Neues aus der Wissenschaft: Odyssee im Weltraum
Stanley Kubrick würde erblassen vor Neid: Konkurrenz von einem realen Weltraumepos! Rosettas Mission, die am 30. September nach über dreissig Jahren zu Ende geht, hat in der Tat das Zeug zur Legende. Die Raumsonde der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) startete 2004 nach zwanzigjähriger Entwicklungszeit auf ihre über sechs Milliarden Kilometer lange Reise durchs All, um den Kometen Tschurjumow-Gerassimenko (Kosename Tschuri) zu erkunden und so Aufschluss über den Ursprung allen Lebens zu erhalten. Kometen tragen nämlich Materie aus dem Moment des Urknalls vor über 4,6 Milliarden Jahren in sich.
Dabei ist Tschuri ein recht unförmiger Kerl: Manche verglichen ihn schon mit einer Kartoffel mit Knubbel. Auch riecht er etwas streng, nach faulen Eiern und Rossstall. Rosetta ist das egal. Was hat sie im Verlauf ihrer Reise nicht alles auf sich genommen, damit das Rendezvous klappt: Dreimal hat sie mit sogenannten Swing-bys um die Erde Anlauf geholt, um dann mit einer Geschwindigkeit von über 71 000 Kilometern pro Stunde Tschuri entgegenzueilen, hat 957 Tage im künstlichen Winterschlaf verbracht, im Bauch ein Minilabor auf Spinnenbeinen namens Philae. Das waschmaschinenförmige Türmchen (andere sehen in Philae eher einen Kühlschrank) ist übrigens der tragische Held der Geschichte. Seine Landung am 12. November 2014 – weltweit live übertragen – geriet zum Debakel. Weil alle Landungssysteme versagten, hüpfte Philae wie ein Gummiball in Zeitlupe über die Oberfläche und kam ziemlich ramponiert irgendwo im Schatten zu stehen. Knapp sechzig Stunden übermittelte er noch Messdaten an Mama Rosetta, dann war der solarbetriebene Akku alle.
Da war Chefwissenschaftler Matt Taylor vielleicht doch etwas voreilig, als er sich im März 2014 Philae in Aktion hatte auf den rechten Oberschenkel tätowieren lassen. Seine fünfzehn Minuten Berühmtheit strich der britische Physiker ohnehin ein, als er mit einem bunt bedruckten Hemd zum BBC-Interviewtermin erschien: Die leicht bekleideten Blondinen darauf lösten einen veritablen Shitstorm unter dem Hashtag #shirtgate auf Twitter aus.
Ob Taylor dabei sein wird, wenn am 30. September die teuerste Mission in der Geschichte der europäischen Raumfahrt zu Ende geht? Es wird jedenfalls ein emotionaler Moment werden: «Nehmen Sie mit uns Abschied von Rosetta!» – mit diesen Worten lädt die Uni Bern, die an der Mission beteiligt ist, zum grossen Livefinale. Rosetta wird kontrolliert auf Tschuri abstürzen und dort auf ewig mit ihm vereint ruhen. Um 13.20 Uhr erwartet man ihr letztes Signal. Franziska Meister
Dank des Massenspektrometers Rosina der Uni Bern weiss übrigens die ganze Welt, dass Tschuri nach Schwefelwasserstoff und Ammoniak stinkt.