Brasilien: Wenn Korruption zur Firmenkultur wird

Nr. 9 –

Der Skandal um den Baukonzern Odebrecht ist beispiellos – und könnte auch die Übergangsregierung von Präsident Michel Temer in den Abgrund ziehen.

Es geht um eine astronomische Summe: Rund eine Milliarde US-Dollar soll der brasilianische Baukonzern Odebrecht zwischen 2001 und 2014 an Hunderte Politiker und Funktionärinnen in mindestens zwölf Ländern Lateinamerikas gezahlt haben. Ziel war es, an lukrative Aufträge zu gelangen, insbesondere im Infrastrukturbereich: für den Bau einer Eisenbahn in Kolumbien, Bewässerungsprojekte in Peru, Strassen in der Dominikanischen Republik oder U-Bahn-Linien in Venezuela.

Odebrecht ist mit 130 000 MitarbeiterInnen Lateinamerikas grösste Baugruppe und hat Expertise in den unterschiedlichsten Bereichen: Energie, Logistik, Immobilien, Chemie, Umwelttechnik.

Warum nur wirft ein Marktführer über Jahre hinweg so viel Geld in die Rachen korrupter PolitikerInnen? In der Dominikanischen Republik etwa wendete Odebrecht mehr als die Hälfte der Summe, die später als Einnahmen verbucht wurden, für Schmiergelder auf. Eine Antwort mag sein, dass es im globalisierten Bausektor üblich ist zu schmieren – darauf deutete schon der Skandal um den deutschen Konzern Siemens im Jahr 2006 hin. Siemens hatte eigens Konten angelegt, um illegale Zahlungen abzuwickeln. Es scheint heutzutage also keine Besonderheit zu sein, dass Firmen Schmiergelder zur Auftragsakquise einkalkulieren, vor allem in den korruptionsanfälligen Staaten Lateinamerikas und Afrikas.

Dafür spricht auch, dass in Brasilien nicht nur Odebrecht der Korruption überführt wurde, sondern gleich die vier grössten Baukonzerne des Landes in den Skandal um die halbstaatliche Erdölfirma Petrobras verwickelt sind. Sie alle zahlten Schmiergelder an Petrobras, die teils in die Taschen von PolitikerInnen weiterflossen. Und doch sticht der Fall Odebrecht wegen seiner Dimensionen heraus.

Abteilung für Schmiergelder

Offenbar hat sich die Praxis, Bestechungsgelder zu zahlen, bei Odebrecht mit den Jahren verselbstständigt. Korruption wurde Teil der Firmenkultur. Wie systematisch man vorging, wird daran ersichtlich, dass Odebrecht eine eigene Abteilung für Schmiergelder einrichtete. Dort wurde unter dem Titel «Strukturierte Operationen» festgehalten, an wen man wie viel Geld überwies. Falls nötig, wurde auch der Transport eines Geldkoffers organisiert.

So entstand mit den Jahren in ganz Lateinamerika ein Netz aus Geheimkonten, Briefkastenfirmen und Geldwäschern. Obwohl auch Odebrecht einen Ethikcode hat, der Korruption verbietet und Transparenz verspricht, automatisierten sich die schmutzigen Abläufe. Der Konzern kaufte sogar eine Bank auf der Karibikinsel Antigua, bei der PolitikerInnen ein Konto eröffnen und Bestechungsgelder beziehen konnten.

Die Odebrecht-Enthüllungen bringen nun verschiedene amtierende und ehemalige Regierungen in Lateinamerika in Bedrängnis – unter anderem Kolumbiens Präsident und Friedensnobelpreisträger Manuel Santos. Und in Peru stehen gleich drei ehemalige Präsidenten unter Verdacht.

Am meisten schmierte Odebrecht aber in Brasilien: alles in allem rund 350 Millionen Dollar. Das Geld schien von ganz alleine zu fliessen. Egal wer Unterstützung für den Wahlkampf wollte, etwa um in den Senat zu kommen – sie wurde gewährt, ganz unabhängig von der ideologischen Ausrichtung. Odebrecht erkaufte sich das Wohlwollen der Politik als solcher. Der Konzern war nicht umsonst federführend bei zahlreichen Bauten für die Fussball-WM 2014 und die Olympischen Spiele 2016. Bei vielen dieser Projekte explodierten die Kosten. So hat der Umbau des Maracanã-Stadions in Rio de Janeiro am Ende mit umgerechnet 350 Millionen Franken doppelt so viel gekostet wie ursprünglich kalkuliert. Ein Grund: zu hoch veranschlagte Rechnungen.

Der Chef sagt aus

Odebrecht wurde 1944 in Salvador de Bahia von Norberto Odebrecht gegründet, einem Nachkommen deutscher EinwanderInnen. Heute ist die Odebrecht-Gruppe eine Aktiengesellschaft. Über die Jahre sorgte der eigentümliche brasilianische Staatskapitalismus mit seinem Protektionismus dafür, dass die Firma zum nationalen Champion aufsteigen und dann auf dem Weltmarkt konkurrieren konnte. Bis 2015 führte der nachdenklich wirkende Marcelo Odebrecht die Firma. Nun sitzt er im Gefängnis. Er wurde 2015 bei den Ermittlungen im Petrobras-Skandal verhaftet und zu neunzehn Jahren Haft verurteilt.

Seine Strafe wurde auf zehn Jahre reduziert, weil er einer umfassenden Aussage zustimmte. Ihm gleich taten es 77 weitere Odebrecht-Manager, deren Geständnisse derzeit vom obersten Gerichtshof Brasiliens ausgewertet werden. Schon jetzt weiss man, dass die Namen Dutzender PolitikerInnen der Regierung von Präsident Michel Temer darin auftauchen. Auch Temer selbst wird beschuldigt, illegale Gelder kassiert zu haben.

Bereits im Dezember hatten Odebrecht und seine Petrochemie-Tochter Braskem ein Abkommen mit der US-Justiz geschlossen; Braskem ist an der Wall Street notiert. Die beiden Unternehmen stimmten zu, 3,5 Milliarden Dollar Strafe für ihre korrupten Machenschaften zu zahlen. Es war die grösste Strafsumme, die jemals in einem internationalen Korruptionsfall fällig wurde. Sie floss nach Brasilien, in die USA und in die Schweiz, die ebenfalls geklagt hatte.