Durch den Monat mit Jo Lang (Teil 1): Herr Lang, haben Sie Ihre Lehrlinge indoktriniert?

Nr. 26 –

Exnationalrat Jo Lang hat während über drei Jahrzehnten als Berufsschullehrer gearbeitet. Seine Rolle verstand er dabei hauptsächlich als Moderator. In diesem Sommer hört er auf.

Wollte nicht dieselben Fehler wie einst seine rechten Lehrer machen: Der Historiker, Berufsschullehrer und ehemalige Politiker Jo Lang.

WOZ: Jo Lang, Sie haben während 35 Jahren an der Baugewerblichen Berufsschule Zürich (BBZ) angehende Handwerkerinnen und Handwerker unterrichtet. Können Sie heute selbst ein Haus umbauen?
Jo Lang: Ich bin handwerklich unglaublich ungeschickt. Auf dem Bauernhof meiner Familie hatte ich ein Traktorverbot. Meine Stärke war der Umgang mit Tieren. Trotzdem habe ich mit den Jahren viel erfahren über die Berufe meiner Lehrlinge. Über Lüftungsanlagebau oder Heizungsinstallationen, Gebäude- und Haustechnik. Wenn ich heute einen Handwerker im Haus habe, kann ich ganz gut fachsimpeln.

Seit Sie 1982 an der BBZ anfingen, waren Sie gleichzeitig immer auch eine öffentliche Person: als alternativer Parlamentarier in Zug, als Nationalrat oder als GSoA-Aktivist. Welchen Stellenwert hatte daneben der Lehrerberuf?
Primär war er mein Broterwerb. Und abgesehen von den acht Jahren im Nationalrat von 2003 bis 2011 bildete er mein Haupteinkommen. Ein wenig war das Schulhaus aber auch mein Zuhause: Die Schülerinnen und Schüler traf ich während drei oder vier Jahren jede Woche, mit einigen Kolleginnen und Kollegen arbeitete ich über Jahrzehnte zusammen. Interessanterweise spielten Schule und Lehrlinge aber nie eine Rolle im bekannteren Teil meines Lebens. Das passt dazu, dass die Berufsschule und die Lehrlinge in der Öffentlichkeit eine grosse Unbekannte sind.

Warum ist das so? In der Schweiz gibt es viel mehr Lehrlinge als Mittelschülerinnen und -schüler.
Zum einen hat ein Grossteil der Leute, die in der Öffentlichkeit etwas zu sagen haben, eine Mittelschule besucht. Zudem stehen Lehrlinge und Handwerker in der sozialen Hierarchie der Schweiz nicht zuoberst. Dass ein Grossteil der Lehrlinge einen Migrationshintergrund hat, spielt wohl ebenfalls eine Rolle. Und möglicherweise ist es auch Ausdruck eines fehlenden kollektiven Arbeiterbewusstseins. In der Sprache der siebziger Jahre könnte man sagen: Meine Lehrlinge sind eigentlich das künftige Herz der Arbeiterklasse. Wie fremd das heute tönt, zeigt allein schon auf, was hier verloren ging.

Hat das damit zu tun, dass auch an den Berufsschulen die Akademisierung Einzug gehalten hat?
Das glaube ich nicht. Nur wenige Lehrlinge verfolgen später eine akademische Laufbahn. Die meisten nehmen die Weiterbildungsmöglichkeiten als Chance wahr, im Beruf weiterzukommen. Die BBZ bildet in der Gebäude- und Haustechnik etwa jene Fachleute aus, die für die Energiewende dringend nötig sind. So werden in der Abteilung Montage und Ausbau etwa 1500 Lehrlinge unterrichtet, und rund 1000 weitere besuchen abends Weiterbildungen. Sie werden die eigentlichen Macher der Energiewende sein, von denen aber nie jemand redet. Die fachlichen Anforderungen werden im Baugewerbe ständig grösser, darum unterstütze ich es, wenn sich meine Lehrlinge weiterbilden.

Hatten Sie als Kapitalismuskritiker denn jemals Bedenken, die Marktwirtschaft Jahr für Jahr mit frischem Blut zu versorgen?
Das war für mich nie ein Widerspruch. Denn ich wusste, dass die Arbeiterbewegung immer schon von den Facharbeitern getragen wurde. Je höher ein Arbeiter oder eine Arbeiterin qualifiziert ist, desto besser kann er oder sie sich wehren – und desto eher ist er oder sie auch bereit, sich zu organisieren. Ohnehin bestand für mich als allgemeinbildender Lehrer die Hauptaufgabe darin, aus den Lehrlingen mündige Bürger und kompetente Konsumentinnen zu machen, die sich nicht übers Ohr hauen lassen. Denn ich unterrichtete Themen wie «Recht im Alltag», zum Beispiel «Arbeitsrecht» oder «Versicherungen», «Staats- und Wirtschaftskunde» –, aber auch aktualitätsbezogene Dinge, etwa in Bezug auf Religion. Wenn jemand eigene Vorschläge hatte, dann räumte ich dafür auch gerne einen Halbtag frei.

Man stellt sich den profilierten Politiker Jo Lang im Klassenzimmer vor und denkt: Bestimmt will der grüne Weltverbesserer seine Lehrlinge indoktrinieren.
Ich habe einst als Mittelschüler erlebt, wie rechte Lehrer beim Versuch, uns zu indoktrinieren, unser linkes Bewusstsein gestärkt haben. Diesen Fehler wollte ich immer vermeiden. In meiner Position wäre es natürlich sinnlos, meine linke Haltung zu verstecken. Wichtig ist aber, die Schüler selbst zu Wort kommen zu lassen – und ernst zu nehmen! Im Klassenzimmer gibt es Raum für verschiedene Meinungen, wobei der Lehrer die Rolle des Moderators übernehmen und allenfalls Inputs liefern soll. Ausserdem gab es praktisch in jedem Semester Besuche von der Aufsichtskommission, und da waren auch SVP-Mitglieder darunter.

In vielen handwerklichen Berufen ist die Diversität bei der Herkunft sehr gross – nicht aber die Geschlechterdurchmischung.
Das stimmt, der Anteil der Frauen ist heute nicht höher als vor 35 Jahren. Während man aber öffentlich über Frauenquoten in Verwaltungsräten streitet, wird dies kaum wahrgenommen und thematisiert. Auch das zeigt auf, wie gering das öffentliche Interesse an der Berufsbildung und an künftigen Arbeiterinnen ist.

Als Historiker widmet sich Jo Lang (63) mit besonderem Interesse den Weltreligionen. Er findet, dass die aktuelle Islamdebatte wenig mit der Lebensrealität seiner zahlreichen muslimischen SchülerInnen zu tun hat.