Von oben herab: Das Bier der Polizei
Stefan Gärtner über spiessiges Denunziantentum
Im Wallis ist ein uniformierter Polizist beim Bierverzehr erwischt worden, und «Leser-Reporter Jonathan traute seinen Augen nicht, als er (…) einen Polizisten in Uniform beim Bier sieht – gleich daneben stand sein Einsatzfahrzeug: ‹So etwas ist mir noch nie unter die Augen gekommen.› Das Bild hätte für ihn einen sehr schalen Nachgeschmack gehabt: ‹Der Polizist pfeift offenbar auf seine Vorbildsfunktion›, regt sich der Westschweizer auf», und zwar nicht auf dem lokalen Revier, sondern auf 20min.ch.
Eine Petitesse aus dem Sommerloch; aber nichts ist so klein, dass es nichts daraus zu lernen gäbe. Allein dass die sog. Leserreporter mit ihrer Paparazzo- als Denunziantenrolle so einverstanden sind, dass sie sogar an ihre Vorbildfunktion glauben, wenn sie Sensationen sofort der Presse und den asozialen Netzwerken melden, die auch von denen, die es angeht, als «kritische Öffentlichkeit» akzeptiert sind: «Der Verband Schweizerischer Polizei-Beamter VSPB will sich zwar nicht zum konkreten Fall äussern, aber: ‹Solche Bilder kommen bei der Bevölkerung meist nicht gut an›, sagt VSPB-Präsidentin Johanna Bundi Ryser. Polizisten in Uniform würden im Fokus der Öffentlichkeit stehen. (…) Sie müssten sich bewusst sein, dass heute jeder ein Handy dabei habe und damit Fotos machen könne. Diese würden wiederum schnell in den sozialen Netzwerken landen.» Da könnte man nun sagen: Scheiss auf die sozialen Netzwerke; aber kaum hat man das auch nur gedacht, landet es ja wieder ebenda.
«Was, wenn das Bier alkoholfrei war?» Diese Frage aus dem Kommentarbereich hat sich Leserreporter Jonathan so wenig gestellt wie der PR-bewusste Polizeiverband, der sich von Leserermittlern noch zeigen lassen muss, wie die Unschuldsvermutung geht: «Es stehen 3 Biere auf dem Tisch. Vermutlich waren mehrere Personen anwesend. Gehört das Bier wirklich zu ihm? Ein Foto, auf dem man ihn trinken sieht, würde meiner Meinung nach erst die ‹Untat› beweisen.» Am aufschlussreichsten allerdings die Auffassung, es sei völlig in Ordnung, wenn ein Uniformierter auch reguläres Bier trinke: «Na und, sind ja auch nur Menschen!», findet ein Ruedi aus (evtl.) Winterthur, und Platanero sekundiert: «Mann o Mann. Was sind wir für eine Spiessergesellschaft. Wie es scheint, haben wir in unserem Heidiland echt keine ANDEREN und RICHTIGEN Probleme»; und ein John findet den Polizisten «sympathisch, und es ist von Ironie gesegnet, dass wir eine so linke Politik haben, aber diese Leute so konservativ sind».
Und da sind sie dann wieder: die aus wirklich allem (Gift im Essen, Negerfrauenrechte, trinkende Polizisten) ein Problem machenden Korrektheitsspiesser, und das freut das Anti-Political-Correctness–Ressentiment, das aus jeder guten Frage einen Beweis für die Unmöglichkeit zimmert, ein von linken Moralaposteln unbehelligtes Leben zu leben, und zwar als nach Möglichkeit gedankenloses, instinktsicheres. «Wie konnte er sich nur erlauben, ein Bier oder evtl. nur ein Rivella zu trinken. was für eine wahnsinnig, unsinnige, gefährlich und verantwortungslose Handlung und dies noch in Uniform» – es ist dies der typisch halbliterate Vulgärsarkasmus aus den Netzforen, und die Ironie ist eine ganz andere: dass rechtes Denunziantentum die üblichen antikorrekten Idioten auf die übliche Spur des linken Denunziantentums setzt.
Das ist die Dialektik. Es ist zum Biertrinkenwollen.
Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.