Archiv für Agrargeschichte: Eidgenössische Geschichtslosigkeit

Nr. 15 –

Agrargeschichte ist nicht förderungswürdig. Findet zumindest das zuständige Staatssekretariat. Stattdessen setzt es auf «Technologiekompetenzzentren». Da stellen sich grundsätzliche wissenschaftspolitische Fragen.

Seine Qualität steht ausser Zweifel. In bescheidenem Rahmen wird hier Erstaunliches geleistet. Das Archiv für Agrargeschichte (AfA), 2002 gegründet, ist nicht nur eine zentrale Arbeitsstelle zur Agrargeschichte, sondern zur ländlichen Gesellschaft generell. Auch der Schweizerische Wissenschafts- und Innovationsrat (SWIR) ist voll des Lobes: «Unverzichtbar» und «einmalig» sei das erste virtuelle Archiv in der Schweiz, und es besitze eine «bemerkenswerte Ausstrahlung» über die Landesgrenzen hinaus. Das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) stimmt dieser Einschätzung zu. Und hat nun dennoch ein Gesuch um subsidiäre Bundesunterstützung abgelehnt.

Der herrschende Bürokratismus

Der Entscheid bedeutet vermutlich nicht gerade das Ende des Archivs. Aber damit müssen wichtige Dienstleistungen wie die Onlineportale aufgegeben werden. Die von einem Verein getragene Forschungseinrichtung entstammt einer Initiative des Historikers Peter Moser, der jahrelang auch für die WOZ über die Bedeutung von Agrar- und Bodenpolitik geschrieben hat. Dabei sammelt das AfA selbst nur wenige Dokumente; es sucht und erschliesst vor allem Archivbestände (bisher rund 200), die dann von staatlichen Archiven aufbewahrt werden. Die Findmittel zu den Beständen sind auf der Website www.agrararchiv.ch zugänglich.

Die Begründung der Ablehnung trieft vor Bürokratismus. Zuerst geht es ums Geld, das beschränkt ist. Natürlich, nicht alles kann gefördert werden. Aber angesichts des gesamten Kreditrahmens von 422 Millionen Franken wären die 760 000 Franken, um die das Archiv für vier Jahre nachsuchte, schon noch irgendwo aufzutreiben gewesen. Doch die Förderung der Agrargeschichte fällt vor allem der gegenwärtigen Prioritätensetzung zum Opfer. Da geht es zentral um «Technologiekompetenzzentren» – und um die «bestmögliche Konsolidierung von Forschungsinfrastrukturen mit dem Ziel der minimalen Mengenausweitung». Zu Deutsch: Der erstmalige Antrag des AfA hatte von vornherein keine Chance.

Das AfA hat jetzt Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht eingereicht. Das juristische Geplänkel wird sich hinziehen. Aber darin steckt auch eine grundsätzlichere wissenschaftspolitische Frage: Welche Funktion kommt dem SWIR zu? Wozu braucht es ihn, wenn sich das zuständige Departement über dessen Sachverstand hinwegsetzen kann?

Der SWIR kann, als politisch unabhängige Kommission, Gesuche beurteilen und Empfehlungen zuhanden des SBFI abgeben. Diese werden laut Gerd Folkers, Präsident des SWIR und Professor für pharmazeutische Chemie an der ETH Zürich, in mehrfachen Durchgängen bereinigt. Danach aber ist die Arbeit des Rats beendet. Die konkreten Entscheide ebenso wie die forschungspolitischen Rahmenbedingungen fallen in die Kompetenz des Bundesrats. Dass weltweit die Humanwissenschaften zurückgedrängt und die utilitaristischen Technologien forciert werden, nimmt allerdings auch Folkers kritisch zur Kenntnis.

Magisches Elixier

Wenn die Politik auf die Industrie 4.0 als magisches Elixier setzt, muss die Geschichte offensichtlich hinten anstehen. Was das Archiv für Agrargeschichte betrifft, bin ich allerdings eingestandenermassen Partei. Bei seinen Findmitteln stösst man auch auf den Namen Oskar Howald, der ab 1922 Mitarbeiter beim Bauernsekretariat war und 1939 Direktor des Bauernverbands wurde. Der Nachlass meines Grossvaters ist nur dank des Archivs fachgerecht erschlossen worden und der Forschung jetzt verfügbar. Das Archiv wird seine Arbeit weiterhin sachgerecht in einer Mietwohnung in Bern betreiben. Die Eidgenossenschaft aber vergibt sich eine Chance, einen Teil ihrer eigenen Geschichte vermehrt kritisch aufzuarbeiten.