Auf allen Kanälen: Korso komplett für Deniz Yücel
Deniz Yücel ist der erste Korrespondent einer ausländischen Zeitung, der in der Türkei verhaftet wurde. Wie er mir beibrachte, niemals das Wort «kritisch» zu verwenden.
Die Bilder, die jetzt überall zu sehen sind, passen zu Deniz Yücels Schalk. Mit Kippe im Mundwinkel steht er vor kitschiger Bosporuskulisse, mit Sonnenbrille vor einem blau gekachelten türkischen Hotel. Die «Tagesschau» zeigt Videos einer Pressekonferenz, auf der Yücel mit riesigem Schnauz gewohnt lässig Angela Merkels Flüchtlingspolitik kritisiert.
Seit über einer Woche befindet sich der Journalist in Istanbul in Polizeigewahrsam – ohne Anklage oder richterlichen Beschluss, legitimiert allein durch den geltenden Ausnahmezustand. Vorgeworfen werden dem Türkeikorrespondenten der «Welt», der seit 2015 aus dem «Land mit freiste Presse wo gibt» (Yücel) berichtet, offenbar Datenmissbrauch, Terrorpropaganda und die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Nachdem er wochenlang untergetaucht war, stellte sich Yücel am 14. Februar den Behörden.
Konkret soll es um den «Fall Redhack» gehen. Das linke Hackerkollektiv, das in der Türkei als Terrororganisation gilt, hatte sich im vergangenen September Zugang zum E-Mail-Account des türkischen Energieministers und Erdogan-Schwiegersohns verschafft. In den Mails, die auf Wikileaks landeten, ging es um Recep Tayyip Erdogans Internettrollarmee und mutmassliche Verbindungen zum IS. Für mehrere Artikel griff auch Yücel auf die Enthüllungen zurück.
Einer von 153
Was die Grundlage für kritischen Journalismus ist, lehrte Deniz jüngere KollegInnen wie mich einst bei der «taz». Als ich dort anfing, schärfte er mir (neben vielem anderen) ein, das Wort «kritisch» sofort aus dem Vokabular zu streichen. «Wenn es einer nötig hat, mit einer Selbstverständlichkeit zu hausieren, kann man davon ausgehen, dass das Gegenteil wahr ist.»
Yücel ist einer von 153 Medienschaffenden, die derzeit in der Türkei inhaftiert sind. Er ist jedoch der erste Korrespondent einer ausländischen Zeitung, der im Gefängnis gelandet ist. Einigen seiner KollegInnen war die Akkreditierung entzogen, anderen nahegelegt worden, das Land zu verlassen. Weil der 43-Jährige neben dem deutschen auch den türkischen Pass besitzt, behandeln ihn die Behörden als einheimischen Journalisten. Bundeskanzlerin Merkel mahnte die Türkei an, «im Ermittlungsverfahren rechtsstaatliche Regeln einzuhalten». Angesichts des Ausnahmezustands ist dies Wunschdenken – auf die Forderung nach einer Freilassung verzichtete die Kanzlerin.
Die Unterstützung aus der Medien- und Kunstwelt war deutlicher. Der Berlinale-Chef reckte die Faust zum solidarischen Gruss. Die «Welt» titelte: «Wir sind Deniz». Und über 80 Wagen mit mehr als 300 GefährtInnen darin fuhren am Sonntag durch Berlin und hupten für Yücels Freilassung. Nichts könnte passender sein, nun, da er in einem türkischen Gefängnis sitzt. Selten hat jemand das verborgene Potenzial eines Autokorsos so ironisch beschrieben wie Yücel in der Wochenzeitung «Jungle World»: «Es dürfte nur eine Frage von Tagen sein, bis ein pfiffiger Türke versucht, aus der Lage Profit zu schlagen, und die erste Korsovermietung der Welt gründet. Korso mit scharf? Korso normal? Korso komplett!»
Gegen die Neider
Solidarisch waren jedoch nicht alle; der Türkeikorrespondent der FAZ vergriff sich gewaltig im Ton. Unter dem Titel «Einmal Türke, immer Türke?» warf er deutschen Verlagen vor, «Türken vom Dienst» (gemeint sind deutsche JournalistInnen mit türkischer Herkunft) über die Türkei schreiben zu lassen – für ihn Zeichen einer «Herkunftsgettoisierung im deutschen Journalismus». Abgesehen vom Rassismus dieser Aussage: Man braucht nur Yücels Texte zu lesen, um zu wissen, dass dies Unfug ist. Hautnah hatte der aus Flörsheim am Main stammende Journalist (damals noch bei der «taz») auf dem Taksimplatz miterlebt, wie die Hoffnungen einer ganzen Generation in Tränengas erstickt wurden. Kurz darauf erschien sein Buch «Taksim ist überall».
Genauso leidenschaftlich wie die Türkei verhandelt Yücel in seinen Texten auch Deutschland: «Endlich! Super! Wunderbar! Deutschland schafft sich ab!», heisst es in einem spöttischen Kommentar über den Geburtenrückgang. Yücel freut sich bereits, dass das Ende Deutschlands in greifbarer Nähe ist, denn: «Halbe Sachen waren nie deutsche Sachen (‹totaler Krieg›, ‹Vollkornbrot›).»
Der Polizeigewahrsam für Deniz Yücel wurde mittlerweile um eine weitere Woche verlängert. Der nächste Autokorso ist schon organisiert.