Die Zukunft der Nato: Druck zur Aufrüstung
Die USA verschärfen den Ton gegenüber den europäischen Nato-Staaten: Sie sollen ihre Militärausgaben massiv erhöhen. Ob diese da mitmachen, hängt auch von Russland ab.
Dieser Text über die nordatlantische Militärallianz Nato steht unter einem Vorbehalt: Auch dreieinhalb Monate nach Donald Trumps Wahl zum US-Präsidenten und über vier Wochen nach seiner Amtseinführung wissen wir noch nicht, welche Aussenpolitik der neue Mann im Weissen Haus denn nun tatsächlich betreiben wird. Auch die Münchner Sicherheitskonferenz vom letzten Wochenende erbrachte keine verlässliche Antwort.
Die europäischen Nato-Partner Washingtons sind verunsichert. Bereits im Wahlkampf hatte Trump gefordert, sie müssten ihre Rüstungsausgaben erhöhen. Die USA seien bislang die Dummen, weil sie für Europas Sicherheit mitzahlten. Kurz vor seinem Krönungsparteitag Ende Juli 2016 drohte er denjenigen europäischen Bündnispartnern, die sich nicht an getroffene finanzielle Vereinbarungen hielten und ihre Ausgaben erhöhten, mit dem Ende der Beistandsverpflichtung. Und an anderer Stelle sagte er gar: «Die Nato ist obsolet.»
Die USA profitierten von der Nato
Die Drohung mit einem Ende der Beistandspflicht hat Trump zwar nie mehr wiederholt, aber er hat sie auch nicht zurückgenommen. Wie ernst es ihm mit seiner Rhetorik gegen die Nato ist, bleibt offen.
Seine BeraterInnen dürften ihm inzwischen allerdings erklärt haben, dass die Nato auch mehr als ein Vierteljahrhundert nach dem Ende des Kalten Kriegs für die USA weiterhin das wichtigste Instrument darstellt, um in Europa Einfluss geltend zu machen und Kontrolle auszuüben. Zudem betreiben die USA einen Grossteil ihrer weltweiten militärischen Operationen von Einrichtungen in Deutschland und anderen europäischen Nato-Staaten aus. Die gegenseitige Beistandsverpflichtung im Fall eines Angriffs von aussen ist der Kern des Nato-Vertrags. Ihre Aufkündigung würde das für die USA so vorteilhafte Bündnis zerstören. Die europäischen Nato-Staaten sind also nicht so einfach erpressbar.
Die transatlantische Debatte über eine veränderte Lastenteilung findet bereits seit Jahrzehnten statt. 2014 beschlossen die RegierungschefInnen der 28 Nato-Staaten, die nationalen Militäretats bis 2024 auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) anzuheben. Diese Marke haben bislang nur die USA (3,6 Prozent), Griechenland (2,4 Prozent), Britannien (2,2 Prozent), Estland (2,2 Prozent) und Polen (2 Prozent) erreicht beziehungsweise überschritten.
Die neue US-Regierung macht nun von Anfang an klar, dass diese Vereinbarung eingehalten werden muss. Letzte Woche verlangte der neue Pentagon-Chef James Mattis von den 26 europäischen Nato-Mitgliedern, dass sie bis Ende des Jahres konkrete und verbindliche Pläne vorlegen, wie sie das vereinbarte Ziel bis 2024 erreichen wollen. Eine solche ultimative Forderung aus Washington hatte es in der Geschichte der Nato noch nie gegeben.
In Europa sind die neuen Töne sehr unterschiedlich aufgenommen worden. Die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) instrumentalisierte die Forderungen aus den Vereinigten Staaten sogleich zur Rechtfertigung ihrer eigenen massiven Aufrüstungspläne, für die sie bis 2030 zusätzliche Finanzmittel von mindestens 130 Milliarden Euro verlangt. Die Forderungen der Trump-Regierung seien «verständlich, weil die USA doppelt so viel Geld für die militärische Sicherheit ausgeben wie alle europäischen Staaten zusammen», erklärte von der Leyen. Dabei unterschlug sie allerdings, dass der überwiegende Teil der 664 Milliarden US-Dollar Militärausgaben der USA nicht für Aufgaben der Nato vorgesehen sind, sondern für globale Zwecke ausserhalb Europas.
Der neue deutsche Aussenminister Sigmar Gabriel hingegen bezeichnete die Umsetzung des Zweiprozentziels als «unrealistisch» und «unvereinbar mit der Finanzierung anderer dringender Ausgaben im Sozialbereich». In Deutschland könnte die Frage zu einem wichtigen Thema im Bundestagswahlkampf werden.
Zudem kündigt sich auch zwischen den europäischen Nato-Mitgliedern eine Kontroverse darüber an, welche finanziellen Aufwendungen eines Staates sicherheitspolitisch relevant sind. So kritisierte letzte Woche die Regierung Estlands, dass der Militäretat in Deutschland bislang nur bei 1,2 Prozent des BIP liegt. Die Regierung in Berlin konterte diese Kritik mit dem Hinweis, Deutschland habe 2016 rund 35 Milliarden Euro für die Unterbringung und Versorgung von knapp einer Million Flüchtlingen aufgewendet, während Estland nur wenige Hundert aufgenommen habe.
Einfluss Russlands
Ob die Militärausgaben in den europäischen Nato-Staaten in den nächsten Jahren tatsächlich signifikant ansteigen werden, hängt ganz wesentlich vom künftigen Verhältnis der USA zu Russland ab. Verteidigungsminister James Mattis, Vizepräsident Mike Pence sowie der einflussreiche republikanische Senator John McCain plädieren für eine Fortsetzung und Verschärfung des Konfrontationskurses gegenüber Moskau.
Das hätte auch Auswirkungen auf die europäischen Nato-Staaten, die die bisherige Politik von Sanktionen und Truppenstationierungen an der russischen Grenze mitgetragen haben. Sie wären im Fall einer Eskalation genauso wie die USA mit russischen Gegenmassnahmen konfrontiert. Ihre Militärausgaben würden sie dann wahrscheinlich auch ohne Druck aus Washington anheben.