Die Lehren von Standing Rock: Organisation und Widerstand sind nicht nutzlos

Nr. 49 –

Die kanadische Journalistin Naomi Klein befindet sich derzeit bei den Protestlagern gegen die Dakota Access Pipeline in North Dakota. Sie beschreibt, wie die Entscheidung der Behörden, ein umstrittenes Teilstück nicht zu bewilligen, vor Ort aufgenommen wurde.

«Ich war noch nie so glücklich abzuwaschen.» Ivy Longie sagts und lacht. Und dann weint sie. Und dann umarmen wir uns. Und dann noch einmal. Weniger als zwei Stunden zuvor erreichte uns die überraschende Neuigkeit: Das Army Corps of Engineers verweigert die Bewilligung, die Dakota Access Pipeline (DAPL) beim Indianerreservat Standing Rock unter dem Missouri hindurchzuführen. Die Betreibergesellschaft muss eine andere Route suchen und diese einer lang andauernden Umweltverträglichkeitsprüfung unterziehen.

So ein Sieg ist selten

Seit das bekannt ist, haben sich hier die mehreren Tausend WasserschützerInnen in den Lagern zu (vorsichtigen) Sieges- und Dankesfeierlichkeiten versammelt; es wird gejauchzt, es finden Umzüge statt, und es wird im Kreis getanzt. Im Familienhaus des Standing-Rock-Stammesabgeordneten Cody Two Bears beginnt derweil eine eher private Feier. Es kommen FreundInnen und Familienmitglieder zusammen, die im Zentrum der Kämpfe standen. Und deshalb muss abgewaschen werden. Und die Suppe muss gekocht werden. Und die Anrufe an die unentwegten UnterstützerInnen müssen gemacht werden, vom «Gasland»-Filmregisseur Josh Fox bis hin zur Ikone der Umweltbewegung Erin Brockovich. Und eine Facebook-Livevideoübertragung braucht es natürlich auch noch. Die Kongressabgeordnete Tulsi Gabbard aus Hawaii, Teil einer Delegation von Tausenden von VeteranInnen, die gegen die Pipeline protestieren, ist auch auf dem Weg hierher. Sie fühle sich «aufgekratzt», sagt sie, als sie schliesslich ankommt. Natürlich muss auch der Nachrichtensender CNN verfolgt werden, der zur Verblüffung aller hier die Entscheidung der Behörden als Verdienst der WasserschützerInnen bezeichnet (obgleich diese weiterhin als «Protestierende» bezeichnet werden).

Die Klimabewegung weiss bereits, dass Massenorganisierungen erfolgreich sein können. Wir lernten das kürzlich beim Kampf gegen die Pipeline Keystone XL und beim Widerstand gegen die geplanten Ölbohrungen von Shell in der Arktis. Siege werden üblicherweise nur Schritt für Schritt und, mit einiger Verzögerung, nach Massenaktionen errungen. Standing Rock ist anders. Diesmal war die Bewegung immer weiter angewachsen und befand sich in voller Kraft, als die Neuigkeit bekannt wurde. Der Zusammenhang zwischen dem Widerstand und dem Resultat ist klar und unbestreitbar. So ein Sieg ist selten, gerade weil er ansteckend ist, weil er den Leuten zeigt, dass Organisation und Widerstand nicht nutzlos sind. Und gerade weil bald Donald Trump im Weissen Haus sitzen wird, ist diese Botschaft so wichtig.

Die Jüngste hier betrachten viele als Ausgangspunkt dieser bemerkenswerten Bewegung: die dreizehnjährige Tokata Iron Eyes, eine mit beiden Beinen auf dem Boden stehende, aber zugleich auch verspielte Wasserkämpferin. Sie hatte sich mit ihren FreundInnen zusammengetan, um der Welt kundzutun, was für eine Bedrohung die Pipeline für ihre Gewässer bedeutet. Als ich sie frage, wie sich jetzt fühle, antwortet sie: «Als hätte ich meine Zukunft zurückbekommen» – und dann brechen wir beide in Tränen aus.

Jetzt ein Leben aufbauen

Jeder hier weiss, dass der Kampf nicht vorbei ist. Die Betreiberfirma wird die Entscheidung anfechten. Trump wird versuchen, sie rückgängig zu machen. «Die Rechtslage ist noch unklar, und es ist notwendiger denn je, die Banken, die in die Pipeline investiert haben, unter Druck zu setzen», sagt Chase Iron Eyes, der Anwalt der Standing Rock Sioux. Der Sieg macht auch die entsetzlichen Menschenrechtsverletzungen gegenüber den mehrheitlich indigenen WasserschützerInnen nicht ungeschehen; die Angriffe mit den Wasserwerfern, die Hundeattacken, die zahllosen Verhaftungen und die schweren Verletzungen, die mit sogenannten «nichttödlichen Waffen» herbeigeführt wurden. Die Verantwortlichen müssen zur Rechenschaft gezogen und die Opfer entschädigt werden.

Dennoch: Heute habe ich in diesem Raum mehr Erleichterung gesehen als je zuvor in meinem Leben. Don Two Bears, Codys Vater, sagt, als er eintritt: «Es ist nicht vorbei, aber es ist ein guter Tag.» Für seinen Sohn bedeutet es, dass nun die eigentliche Arbeit beginnen kann: Er will sich ein Leben aufbauen. Und sich für Alternativen zu fossilen Brennstoffen einsetzen, für Energie, die nicht Wasser verschmutzt und das Klima destabilisiert. Cody trägt einen roten Pullover, auf dem das Wort «Warrior» prangt. Zurückgelehnt in seinen Ledersessel, sinniert er über den Beginn der Kolonisierung, als seine Vorfahren den EuropäerInnen beibrachten, wie man in diesem rauen Klima überlebt.

«Wir lehrten sie, Nahrungsmittel anzubauen, sich warm zu halten und Wohnhäuser zu errichten.» Doch sie nahmen immer mehr, von der Erde und von den Indigenen. «Die Dinge wurden schlimmer», sagt Cody Two Bears. «Nun müssen die Ureinwohner dieses Landes den heutigen Bewohnern wieder beibringen, wie sie leben sollen. Nämlich indem sie die Segnungen nutzen, die der Schöpfer uns gegeben hat: die Sonne und den Wind. Wir beginnen damit hier in unserer indianischen Gegend. Und dann werden wir dem Rest des Landes zeigen, wie sie leben können.»

Dieser Text erschien zuerst in «The Nation». Aus dem Englischen von Daniel Stern.

Naomi Klein (46) ist eine kanadische Publizistin, Globalisierungskritikerin und politische Aktivistin. Jüngste Buchveröffentlichung: «Die Entscheidung. Kapitalismus vs. Klima». S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2015.