«Mitten in Deutschland: NSU»: Die scharfen Küsse der beiden Uwes
Eine jüngst ausgestrahlte ARD-Trilogie zeichnet die Geschichte der rassistischen Terrororganisation NSU nach. Das ist aufklärerisch gemeint, aber trotzdem zu wenig.
Als Rainald Goetz 2012 «Johann Holtrop» veröffentlichte, einen zeitdiagnostischen Roman über den Spitzenmanager eines internationalen Medienkonzerns, bemängelten so manche KritikerInnen, die Personen seien ohne jedes Mitgefühl geschildert worden. Von «einer eintönigen Abscheu-Inszenierung» war etwa in der FAZ die Rede, einer «Giftzwergprosa», durch die man nichts über die inneren Konflikte erfahre. Dabei war dies das Abgefahrene an dem Roman: Das empathielose System totaler ökonomischer Herrschaft wurde nicht von irgendwelchen emotionalen Unterhaltungselementen zugekleistert.
Über die Filmtrilogie «Mitten in Deutschland», die die Geschichte der rassistischen Terrororganisation NSU nachzeichnet, lässt sich nichts Vergleichbares sagen. Hier wird aus allen Rohren gemenschelt – als dürfte dem Fernsehpublikum die radikale Empathielosigkeit des Rassismus auf keinen Fall zugemutet werden.
Der erste, von Christian Schwochow verfilmte Teil der Trilogie erzählt vom Werdegang der NSU-TäterInnen in den neunziger Jahren. Er zeigt Beate Zschäpe so, wie sie sich selbst im aktuellen Verfahren zu präsentieren versucht: als eher unpolitisches Mädel, das durch ihre Liebe zu zwei Männern, ostdeutsche Langeweile und ein paar dumme Zufälle in den Naziuntergrund abdriftet. Anders als vor dem Oberlandesgericht in München, wo die echte Zschäpe angeklagt ist, wird diese Sozialarbeitererzählung allerdings aufwendig illustriert: die kollektive Euphorie auf den Nazikonzerten, das lustige Herumflippen in der Nachbarschaft, die scharfen Küsse der Uwes … Nur mal so als Gegenhypothese: Wären mechanisch-funktionaler Sex, soziale Angepasstheit und Autoritätshörigkeit als Eigenschaften einer rassistischen Politisierung in Deutschland nicht viel plausibler?
Polizist mit Dackelblick
In «Die Opfer», dem zweiten, von Züli Aladag inszenierten Teil, geht es inhaltlich zwar deutlich klarer zu, doch die Ästhetik bleibt erschreckend ähnlich. Offensichtlich wissen TV-RedaktorInnen, wie man narrativen Einheitsbrei produziert. Im Mittelpunkt steht hier die Geschichte Semiya Simseks, der Tochter des ersten NSU-Opfers, des 2000 in Nürnberg ermordeten Blumenhändlers Enver Simsek. Als Opferperspektive und Dokumentation der Ermittlungen ist der Film sehr sehenswert. Chronologisch wird noch einmal alles gezeigt: wie die Mordkommission die Familie Simsek zu Tatverdächtigen macht. Wie sie Hausdurchsuchungen gegen die Opfer organisiert, Geld der Familie beschlagnahmt, einen Schwarzgeldprozess eröffnet, aus ermittlungstaktischen Gründen sogar eine Liebhaberin des Ermordeten erfindet und ihm Verbindungen zur Drogenszene andichtet.
Doch dieser realistische Blick ist weniger das Verdienst des ARD-Teams als von Semiya Simsek selbst, deren Buch «Schmerzliche Heimat» dem Drehbuch als Grundlage diente. Durch die Mühle der Fernsehredaktionen gequirlt, wird auch der Rassismus der Behörden irgendwie zur Herzenssache: Der ermittelnde Polizist zeigt grosses Mitgefühl für die Menschen, denen er nachstellt. Selbst dass er die verwitwete Ehefrau mit der erfundenen Geliebten regelrecht in den Wahnsinn treibt, ist irgendwie nicht böse gemeint. Im deutschen Fernsehen kann man die inneren Konflikte der Hauptpersonen (anders als bei Rainald Goetz) sehr gut mitverfolgen: Polizist Hegemann muss immer wie ein Dackel schauen, wenn die Behörden zur Hausdurchsuchung einreiten.
Dass bei so viel emotionaler Identifikation in erster Linie auf Close-ups gesetzt wird, versteht sich von selbst. Ob Täter oder Opfer – die Personen, die dem Publikum nahegebracht werden sollen, füllen gefühlte fünfzig Prozent der Sendezeit den Bildschirm aus. Da so viel Nähe in Anbetracht der eher vorhersehbaren Charaktere – die aus der Bahn geratene Nazibraut; das Einwanderermädchen, das sich nach oben kämpft – schnell langweilig zu werden droht, zappelt die Kamera mächtig herum.
Falsche Emotionalität
Da ist man über den letzten Teil, «Die Ermittler», schon fast ein wenig erleichtert. Florian Cossen hat als dritter Regisseur des Projekts einen klassischen Krimi über die erfolglosen Ermittlungen der Thüringer Polizei gedreht, in dem ein Zielfahnder immer wieder vom Verfassungsschutz (VS) bei den Recherchen behindert wird. Eine Karnevalsfeier im Thüringer Landesamt des VS gerät zur Metapher für den NSU-Skandal. Der Zielfahnder steht vor der schrillen Geheimdienstparty wie vor einem Spiegelkabinett: Keine Ahnung, was da läuft, aber es ist reichlich bizarr.
In einem Interview mit der «Zeit» haben die Regisseure Schwochow, Aladag und Cossen ihre Arbeit als Material gegen rechts beschrieben. Und bei aller Kritik sind die Filme das auch irgendwie. Immerhin wird Deutschland, wo die AfD gerade zur Volkspartei aufsteigt und die Naziband «Frei.Wild» den Musikpreis der Phonoindustrie einheimst, noch einmal damit konfrontiert, dass Rechte hier weitgehend ungestört töten können (seit 1990 mehr als 180 Mal), dass Ermittlungsbehörden die Täterschaft von RassistInnen regelmässig vertuschen und militante Nazistrukuren von den Geheimdiensten mit aufgebaut wurden. Schon allein dafür, dass so etwas zur besten Sendezeit gesagt wird, muss man den MacherInnen der Trilogie dankbar sein. Dass es das Fernsehpublikum nicht wissen will, ist die andere Seite des Problems: Mit 2,3 bis 2,9 Millionen ZuschauerInnen blieben die Filme unter den Quotenerwartungen der ARD.
Doch gut gemeint ist eben noch lange nicht gut gemacht. Auf die eigentlichen Fragen der NSU-Affäre können emotionale Identifikationsangebote wahrscheinlich nur falsche Antworten liefern. So hinterlässt die Trilogie einen ganz ähnlichen Eindruck wie der (im Film eingebaute) Auftritt Angela Merkels auf der Gedenkfeier für die NSU-Opfer: Deutschland versucht, sich selbstkritisch mit sich selbst auszusöhnen. Mehr Sozialarbeit gegen die Radikalisierung von Jugendlichen! Behandelt eure Einwanderer nicht wie Fremde! Mehr Kontrolle der Geheimdienste durch die Demokratie! … Das sind die Botschaften, die die Fernsehtrilogie verbreitet. In Anbetracht dessen, dass Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos dreizehn Jahre in einer eher überschaubaren Stadt im Untergrund leben konnten, sie von Informanten des VS regelrecht umstellt waren, Zeitungen und Ermittlungsbehörden die Opfer begeistert zu Verdächtigen machten, niemand – auch die Linke nicht – skeptisch wurde und die Geheimdienste hinterher sogar noch grössere Vollmachten erhielten, ist das allerdings ein bisschen wenig.
Statt der Fernsehfilme schaut man sich also lieber die ebenfalls von der ARD ausgestrahlte Dokumentation «Der NSU-Komplex» von Dirk Laabs an. Die liefert zwar auch keine abschliessende Antwort darauf, wieso sich der Naziterror so unbehelligt ausbreiten konnte und kann, aber sie zeigt immerhin Zusammenhänge auf. Zum Beispiel, dass der NSU-Terrorist Uwe Mundlos Anfang der 2000er Jahre für die Baufirma des VS-Spitzels Ralf Marschner arbeitete und dass über dessen Unternehmen 2001 just zu dem Zeitpunkt Fahrzeuge angemietet wurden, als der NSU Morde in Süddeutschland verübte. Oder dass Marschner nach diesen Morden abgeschaltet und mit einer neuen Identität ausgestattet wurde.
Wie andere V-Leute lebt er heute übrigens in der Schweiz.
«Mitten in Deutschland: NSU». 3 DVDs. 2016. Eurovideo / ARD. 20 Franken.