Kost & Logis: Der Deppendiskurs

Nr. 19 –

Karin Hoffsten lernt, wofür sich Twitter bestimmt nicht eignet.

Ich finde es wichtig, mich in den sogenannt sozialen Medien wenigstens ein bisschen auszukennen; also begann ich vor einigen Jahren zu twittern. Meine Leidenschaft wurde es nicht; meist begnüge ich mich damit, am Freitagabend bei einem Glas Wein ein paar Schnödheiten zur Sendung «Arena» abzusetzen – übungshalber.

Dass der Begrenzung auf 140 Zeichen eine gewisse Ausweglosigkeit innewohnt, wurde mir bewusst, als ich mich erstmals etwas ernsthafter einmischte. Der Moderator liess am Sendungsende verlauten, bei den Themen Folter und Menschenrechtsverletzungen wollten er und sein Team nicht neutral bleiben, sondern Haltung zeigen; und nun wolle man gern unter dem Hashtag #srfarena erfahren, was das Publikum davon halte.

Angenehm überrascht von der dezidierten Stellungnahme eines Mannes, dessen Neutralität mir sonst schon fast unheimlich ist, twitterte ich los, wegen der 140 Zeichen gleich zweiteilig. Teil 1: «darüber, ob die #srfarena auch beim thema folter etc. neutral bleiben soll oder nicht, darf nicht das publikum entscheiden», Teil 2: «und ich geh davon aus, dass die #srfarena-red. die frage rhetorisch meint. sonst können wir gleich über die todesstrafe abstimmen».

Prompt antwortete mir X: «Ach dann gibt es also Regeln in der Gesellschaft über welche die Gesellschaft nicht abstimmen darf? Und wer wählt die aus?» Manno!, dachte ich – ich ging davon aus, dass X ein Mann ist –, der will mich einfach nicht verstehen! Ich schrieb: «(hoffentlich) jene, denen die bedeutung von aufklärung und menschenrechten für eine gesellschaft nicht völlig unbekannt ist.»

X war angeregt: «Direkter formuliert also jene, welche Ihre Werte teilen? Ich finde die Gesellschaft darf jede ihrer Regeln zur Diskussion stellen.» Darauf wieder ich: «ein kleines bisschen bildung gehört tatsächlich zu meinen ‹werten› und scheint mir zum denken nötig», worauf X erläuterte: «Ich halte es lediglich für gefährlich, wenigen Vertr. die Entscheidungsgewalt zu geben, was diskutiert werden darf.» Und nachschob: «Und wieviel von welcher Art von Bildung ist nötig um entscheiden zu können, worüber abgestimmt werden darf?»

Mann, du nervst, dachte ich und verschleierte dieses Gefühl in meiner Antwort nur notdürftig: «Ihrer ansicht nach offenbar keine irgendwelcher art. ach, es bringt nix, bleiben wir halt beide in unsrer bubble.» Dann schwieg ich und ärgerte mich, dass ich das überhaupt geschrieben hatte. Ich fühle mich nicht in einer Blase.

Doch X blieb hartnäckig dran: «Vorschlag: Überlassen Sie doch die Äusserung meiner Ansichten mir und beschränken Sich auf die Offenlegung Ihrer?» Und gleich hinterher: «Ich möchte, dass eine Gesellschaft jede ihrer Regeln in Frage stellen, offen diskutieren und ggf. ändern darf.» Klingt gut, oder? Deshalb werden wir ja auch bald selbstbestimmt über unsere Regeln bei der Einhaltung von Menschenrechten befinden. Basisdemokratisch und offen.

Karin Hoffsten hat sich geschworen, der Erörterung etwas komplexerer Sachverhalte auf Twitter künftig zu entsagen.