Die «Kronen Zeitung»: Das Schweinchen, das alles macht

Nr. 48 –

Das Boulevardblatt als Königsmacherin und Scharfrichterin. Die österreichische «Kronen Zeitung» verhindert Atomkraftwerke, hetzt gegen Kunstschaffende und beförderte den Aufstieg von Jörg Haider.

Österreich ist nicht nur ein von Lagerdenken, Korruption und Nepotismus zersetztes, demokratiepolitisches Entwicklungsland, das sich aus seiner kakanischen, obrigkeitshörigen Tradition bis heute nicht gelöst hat, es vertraut auch immer noch seinem Monarchen. Einem Regenten, der allerdings keinen mit Staubflusen gespickten Backenbart mehr trägt, nicht aus goldenen Kutschen winkt, auf Bällen tanzt oder Gämsen schiesst, sondern überall herumliegt und auf das Eigene, das Österreichische pocht. Der Regent Österreichs ist, halten Sie sich fest, eine Zeitung, und die heisst, na klar, wie könnte es anders sein: «Krone». Ein reisserisches Kleinformat, das den Community-Gedanken lang vor dem Internet verwirklicht hat, die Gemeinschaft der kleinen Leute. Oder der kleinen Geister? Jedenfalls ist diese «Kronen Zeitung» ein einzigartiges Phänomen, dem man mit Vergleichen mit der «Bild» oder dem «Blick» nicht gerecht wird. Trotz starker Konkurrenz durch Gratiszeitungen und das Internet kratzt die «Krone» bei leicht rückläufiger Auflage immer noch an der Millionenmarke, spricht man von zwei bis drei Millionen LeserInnen und einer Reichweite von über 43 Prozent.

Sein Papier gewordener Golem

Kaum ein Volksentscheid, der nicht durch diese Zeitung massgeblich beeinflusst worden wäre. 1976 stimmten die ÖsterreicherInnen mit der «Krone» gegen eine Inbetriebnahme des Atomkraftwerks Zwentendorf – und damit auch gegen den sonst sakrosankten Willen Bruno Kreiskys. Ein knappes Jahrzehnt später war man gegen die Zerstörung der Hainburger Aulandschaft, und wenn die «Krone» es gewollt hätte, wäre wohl auch ein EU-Beitritt verhindert worden. Atomkraftwerk? Aurettung? Gut, werden Sie jetzt denken, da hat sich eine Boulevardzeitung doch nicht für das Schlechteste eingesetzt. Aber das ist nur die eine Seite.

Die andere: Wie Kaiser Franz Josef himself hat der inzwischen verstorbene Zeitungsgründer und Herausgeber Hans Dichand die Politiker zum Rapport (und zu Gugelhupf) antreten lassen. Wenn ihm einer nicht zu Gesicht stand – wie etwa der erste (und damit letzte) humanistisch gesinnte Innenminister Caspar Einem –, so wurde er von der «Krone» einfach abgesägt. Dafür wurde der parteiunabhängige und selbsternannte Antikorruptionsritter Hans-Peter Martin derart unterstützt, dass er bei der Europawahl 2009 selbst die etablierten Parteien ins Wanken brachte. Jörg Haiders Aufstieg wäre ohne Sympathie vonseiten der «Krone» unmöglich gewesen. Auch die Wahl des in Kriegsverbrechen verwickelten Kurt Waldheim zum Bundespräsidenten (1986) wäre ohne den Jetzt-erst-recht-Steigbügel der «Krone» nicht zustande gekommen. Ihr letzter Günstling war Werner Faymann, der mithilfe des Kleinformats vom Wiener Stadtrat für Wohnbau zum Verkehrsminister und bald darauf zum Bundeskanzler aufstieg – eine Gunst, die über Gebühr (und wahrscheinlich schon fast in kriminellem Ausmass) in Form von Werbeinseraten an das Medium zurückgeflossen ist. Die «Krone» ernennt, duldet oder verabschiedet Politikerinnen und Präsidenten, wie es ihr beliebt. Und die «Krone» war von Anfang an Hans Dichand, der die Zeitung gemeinsam mit dem ehemaligen Persil-Angestellten Kurt Falk 1959 aus dem Nichts gezaubert hat – bezahlt mit Geldern der Gewerkschaft, angelehnt an eine Zeitung aus der Monarchie, als die «Krone» noch eine Währung war.

Hans Dichand, Sohn eines Grazer Schuhoberteilzuschneiders und einer Hausdame beziehungsweise Vorleserin bei einer Gräfin, gelernter Schriftsetzer, teilweise in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen, Kriegsfreiwilliger, war Journalist, Chefredaktor und schliesslich Zeitungsmacher mit jeder Faser seines Körpers. Er, der aussah wie vom Karikaturisten Erich Sokol gezeichnet, war in der Öffentlichkeit kaum präsent, das hatte er nicht nötig, war doch die «Kronen Zeitung» wie eine Fortsetzung seiner selbst, ein alles zuwachsender, dichandscher Auswuchs. Die «Kronen Zeitung» war sein Abbild, sein Papier gewordener Golem, der immer wieder auch eine monströse, menschen- und kunstverachtende Fratze entblösste. Wenn es galt, Leute zu diffamieren, war es stets die «Krone», die eine Stammtischmeinung lautstark in die Welt namens Österreich hinausposaunte.Ich erinnere mich noch gut an die «Lainzer Mordschwestern» – Krankenschwestern, denen Sterbehilfe nachgewiesen worden war. Eine von ihnen, nämlich die hübscheste, Waltraud W., landete auf der «Krone»-Titelseite, und darüber stand eine Überschrift wie eine Abrissbirne: «Das Schweinchen, das alles macht!» Im Blattinnern dann ein Bericht über ihr angeblich pekuniär gesteuertes Sexualleben. Etwas später stellte sich heraus, dass man die euthanasierende Krankenschwester mit einer Prostituierten gleichen Namens verwechselt hatte, die Entschuldigung fiel deutlich unscheinbarer aus … KünstlerInnen wie Thomas Bernhard, Hermann Nitsch oder Elfriede Jelinek wurden als Nestbeschmutzer, Staatsfeinde, Schweine beschimpft. Es herrschte eine aufgeheizte, reaktionäre Stimmung, ein täglicher, ins Kleinformat gepresster Shitstorm, von dem in dieser Form nur ein Bodensatz geblieben ist: der Kolumnist Michael Jeannée.

Das Erfolgsrezept?

Die «Krone», dieser unheimliche Regent, ist noch immer mächtig, wiewohl ihr Fundament schon Risse hat. Bereits die Bildung der schwarz-blauen Koalition im Jahr 2000 geschah gegen ihren Willen. Vier Jahre später wurde ihr Weltbild komplett erschüttert, der «Nestbeschmutzerin» Elfriede Jelinek wurde der Nobelpreis zuerkannt. Wie ging das mit der Panier des Patriotismus zusammen, in der doch alles hausbacken herausgebacken wurde? Gratiszeitungen wuchsen zu einer echten Konkurrenz heran, und Hans Dichand wurde altersmild und unentschlossen, bevor der Herausgeber des grössten Kleinformats, Österreichs «Berluskroni», 2010 verschied.

Seither versuchen seine ErbInnen, das als unsinkbar geltende Schlachtschiff durch die unruhig gewordenen Gewässer zu lenken. Sie machen das nicht ungeschickt. Zwar ist die politische Einflussnahme der «Krone» nicht mehr ganz so augenfällig, Werner Faymann konnte auch sie nicht halten, aber noch immer gilt: Würde sie sich im Präsidentschaftswahlkampf klar positionieren, die Wahl wäre entschieden.

Nun wird jedeR aufgeklärte EuropäerIn diese Machtfülle für Übertreibung halten – ist sie aber nicht. In Österreich herrscht die «Krone», die wahrscheinlich mehr Einfluss verwaltet, als die «Prawda» je besessen hat. Das ist nur möglich, weil sie sich selbst als unabhängig bezeichnet und nie eindeutig einer Partei zuzurechnen war. Sie schafft den unglaublichen Spagat, dass enorm viele, völlig unterschiedliche Gesellschaftsschichten denken, die «Krone» sei ihre Zeitung. Wie macht sie das? Was ist ihr Erfolgsrezept? Zuerst einmal ist die «Krone»-Familie eine verschworene Gemeinschaft, ein kleines, gallisches Dorf, das romantischen Widerstand leistet gegen die da oben, gegen das Establishment, die EU. Eine Gemeinschaft der Hausmeister und des Hausverstands, die Mitleid hat mit Erdbebenopfern, Flüchtlingskindern, herrenlosen Haustieren, sich für Astrologie und Habsburger ebenso interessiert wie für Siebenschläfer, das Cern oder das Schulsystem in Japan, sich aber auch heftigst echauffiert, wenn es gegen «afrikanische Drogendealer», «Asylbetrüger» oder «südosteuropäische Einbrecherbanden» geht.

Die «Krone» ist kein Festland mit klarer Ausrichtung, sondern ein aus vielen Inseln bestehendes Atoll. Jeder Österreicher ist ein Monolith, sein eigener Kleinstaat, und die «Kronen Zeitung» bildet das hervorragend ab. Zieht man das Fernsehprogramm, die Inserate (Autos und Kontaktanzeigen) und die zwei Doppelseiten über Prominente bei der Eröffnung einer öffentlichen Toilettenanlage, beim Weihnachtspunsch, einer Burenwurstverkostung oder sonst wo ab, besteht die Zeitung zur Hälfte aus Kolumnen. Ein breites Spektrum teils widersprüchlicher, polarisierender Meinungen. Das reicht von Michael Jeannée, einem grauslichen, in seinen menschenverachtenden Auswürfen kaum überbietbaren Ressentimenteur, der ein bisschen aussieht wie ein in Alkohol eingelegter Altyuppie, über die Meisterin der Empathie Conny Bischofberger bis zu Kardinal Schönborn.

Die Sehnsucht nach Kontinuität

Da kann ein Jeannée etwa den Polizisten freisprechen, der einen minderjährigen Einbrecher von hinten erschossen hat – «Wer alt genug zum Einbrechen ist, ist auch alt genug zum Sterben» –, weil sich ein paar Seiten später jemand liebevoll in die Psyche einer Verbrecherbraut einfühlt. Da kann mit dümmlichen Stereotypen über dealende Afrikaner hergezogen werden, wenig später findet sich ein Bericht über ein Entwicklungshilfeprojekt in Burkina Faso. Der Erfolg der «Krone» basiert auf ihrer Heterogenität, darauf, dass sie für ziemlich jeden etwas zu bieten hat: von der Bastelseite für Kinder über die Jugendecke bis zum Horoskop, Busenmädchen, Sudoku und natürlich ganz viel Sport. Dazu vier Seiten LeserInnenbriefe, von denen es heisst, sie seien redaktionell betreut oder gar selbstverfasst.

Der Österreicher hat Sehnsucht nach Kontinuität, und die «Krone», die gefühlt seit vierzig Jahren gleich aussieht, lässt die Welt so erscheinen, wie der Österreicher sie sieht. Vielleicht ist sie deshalb noch immer so beliebt?

Der 1967 als Franz Stefan Griebl in Vöcklabruck geborene Franzobel gehört zu den bekanntesten Autoren Österreichs. Er erhielt mehrere Auszeichnungen, unter anderem den Ingeborg-Bachmann-Preis und den Arthur-Schnitzler-Preis. Im Frühling 2017 erscheint sein neuer Roman, «Das Floss der Medusa», im Hanser-Verlag.