Auf allen Kanälen: Die frechen Greise

Nr. 37 –

Eine Handvoll KP-Veteranen widersetzte sich mit ihrem Magazin ein Vierteljahrhundert lang dem Druck der chinesischen Parteispitze. Jetzt ist die Redaktion in einem Handstreich «gesäubert» worden.

Was der deutsche Journalist Johnny Erling im Juli beim geplanten Interviewbesuch auf der Redaktion des Beijinger Monatsmagazins «Die Zeitalter Chinas» erlebte, war selbst für den gestandenen Chinakorrespondenten eine Überraschung. Nicht die für ihre unorthodoxen und reformerischen Ansichten bekannten Redaktionsleiter – alles alte Männer von teils über neunzig Jahren – empfingen ihn. Stattdessen sah er sich zwanzig jungen MitarbeiterInnen des Kulturministeriums gegenüber, die ihn verständnislos anstarrten.

Diese hatten, so stellte sich heraus, zwei Nächte zuvor mithilfe der Polizei die Redaktionsräume im Westen von Beijing gestürmt. Nachdem sie alle Türschlösser, Computerpasswörter und Zugangscodes zur Website des Magazins ausgewechselt hatten, richteten sie sich mit Klappbetten und Decken häuslich in der Redaktion ein und waren nun daran, eine neue Ausgabe des Magazins zusammenzustellen.

Mit dem Handstreich dieses «kulturellen Einsatzkommandos» ist ein für die Volksrepublik China einmaliges Stück Mediengeschichte brüsk beendet worden. 1991, es war die «bleierne Zeit» zwei Jahre nach dem Massaker auf dem Tiananmenplatz, hatte sich eine Gruppe gestandener KP-Veteranen zusammengetan, um eine Monatszeitschrift zur Geschichtsforschung herauszugeben. Sie waren nach all dem Erlebten und Durchgestandenen, von der gescheiterten Wirtschaftspolitik und der Kulturrevolution unter Mao bis zum Ende der Demokratiebewegung unter Wirtschaftsreformer Deng Xiaoping, mit dem offiziellen Kurs der Partei nicht mehr einverstanden.

Aufruf zu politischen Reformen

Und so berichtete «Die Zeitalter Chinas» nicht nur Unverfängliches zu längst vergangener Historie, sondern deckte immer wieder katastrophale Folgen verfehlter Parteipolitik auf und ritzte Tabus der offiziellen Zeitgeschichte und der Gegenwart. Zum Beispiel die verheerenden Folgen von Maos forcierter Industrialisierungskampagne der späten fünfziger Jahre unter dem Motto «Grosser Sprung nach vorn». Yang Jisheng, mit 76 Jahren einer der jüngsten des Redaktionsteams, stiess noch während seiner Zeit als Propagandaschreiber für die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua (Neues China) während Recherchen darauf, dass der «Grosse Sprung» eine gigantische Hungersnot mit 35 bis 50 Millionen Toten verursacht hatte. Eine Entdeckung, die ihn zum überzeugten Gegner der Einparteienherrschaft gewandelt hat.

Denn Yang und die anderen alten Männer des Geschichtsmagazins sind überzeugt, dass der «Grosse Sprung», die nachfolgende Hungersnot und spätere Katastrophen wie etwa die gigantische Umweltverschmutzung der neuen Ära der Wirtschaftsreform die direkten Folgen davon sind, dass in China politischer Wettbewerb und ein System der Gewaltenteilung fehlen. Sie machten ihr Magazin zum Forum für Aufrufe zu politischen Reformen und zur Abkehr von der Einparteienherrschaft.

Repressalien wie die zeitweilige Aufhebung der Drucklizenz, die in China für die Publikation von Zeitschriften und Büchern notwendig ist, waren die Folge. Dass das Redaktionsteam sich trotzdem 25 Jahre lang den Unterdrückungsversuchen der Parteiführung ziemlich erfolgreich widersetzen konnte, liegt vor allem daran, dass «Die Zeitalter Chinas» mit 200 000 AbonnentInnen für chinesische Verhältnisse ein publizistisches Leichtgewicht von beschränktem Einfluss ist.

Demokratieexperimente!

Doch ab 2014 verschärfte sich die Lage, nachdem sich das Magazin erdreistet hatte, mit einer Artikelserie einzufordern, was Parteichef Xi Jinping zwei Jahre zuvor versprochen hatte: ein «neues Regierungssystem» einzuführen. «Die Zeitalter Chinas» verlangte Demokratieexperimente sowie Meinungs- und Debattierfreiheit. Darauf riss der KP-Führung unter Xi der Geduldsfaden. Die Redaktion des Magazins wurde der direkten Überwachung durch eine Abteilung des Kulturministeriums unterstellt.

Mittlerweile hat ein Gericht die Klage des alten Redaktionsteams gegen den Handstreich der Regierung letztinstanzlich abgelehnt. Die Redaktion von «Die Zeitalter Chinas» ist also «erfolgreich gesäubert», das letzte Sprachrohr der ReformerInnen mundtot gemacht. Damit aber wächst die Gefahr, um bei Yangs Argumentationsweise zu bleiben, dass China unter der Allmacht von Xi Jinping und seiner Einparteienherrschaft direkt auf die nächste Katastrophe zusteuert.