Verkehrspolitik: Viel Geld am falschen Ort

Nr. 49 –

Nach dem Sieg an der Urne suchen die Gegner:innen des Autobahnausbaus nach dem besten Weg in die Zukunft. Zentral ist die Frage, was mit den eingesparten Milliarden passieren soll.

Symbolbild: Strassenbaustelle mit Abschrankungen
Bauen, was die Kasse hergibt? Das Nein zum Autobahnausbau hat Begehrlichkeiten geweckt. Foto: Gaetan Bally, Keystone

Als sich am Abstimmungssonntag im Lager der Autobahnbefürworter:innen langsam die grosse Ernüchterung breitmachte, gab sich Thierry Burkart im Berner «Äusseren Stand» betont offen. «Wir haben unser Konzept präsentiert, und die Mehrheit hat es abgelehnt», sagte der FDP-Präsident gegenüber der WOZ. «Nun bin ich gespannt auf die Vorschläge der Gegenseite.» Bloss ein Stehtischchen weiter zeigte Parteikollege Christian Wasserfallen dann aber sogleich die Grenzen der freisinnigen Offenheit auf: «Hände weg vom NAF», sagte er bestimmt, «wir dürfen keine links-grünen Eingriffe zulassen!» Und gegenüber den Tamedia-Titeln führte Wasserfallen aus: Der Nationalstrassen- und Agglomerationsfonds, wie der NAF mit vollem Namen heisst, sei in der Verfassung verankert – «daran gibt es nichts zu rütteln».

Tatsächlich stellt sich nach dem monumentalen Nein zum Autobahnausbau die Frage, woran denn nun genau gerüttelt werden soll und darf. Auf linksgrüner Seite wird das Abstimmungsresultat als klares Zeichen dafür gewertet, dass die Bevölkerung die Verkehrswende will – also weg vom motorisierten Individualverkehr, hin zum öffentlichen und zum Langsamverkehr. In einer Medienmitteilung forderten die Grünen denn auch umgehend, die NAF-Milliarden «künftig verstärkt dem ÖV-Ausbau, dem Velo- und Fussverkehr und dem Lärmschutz zugutekommen» zu lassen. Also ganz im Sinne von Wasserfallens Schreckensszenario.

Auf dem Teppich bleiben

Der NAF existiert seit bald sieben Jahren. Gespeist wird er hauptsächlich durch den ­«Mineralölsteuerzuschlag», der auf Treibstoffe erhoben wird, sowie durch den Verkauf von Autobahnvignetten und die Steuer, die beim Autoimport zu entrichten ist. Seit 2021 flossen jährlich um die 2,7 Milliarden Franken in den Fonds. Damit werden hauptsächlich Unterhalt, Betrieb und Ausbau, aber auch «Engpassbeseitigungen» und «Kapazitätserweiterungen» des Autobahnnetzes finanziert. Einerseits, so lässt sich argumentieren, kommen Autofahrer:innen auf diesem Weg selbst für die Instandhaltung der Nationalstrassen auf. Andererseits bedeutet die Zweckbindung der Gelder auch, dass sich diese nicht anders verwenden lassen und – wie aktuell – von Budget- und Spardebatten unangetastet bleiben.

Verkehrspolitiker Jon Pult plädiert dafür, nach dem Abstimmungssieg «auf dem Teppich zu bleiben». Der SP-Nationalrat gibt zu bedenken: Auch wenn mit den fünf Milliarden Franken, die für die abgelehnten sechs Projekte budgetiert waren, nun keine neuen Autobahnen finanziert würden, sei der NAF gar nicht übervoll, wie gemeinhin angenommen wird. Während nämlich die Unterhaltskosten für die bestehende Strasseninfrastruktur stetig zunehmen würden, seien die Einlagen tendenziell rückläufig – nicht zuletzt deshalb, weil für die zunehmend verbreiteten Elektroautos kein Mineralölsteuerzuschlag beigesteuert werde. «Es ist nicht so, dass man nicht wüsste, wohin mit dem Geld», sagt Pult.

Ohnehin, findet Pult, sei eine komplette Zweckentfremdung der NAF-Gelder, etwa für den Klimaschutz, politisch nicht mehrheitsfähig. Stattdessen schlägt er einen pragmatischen Ansatz vor: Den grössten Nutzen würde es bringen, den Agglomerationsverkehr höher zu gewichten. Zwischen neun und zwölf Prozent der jährlichen NAF-Entnahmen fliessen von Gesetzes wegen in Agglomerationsprogramme, also in vorstädtische Projekte, die idealerweise in sinnvolle Verkehrskonzepte eingebettet sind. «Würde man den Agglomerationsanteil auf beispielsweise 25 Prozent erhöhen, brächte das substanzielle Veränderungen», sagt Pult. Denn: «Die Kantone haben tendenziell zu wenig Geld, um alle gewünschten Investitionen in den ÖV, in Velowege oder Verkehrslenkungsmassnahmen zu tätigen.»

Auch für eine solche Umgewichtung wäre eine gesetzliche Anpassung nötig. Was aber weitaus realistischer zu erreichen sei als eine Verfassungsänderung, sagt Pult.

Katastrophenschutz vom NAF?

Eine Woche nach dem Erfolg an der Urne klingt es bei den Grünen ähnlich pragmatisch. «Die Abstimmung hat klar gezeigt, dass die Zeit des Autobahnausbaus vorbei ist», ist sich Parteipräsidentin Lisa Mazzone weiterhin sicher. Aber auch sie ist überzeugt: Das grösste Potenzial für Verbesserungen liegt vorderhand in den Agglomerationen. Dort sei das ÖV-Angebot oft zu wenig attraktiv, weil die Regionen teils ungenügend an die Zentren angebunden und die Ticketpreise schlicht zu hoch seien.

Die Grünen fordern zudem, die heute bestehenden Autobahnen siedlungsverträglicher zu machen, etwa mittels Lärmschutzbauten. Und sie schlagen vor, künftig einen Teil der NAF-Gelder in Massnahmen zum Katastrophenschutz in Bergregionen zu investieren, um Infrastruktur und Dörfer besser vor den Folgen des Klimawandels zu schützen. «Da besteht ein dringlicher Bedarf, aber es kostet die betroffenen Gemeinden extrem viel», erklärt Mazzone. Die Logik liegt auf der Hand: Weil der Verkehr in der Schweiz für ein Drittel des CO-Ausstosses verantwortlich und somit wesentlicher Mitverursacher von Hitzewellen, Erdrutschen und Überschwemmungen ist, soll der NAF einen Beitrag zur Deckung der anfallenden Kosten leisten.

Allerdings ist unklar, ob der Fonds für entsprechende Massnahmen aufkommen darf. Zwar steht im betreffenden Verfassungsartikel, der NAF solle auch für «Beiträge an Schutzbauten gegen Naturgewalten und an Massnahmen des Umwelt- und Landschaftsschutzes, die der Strassenverkehr nötig macht», verwendet werden. Wie aber diese Passage in der Praxis genau auszulegen wäre, ist gerichtlich bisher ungeklärt.

Zudem würden die NAF-Gelder nicht im Ansatz ausreichen, um die vom motorisierten Individualverkehr verursachten externen Kosten zu decken. Dies wurde in einer im Oktober publizierten Studie im Auftrag des Bundesamts für Raumentwicklung erneut deutlich. Diese geht von einem neuen, zeitgemässen Berechnungsmodell aus, auf dessen Basis sehr viel höhere Kosten als noch in den vergangenen Jahren ausgewiesen werden. Wohl nicht zuletzt deshalb soll das Departement von SVP-Verkehrsminister Albert Rösti die Publikation gemäss NZZ zunächst verzögert haben.

Die in der Studie detailliert dargelegten Zahlen sind gewaltig: Der Strassenverkehr führte im Messjahr 2021 zu ungedeckten externen Kosten von fast 19,5 Milliarden Franken. Neben den verursachten Klimafolgen fallen vor allem die Gesundheitskosten ins Gewicht, die aufgrund von Luftverschmutzung und Unfällen entstehen. Ginge es nach dem Verursacher:innenprinzip, müssten die jährlich entstehenden Folgekosten mehrheitlich auf die Autonutzer:innen abgewälzt werden. Stattdessen werden sie von der Allgemeinheit getragen.