Politische Krise in Südafrika: Der ANC und die Frage nach dem Erbe
In Südafrika stellen sich Fragen, die tief ans nationale Selbstverständnis rühren. Denn die Zehntausende SüdafrikanerInnen, die am letzten Freitag im ganzen Land gegen Präsident Jacob Zuma protestierten, haben es einmal mehr unmissverständlich aufgezeigt: Der African National Congress (ANC) hat seinen Kredit aufgebraucht. Nach über zwei Jahrzehnten an der Macht reicht das Vermächtnis von dessen erfolgreichem Kampf gegen das rassistische Apartheidregime nicht mehr aus, um den Führungsanspruch der Partei zu legitimieren.
Anlass für die jüngsten Proteste bot eine rabiate Umbildung des Regierungskabinetts. Persönliche Motive könnten Jacob Zuma dazu bewogen haben: Vor allem mit der Entlassung des unbequemen Finanzministers Pravin Gordhan dürfte der Präsident, gegen den bereits seit längerem Korruptionsvorwürfe erhoben werden, das Ziel verfolgen, willfährige Gefolgsleute in seinem Kabinett zu installieren. So stand auch bei den Protesten vom Freitag der Kampf gegen Korruption, gegen Zuma und generell gegen die Unfähigkeit der aktuellen Regierung im Vordergrund. Auf dieses Anliegen können sich derzeit viele SüdafrikanerInnen unterschiedlichster gesellschaftlicher Herkunft einigen.
Eigentlich geht es aber um noch viel mehr. Sollte sich die Bevölkerung nämlich tatsächlich vom ANC abwenden, stellt sich unweigerlich die Frage nach dem Erbe, und zwar nicht nur, was Regierungs- und Parlamentssitze betrifft. Es geht auch um das Erbe des Kampfes, den die SüdafrikanerInnen einst gegen den institutionalisierten Rassismus der Apartheid ausgefochten hatten. Als Verwalter dieses Erbes hat es der ANC nie geschafft, den weniger augenfälligen Rassismus effektiv zu bekämpfen, der sich in den Wirtschafts- und Besitzstrukturen des Landes reproduziert. So weist Südafrika bis heute eine der weltweit grössten sozialen und wirtschaftlichen Ungleichheiten auf – und negativ davon betroffen ist ein Grossteil der schwarzen Bevölkerung.
Das wäre eine enorme Chance für die grösste Oppositionspartei. Doch die Democratic Alliance (DA), die in der liberalen Mitte politisiert, tut gerade erschreckend viel, um ihre Chance zu verspielen. Einige DA-VertreterInnen machten mit irritierenden Statements auf sich aufmerksam: nicht zuletzt Helen Zille, die frühere Parteivorsteherin und Hoffnungsträgerin für die nächste Präsidialwahl, die die koloniale Vergangenheit Afrikas verharmloste. Oder der DA-Bürgermeister von Johannesburg, Herman Mashaba, mit fremdenfeindlichen Aussagen. Dass solche ExponentInnen eine echte Alternative zum ANC darstellen, muss bezweifelt werden.