Rachel Cusk: Ihr Leben ist eine Baustelle

Nr. 21 –

Ist das frisch erstandene alte Haus nun eine Goldgrube oder ein Geldgrab? Die Protagonistin im neuen Roman von Rachel Cusk («Outline») bewegt sich buchstäblich im «Transit».

Ein altes Haus zu kaufen, ist ein Abenteuer. Der Kampf mit den Handwerkern, die versteckten Mängel, die auf Streit gebürsteten NachbarInnen, die Geldnöte, das Leben auf einer nimmer endenden Baustelle: Stoff für einen Roman mit Gruselfaktor, wie ihn beispielsweise Herrad Schenk in «Das Haus, das Glück und der Tod» vor zwanzig Jahren geschrieben hat. All diese thematischen Versatzstücke finden sich jetzt auch in «Transit», dem neuen Roman von Rachel Cusk, doch das erwartete Katastrophenszenario nimmt eine unvermutete Richtung.

Die Schriftstellerin Faye, zuletzt schon Protagonistin in Cusks Roman «Outline» (siehe WOZ Nr. 31/2016 ), hat sich eine solche Bruchbude angetan, weil ein Freund ihr geraten hatte, lieber ein schlechtes Haus in einer guten Gegend zu kaufen als umgekehrt. Gerade hat sie sich von ihrem Mann getrennt und ist mit ihren beiden Söhnen nach London zurückgekehrt. Nun sitzt sie, wie ihr Bauunternehmer orakelt, entweder auf einer «Goldgrube» oder einem «Geldgrab», wo Fussböden herausgerissen und Wände und Fenster von Arbeitsmigranten aus Albanien und Polen erneuert werden müssen und wo man von der einen zur anderen Zimmerhälfte nur noch über Holzstege gelangt, ständig im «Transit».

Die Angst vor Einsamkeit

Doch das scheinbar nur im Basalen angesiedelte Motto, das dem Buch seinen Titel gibt, wölbt sich wie ein Spruchband über dem gesamten Text, der als «Roman» nur durchgeht, wenn man die unendlichen indirekten Redeergüsse und die handlungsarmen Momentaufnahmen im Kopf übersetzt in eine Reihe filmischer Sequenzen. Schauplätze sind die heimische Baustelle, der Friseurladen, den Faye frequentiert, ein Literaturfestival oder diverse Abendeinladungen, wo Faye immer wieder zufällig auf Menschen trifft, die von ihrem Geschick erzählen und den Momenten, in denen sich ihr Leben verändert hat, ohne dass sie sich dessen bewusst waren. Sie sei empfänglich für die Deutungen des Himmels, versichert ihr die Astrologin aus dem Netz, die Faye gerade deshalb als nicht bedrohlich empfindet, weil sie vermutlich einem Computerprogramm entsprungen ist. So ähnlich funktioniert Faye auch als Zuhörerin: neutral, nicht mehr als ein Filter, in den sich der Strom des Lebens ergiesst.

Gerard etwa, ihr Exgeliebter, dem sie in der Nachbarschaft wiederbegegnet, erzählt ihr von seiner Übersiedlung nach Toronto. Den vorgeblich selbstbestimmten Entschluss empfindet er als Schuld: «Es fühlte sich falsch an, ein ganzes Leben auf eine einzige Entscheidung zu gründen.»

Wie schon in «Outline» ist die Fremde auch hier Ausgangspunkt für Veränderung und Stabilität nur «Abfallprodukt des Risikos». Das gilt für Gerard ebenso wie für Dale, Fayes Friseur, der seinen schwulen Neffen bei sich aufnimmt und damit seine Freiheit aufgibt. Oder für Julian, den Autorenkollegen, der mittels narzisstischer Selbstentblössung die Deutungshoheit über seine Vergangenheit zu gewinnen versucht. Indem er sich der Sprache aussetzt und lernt, sie zu kontrollieren, verfügt er über «eine Waffe, einen äusseren Verteidigungsring».

Wunsch nach perverser Gemeinschaft

Hinter dem Bemühen, Beständigkeit herzustellen oder dem Provisorischen zumindest einen Sinn abzutrotzen, steckt die Angst vor Einsamkeit. «Warum können wir nicht normal sein?», beschwert sich einer von Fayes Söhnen. «Warum muss bei uns immer alles anders sein?» Die Freundin Amanda ist auf der Suche nach etwas, das nur in ihrem Kopf existiert, und landet in einer Adoptionsvermittlungsstelle. Pavel, der polnische Handwerker, ist von Heimweh zerfressen, während sich ein Teilnehmer von Fayes Schreibkurs auf einen arabischen Jagdhund verlegt, ein Tier von absolutem Gehorsam. Selbst die bösartigen Attacken von Fayes HausbewohnerInnen Paula und John, ihre negative Energie und ihre zerstörerische Kraft entspringen dem Wunsch nach perverser Gemeinschaft: Der Hass dieser Leute auf sie, sinniert Faye, sei so rein, dass er zwischendurch fast in Liebe umschlage. Einsamkeit dagegen ist, «wenn nichts haften bleibt».

Cusks Annäherungen an die Schicksale und Krisen anderer Menschen und deren narrative Vereinnahmung sind von einem tief verwurzelten Misstrauen begleitet: Die Vorstellung, das eigene Leben könnte etwas Festgeschriebenes sein, resümiert ihr Alter Ego, sei sehr verlockend, bis man merke, dass sie andere Menschen auf Romanfiguren reduziere. Indem sie sich auf diese Weise auch als Geschichtenerzählerin immer auf Abstand hält und ihr «Drehbuch» hinterfragt, geht es Cusk gerade nicht um die Erzählung selbst, sondern um «die Muster in den Ereignissen und ihre Wahrheit». Diese freizulegen, sei aber nicht möglich, «solange man an Identität glaube oder an so persönliche Kategorien wie Gerechtigkeit, Ehre oder Rache».

Mit solchen Passagen beweist sich die in England lebende Autorin erneut als Nachfahrin der grossen aphoristischen Tradition. «Transit» wirkt zwar noch etwas konzentrierter als «Outline» und noch stärker auf die Dualismen des Lebens fokussiert. Doch mehr als im ersten Teil der geplanten Trilogie stellen sich lebhafte Bilder ein, ausgefüllt und zum Laufen gebracht von sehr genauen Beschreibungen. Kein Film des Lebens, aber ein ausdrucksstarkes Mosaik.

Rachel Cusk: Transit. Roman. Aus dem Englischen von Eva Bonné. Suhrkamp Verlag. Berlin 2017. 238 Seiten. 29 Franken