. Ich denke dann immer nur: Oje. Aber ob man sich nun im Kampfmodus und konkurrierend durch die Welt bewegt oder nicht, das hat mit Hormonen nicht viel zu tun. Das ist sehr viel Kultur. Manche Frauen konkurrieren genauso wie manche Männer, und es gibt Männer, die mit Kampf und Konkurrenz wenig am Hut haben. Mittlerweile ist auch durch Studien belegt, dass es keine Eins-zu-eins-Beziehung zwischen Testosteron und Aggressivität gibt.

Wovon hängt meine Identität als Mann ab? Ich kann diese Frage genauso wenig beantworten wie andere Männer. Für mich ist das eine rein körperliche Geschichte. Und deswegen hätte ich das alles auch gemacht, wenn ich einsam und allein auf einer Insel leben würde. Es ist nicht die böse Gesellschaft, die mich dazu zwingt, mich geschlechtlich auf die ‹andere Seite› zu begeben. Ich lass mich doch von der Gesellschaft nicht zwingen, etwas zu tun, das ich nicht selber will. Was für eine absurde Idee! Mein Körper passte nicht zu dem Bild, das ich von ihm habe. Ich nehme Testosteron wegen der Stimme, wegen des Bartes und der Körperkontur. Die Brustentfernung war für mich in gleicher Weise zentral. Ich fühle mich jetzt wohl, weil Inneres und Äusseres nun zusammenpassen.

Es ist ein im akademischen Raum, aber auch in der Lesbenszene gern und häufig gemachter Fehler, Trans als irgendwie Drittes neben Frau und Mann und quasi als Musterbeispiel für die Dekonstruktion des geschlechtlichen Dimorphismus zu sehen. Das ist ein fundamentales Missverständnis.

Die ‹Subversion von Geschlecht› lebt nur eine verschwindend geringe Minderheit. Die grosse Mehrheit fühlt sich in dem binären Muster wohl. Sie wollen dann vielleicht innerhalb dieses Modells ihren eigenen Ausdruck finden. Also, ich selbst bin als Mann kein Macker und kein Sexist. Aber das ist noch keine Absage an die Binarität der Geschlechter. Man kann diese infrage stellen, aber ich wüsste jetzt nicht so richtig, warum. Sofern das Verhältnis zwischen den verschiedenen Geschlechtern auf Augenhöhe stattfindet, ist der Unterschied sowieso wurscht. In Skandinavien kann man das schon ansatzweise erleben. In der DDR war es ähnlich. Da spielte das Geschlecht eine eher untergeordnete Rolle.

Gefährliches Zwischenstadium

Bevor ich 2005 mit der Behandlung anfing, hatte ich mit meiner Partnerin verschiedene Szenarien durchgespielt, etwa, was ich mache, wenn das Testosteron gar nicht anschlägt und ich weiterhin so aussehe wie vorher, oder wenn ich irgendwo im Prozess zwischen beiden Geschlechtern hängen bleibe. Das wäre ja die schwierigste Situation. Mit Geschlechtsuneindeutigkeit können die meisten Menschen nicht umgehen, und das war meine Sorge. Als ich mit der Testosteroneinnahme begann, merkte ich deutlich, dass die Leute anfingen zu tuscheln. Einmal zeigte ein Kind in der U-Bahn auf mich und rief: ‹Mama, ist das ein Mann oder eine Frau?› Dieses Zwischenstadium ist ein gefährlicher Zustand, weil er Aggressionen provoziert. Unangenehm ist auch, wenn man im früheren Geschlecht angesprochen wird und die Sache dann richtigstellen muss. Das ist peinlich – auch für die andere Seite. Denn Geschlecht zu erkennen, gilt ja als eine Kernkompetenz im Umgang miteinander.

Die Umstellung hat etwa ein Jahr gedauert. In dieser Zeit habe ich schon auf die Reaktionen der anderen geguckt, war eher ein wenig ängstlich. Aber dann war schliesslich alles richtig. Es fühlte sich gut an und wie erledigt. War abgehakt auf der To-do-Liste. Hatte auch lange genug gedauert.

Seit etwa zehn Jahren nehme ich also Testosteron. Im Moment experimentiere ich unter Aufsicht einer Ärztin mit sogenannten naturidentischen Hormonen. Da werden aus Wurzeln, Yamswurzeln zum Beispiel, Substanzen extrahiert, die testosteronähnliche Wirkung haben. Das ist relativ neu, so eine Art Biotestosteron, eben nicht synthetisch gewonnen. Mal schauen, ob damit dieses permanente Schwitzen aufhört. Denn das nervt schon.»

Dieser Text erscheint Anfang Mai in der Zeitschrift «Wespennest» Nr. 170 mit dem Schwerpunkt «Testosteron».