Kommentar: Erpressungen bei den Vereinten Nationen

Nr. 25 –

Die Vorwürfe, dass die Uno nicht so unabhängig und unparteiisch ist, wie sie es gemäss ihren humanitären Prinzipien eigentlich sein müsste, reissen nicht ab. Zuerst war da die Beichte von Uno-Generalsekretär Ban Ki Moon, dass er Saudi-Arabien aus einem Jahresbericht gestrichen hatte, der die schlimmsten Kinderrechtsverletzungen in Kriegsgebieten auflistet. Die Saudis hätten damit gedroht, ihre Beiträge für etliche Uno-Programme zu stoppen. Und seit letzter Woche liegt eine Evaluation auf dem Tisch, die zum Schluss kommt, dass die Uno-Hilfe in Syrien höchst einseitig sei und letztlich die Kriegsfähigkeit des Assad-Regimes aufrechterhalte.

Dies müsste die Uno eigentlich zum Anlass nehmen, endlich grundlegende Probleme anzugehen. Doch im Fall der saudischen Erpressung bleibt Ban bei einem Appell an die Mitgliedsländer stehen. Und bei der Syrienhilfe negieren die betroffenen Uno-Organisationen sämtliche Vorwürfe.

Fast die ganze in Syrien koordinierte Lebensmittelhilfe ist in Gebiete geflossen, die vom Assad-Regime kontrolliert werden – je nach Zeitraum zwischen 88 und 99 Prozent, so das zur Uno gehörende Welternährungsprogramm. Die oppositionelle Organisation The Syria Campaign wirft in ihrer Evaluation den Uno-Hilfsorganisationen vor, über das notwendige Mass hinaus mit dem Regime zu kooperieren, das für den grössten Teil aller im Krieg getöteten ZivilistInnen verantwortlich sei.

«Für uns ist längst der Zeitpunkt gekommen, an dem die Uno in Syrien mehr Leid verursacht als lindert», sagt Salma Kahale von Dawlaty, einer der 56 NGOs, die den Bericht mitunterzeichnet haben. Die Uno übernimmt laut diesem Bericht einen Teil der Grundversorgung, etwa im Gesundheits- oder Bildungsbereich. Damit werde die Regierung indirekt subventioniert und erhalte die Möglichkeit, Hilfsmittel für ihre Kriegseinsätze zu missbrauchen. Die Uno könnte aber viel mehr Druck auf die syrische Regierung ausüben, denn sie sei für die Versorgung ihrer Gebiete voll auf die Uno-Hilfe angewiesen.

Ein Uno-Sprecher bezeichnet die Vorwürfe als «unwahr». Man könne in diesem hoch politisierten Kontext das Prinzip der Unparteilichkeit nicht vollkommen aufrechterhalten: «Sonst müssten wir die ganze Hilfe stoppen.» Man dürfe nicht vergessen, dass die syrische Regierung als Vertreterin eines souveränen Landes in der Uno-Generalversammlung sitze.

Diese pragmatische Rechtfertigung kommt einer Bankrotterklärung gleich. Denn es gehört zu den eisernen humanitären Prinzipien, dass die Hilfe unparteilich und unabhängig von irgendwelcher Regierungspolitik geleistet werden muss.

Auch Bans Erklärung im Fall Saudi-Arabien enthält eine realpolitische Bankrotterklärung. Immerhin hatte sein Schritt an die Öffentlichkeit zur Folge, dass das saudische Vorgehen in einem PR-Desaster endete: Die Liste der Kinderrechtsverletzer hätte keine hohen Wellen geschlagen, aber so verbreitete sich die Nachricht, dass die saudisch geführte Koalition letztes Jahr im Jemen wohl über 1100 Kinder getötet oder verletzt hat. Ansonsten rief Ban mit seiner Rechtfertigung aber schlicht in Erinnerung, wie machtlos die Uno in Wirklichkeit ist: Letztlich haben es allein die Mitgliedstaaten in der Hand, die Grundsätze der Vereinten Nationen zu verteidigen.

Dass dabei das Gesetz der Mächtigeren und Reicheren gilt, ist nicht neu. Vor einem Jahr – es ging um den gleichen Jahresbericht zur Verletzung von Kinderrechten in Kriegsgebieten – kamen die ErpresserInnen aus den USA. Sie drohten, dass der Kongress den Geldhahn zudrehen könnte, falls Israel nicht von dieser Negativliste verschwände – was dann auch stillschweigend geschah.

Eigentlich ist das alles nicht erstaunlich. Schliesslich ist die Uno keine Weltregierung, wie es VerschwörungstheoretikerInnen glauben machen wollen. Die Uno ist ein Teil des Weltsystems und als solcher ein Spielball der Weltmächte. Und die haben im mächtigsten Uno-Gremium, dem Sicherheitsrat, ein Vetorecht. Ohne sie geht gar nichts. Es ist kaum ein Zufall, dass Ban mit Saudi-Arabien lediglich eine Regionalmacht kritisierte und kein ständiges Mitglied des Sicherheitsrats. Wirklich mutig wäre gewesen, wenn der Generalsekretär die Ohnmacht gegenüber den Eigeninteressen der USA, Russlands, Chinas, Frankreichs oder Britanniens angeprangert hätte.

Würde die Uno hingegen den Trend von Vereinnahmungen und Erpressungsversuchen durch Mitgliedsländer systematisch thematisieren, könnte sie ihre Glaubwürdigkeit zurückgewinnen. Und sie könnte den Schwung nutzen, um die seit Jahren im Raum stehenden Reformbemühungen zur Aufweichung des Vetorechts und zur Demokratisierung der Organisation in Angriff zu nehmen.