Standpunkt von Elisabeth Joris: Das Recht auf Gesundheit im Klimawandel

Nr. 22 –

Längst ist bekannt, dass ältere Menschen besonders unter den zunehmenden Hitzephasen leiden. 700 «Klima-Seniorinnen» klagen nun den Bundesrat an, zu wenig gegen den Klimawandel zu unternehmen.

Elisabeth Joris. Foto: Florian Bachmann

Forschende der ETH Zürich haben aufgezeigt, dass die Wahrscheinlichkeit von extrem heissen Sommermonaten steigt – für alte Menschen eine Horrorvorstellung, hat doch der Hitzesommer 2003 europaweit über 70 000 Menschenleben gefordert. Besonders betroffen von den Hitzefolgen waren Personen über 75 Jahre.

Das ist der Hintergrund, vor dem sich vergangene Woche 55 «Klima-Seniorinnen» an ihrer Generalversammlung einstimmig entschieden, beim Bundesverwaltungsgericht in St. Gallen Beschwerde gegen eine Verfügung des Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) vom 25. April einzulegen. Das Uvek lehnte es nämlich ab, auf das Rechtsbegehren des Vereins Klima-Seniorinnen und vier einzelner Frauen betreffend die «Einstellung von Unterlassungen im Klimaschutz» überhaupt einzutreten. Die Zeit für den Entscheid über den Weiterzug drängte, denn die Frist lief drei Tage später ab. So haben sich am letzten Freitag mehrere Frauen vor dem Gericht in St. Gallen versammelt, um mit ihrer Anwesenheit die Bedeutung der Beschwerde zu unterstreichen.

Überrascht hat mich als Mitinitiantin der «Klage» zwar die Eindeutigkeit des Entscheids der Generalversammlung, nicht aber der Entscheid selbst, die «Klage» weiterzuziehen. Denn unter den inzwischen mehr als 700 Klima-Seniorinnen sind viele Frauen, die auf Jahre, ja jahrzehntelange Erfahrungen in ökologischen, kirchlichen, feministischen und frauenspezifischen Gruppierungen verschiedenster Ausrichtung und politischer Färbung zurückblicken. Sie lassen sich im Alter weniger denn je unterkriegen und wissen sich sehr genau für ihre gesellschaftlichen Interessen zu wehren.

Solidarität über die Generationen

Da Frauen im hohen Alter zu den von der Klimaerwärmung am stärksten in ihrer Gesundheit bedrohten Gruppen gehören, wehren sie sich als Direktbetroffene. Den Klima-Seniorinnen geht es aber auch um generationenübergreifende Solidarität; viele von ihnen sehen sich explizit auch verpflichtet, ihren Enkelkindern eine lebenswerte Welt zurückzulassen.

Das Vorhaben, die Behörden mit einer «Klage» zu wirkungsvolleren Massnahmen für die Reduktion der klimaschädlichen Emissionen auch politisch unter Druck zu setzen, wurde vor gut einem Jahr von einer kleineren Gruppe von Frauen von siebzig und mehr Jahren lanciert. Dank ihrer vielschichtigen Netzwerke und der Zusammenarbeit mit Greenpeace zählte der Verein schon bei seiner offiziellen Gründung im August 2016 mehr als 400 Mitglieder.

Das rechtliche Vorgehen ist nicht einfach zu kommunizieren, geht es doch nicht um eine Klage im eigentlichen Sinn. Ohne die fundierte Argumentation der Anwältinnen Ursula Brunner und Cordelia Bähr als Spezialistinnen für rechtliche Belange im Umweltbereich wäre die Eingabe nicht möglich geworden. Doch im November 2016 war es so weit: 539 Seniorinnen reichten beim Bund das Gesuch mit dem Titel «Begehren um Einstellung von Unterlassungen im Klimaschutz im Sinne von Art. 25a VwVG sowie Art. 6 Ziff. 1 und 13 EMRK» ein. Die Verwaltung wird darin aufgefordert, unverzüglich und konsequent darauf hinzuarbeiten, dass die Schweizer Klimapolitik korrigiert wird. Es geht dabei nicht um die Arbeit des Parlaments, kann doch dessen Rechtsetzung wegen fehlender Verfassungsgerichtsbarkeit nicht gerichtlich korrigiert werden. Es geht vielmehr um die zentrale Rolle von Bundesrat und Verwaltung bei der Vorbereitung der Rechtsetzung: Sie liefern sämtliche Grundlagen für die parlamentarische Arbeit und müssen sich dabei an die Verfassung und die Menschenrechtskonvention halten, die beide den Schutz des Lebens garantieren.

Kohlendioxid und Menschenrechte

Und sie müssen nach dem Vorsorgeprinzip vorgehen. Genau das hat der Bundesrat aber bei der Klimapolitik nicht getan: Weder hat er dem Parlament aufgezeigt, welche Reduktionsziele für die CO2-Emissionen zur Gewährleistung der Verfassungs- und Menschenrechte aus wissenschaftlicher Sicht mindestens notwendig sind; noch hat er die erläuternden Hintergründe dazu verfassen lassen, die das Parlament zu entsprechenden Entschlüssen hätten bewegen können. Der Bundesrat hat stattdessen dem Parlament ungenügende Reduktionsziele und lückenhafte Massnahmen unterbreitet. Das wird im 150-seitigen, mit unzähligen Quellen belegten Rechtsbegehren im Detail nachgewiesen.

Mit ihrer Verfügung sind die Behörden auf dieses Rechtsbegehren nicht eingetreten – ohne sich mit dessen verfassungs- und menschenrechtlichen Begründungen auseinanderzusetzen. Dagegen wehren sich die Klima-Seniorinnen. Sie erwarten, dass das Bundesverwaltungsgericht das Uvek anweisen wird, ihre Forderungen als direkt von der Klimaerwärmung Betroffene ernsthaft zu prüfen.

Elisabeth Joris (71) ist Historikerin mit Schwerpunkt Geschlechtergeschichte und lebt in Zürich. Zuletzt erschien von ihr, zusammen mit Bruno Meier und Martin Widmer: «Historische Begegnungen. Biografische Essays zur Schweizer Geschichte». Hier und Jetzt Verlag. Baden 2014.