Österreich: Im Auftrag der Schwiegermutter

Nr. 26 –

All der Korruptionsskandale müde, rufen immer mehr ÖsterreicherInnen nach direkter Demokratie. Nicht alle sind begeistert.

Volksabstimmungen sind in Österreich ein rares Phänomen. Ältere erinnern sich noch an das Plebiszit im Jahr 1978, mit dem die Inbetriebnahme des bereits fertigen AKWs Zwentendorf verhindert wurde. Eine Sternstunde in der Geschichte der österreichischen Protestbewegung, die das Land bis heute atomstromfrei hält. Weit häufiger gibt es Volksbegehren, die aber im Gegensatz zu Volksabstimmungen unverbindlich sind. Kürzlich wurde das sogenannte Bildungsvolksbegehren, das die überfällige Modernisierung des Schulwesens beschleunigen sollte, nach einer Debatte im Parlament entsorgt. So ging es fast allen Vorgängerinitiativen auch. Denn wenn mindestens 100 000  Wahlberechtigte ein Volksbegehren einreichen, muss sich das Parlament zwar damit befassen, mehr aber nicht.

In den letzten Wochen kam die einst eher lahme Debatte über mehr direkte Demokratie in Schwung. Denn alle Parteien sehen sich unter Zugzwang: Die vielen Skandale, die allesamt nach Korruption auf höchster politischer Ebene riechen, haben das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik zerstört. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss befasst sich mit der Aufarbeitung dubioser Auftragsvergaben und Privatisierungsvorhaben, in deren Mittelpunkt fast immer der ehemalige Finanzminister Karl-Heinz Grasser steht. Grasser, der zuerst der rechtspopulistischen Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) angehörte und dann parteilos wurde, war vor einigen Jahren als amtierender Minister mit einer halben Million Euro im Koffer in die Schweiz und nach Liechtenstein gereist. «Im Auftrag der Schwiegermutter», wie er später treuherzig versicherte. Sie habe sein Geschick mit Finanzanlagen testen wollen.

Alle Parteien begeistert

Die Staatsanwaltschaft nahm Grasser ins Visier, weil bei praktisch allen von ihm eingefädelten Geschäften ein gewisser Walter Meischberger fette Provisionen für nicht nachvollziehbare Vermittlungen absahnte. «Wos woa mei Leistung?» (Was war meine Leistung?): Seine in einem Abhörprotokoll dokumentierte Frage an einen Geschäftsfreund, wie er bei einem Gerichtstermin seine Provision rechtfertigen solle, geniesst Kultstatus. Meischberger stieg unter Jörg Haider vom Tankstellenpächter zum FPÖ-Nationalratsabgeordneten auf und wurde durch Karl-Heinz Grasser zum Millionär.

Die Justiz ermittelt zudem gegen vier Minister der von Wolfgang Schüssel geführten Koalitionsregierung (2000–2007) zwischen seiner Österreichischen Volkspartei (ÖVP) und der FPÖ. Untersucht wird unter anderem, ob es sich bei fragwürdigen Provisionen um Kickbacks an Parteien oder PolitikerInnen gehandelt hat.

Den offiziellen Anstoss zu mehr direkter Demokratie machte im Mai der 25-jährige Staatssekretär für Integration, Sebastian Kurz, das derzeit populärste Kabinettsmitglied der krisengeschüttelten konservativen ÖVP. Er plädiert dafür, dass auf Volksbegehren, die von mindestens zehn Prozent der Wahlberechtigten getragen werden, verpflichtend eine Volksabstimmung folgen muss. Seither zeigt man sich in allen Parteien begeistert von der Idee, die Stimme des Volkes aufzuwerten.

Schweizer Bedenken

Nur Bundespräsident Heinz Fischer von der Sozialdemokratischen Partei Österreichs (SPÖ), ein ausgewiesener Verfassungskenner, bremst die Euphorie. In Kenntnis der politischen Traditionen in Österreich warnt er vor Manipulationen des WählerInnenwillens. Anders als in der Schweiz, die von den BefürworterInnen plebiszitärer Demokratie gerne als Vorbild herangezogen wird, gebe es hierzulande keine entsprechende Tradition.

SkeptikerInnen erinnern daran, dass Volksbegehren vor allem dann grossen Zulauf erhielten, wenn sich das auflagenstarke Boulevardblatt «Kronen Zeitung» in die Kampagne einschaltete. Und Hans Altherr, Präsident des Schweizer Ständerats, bedachte jüngst in österreichischen Medien, dass Volksabstimmungen «kein Allheilmittel» gegen Frustration über die Politik seien: «Das System muss von unten wachsen.»

In erster Linie hänge die Glaubwürdigkeitskrise der Politik sowieso in hohem Masse mit dem vorhandenen politischen Personal zusammen, schreibt der linke Kolumnist Robert Misik. Die Parteien sollten mit der Bürgerbeteiligung doch bei sich selbst beginnen und ihre KandidatInnen in Vorwahlen bestimmen lassen oder ermöglichen, dass die WählerInnen die Wahllisten abändern können.

Am 3. Juli sollen Pläne zu einer Wahlrechts- und Demokratiereform im Parlament diskutiert werden. Dann verabschiedet sich der Nationalrat in die Sommerpause. Im Herbst beginnt dann schon der Vorwahlkampf für die Nationalratswahlen 2013. Man kann davon ausgehen, dass die direkte Demokratie darin eine Rolle spielen wird.