Vor dem G20-Gipfel: «Das ist unsere Stadt!»
In diesen Tagen ist Hamburg die Stadt des nervösen Rotorenlärms. So auch am Dienstagabend, als Helikopter über St. Pauli kreisen. Ein paar Tausend Menschen haben sich zum «hedonistischen Massencornern» gegen den G20-Gipfel versammelt. Unter «Cornern» wird das aktive Herumlungern an Strassenecken verstanden: Man trifft sich ohne Abmachung und ohne Ziel. Für die InitiatorInnen ist das eine subversive Praxis, wie sie in den auf Effizienz und Konsum getrimmten Wirtschaftsmetropolen nicht gerne gesehen wird. Als müsste sie dafür den Beweis liefern, rückt die Polizei mit Hundertschaften an und setzt ihre Wasserwerfer ohne ersichtlichen Grund ein.
Dass in Hamburg, wo nun die StaatschefInnen der zwanzig grössten Industrienationen zusammenkommen, Protest unerwünscht ist, machen viele Episoden deutlich. Die Stadt, die sich so gerne als Tor zur Welt inszeniert, tut alles, um den mächtigen Gästen aus aller Welt einen luxuriösen Empfang zu bereiten. Ein Camp von Protestierenden hingegen wurde geräumt, obwohl es gemäss richterlichem Beschluss erlaubt war. KritikerInnen aus Parteien, Kirchen und NGOs sprechen von einem Putsch der Polizei gegen die Justiz. Unter Einsatz von Tränengas werden durch Fakten Normen geschaffen.
In der gesamten Innenstadt gilt während des Gipfels ein Demonstrationsverbot. Und der Inlandsgeheimdienst hat mittlerweile drei «Hauptgegner» des Gipfels ausgemacht und sie auf seiner Website namentlich an den Pranger gestellt. Solch präventive Repression soll die Protestierenden einschüchtern. Statt eines «Festivals der Demokratie», wie es Andy Grote, Innensenator von der SPD, vor nicht allzu langer Zeit versprach, probt die Polizei die Aufstandsbekämpfung in einer Millionenmetropole. Bekannt für ihre harte «Hamburger Linie», geniesst sie dabei die volle Unterstützung der linksgrünen Stadtregierung.
Die Eskalationsstrategie folgt dabei der simplen Unterteilung in gute und böse DemonstrantInnen. Die Durchsage des Beamten im Wasserwerfer auf St. Pauli hätte den autokratischen Gipfelteilnehmern wie Wladimir Putin oder Recep Tayyip Erdogan bestimmt gefallen: «Entfernen Sie sich, und distanzieren Sie sich deutlich von Störern oder Straftätern. Ansonsten wird die Polizei auch gegen Sie Zwangsmassnahmen einsetzen.»
Man kann die Auseinandersetzungen als Räuber-und-Gendarm-Spiel abtun. Doch angesichts des inhaltsleeren Mottos des G20-Treffens – «Eine vernetzte Welt gestalten» – kann man darin auch das eigentliche Thema des Gipfels sehen. In Zeiten der schwindenden Souveränität der Nationalstaaten wird eine Frage immer zentraler: Wem gehört die Stadt? Rund um den Globus sind die Städte zum Schauplatz gesellschaftlicher Aushandlungen geworden. Der Druck der ökonomischen Verwertung ist in den Metropolen am höchsten, entsprechend werden hier auch neue Sicherheitsdispositive erprobt. Gleichzeitig ist die Stadt ein Ort der Veränderung, an dem Rechte erkämpft werden können.
Wie stark der Widerstand ist, zeigt sich auch in Hamburg. Kaum jemand in der Stadt wollte den Gipfel. In den Schaufenstern der Läden und Kneipen hängen Aufrufe zu Kundgebungen und Banner mit Sprüchen wie «G20, du sollst hier nicht sein». Protestierenden, deren Zelte konfisziert wurden, werden spontan Schlafplätze angeboten, in Wohnungen, in Kirchen, sogar im Schauspielhaus. Plötzlich wird auf St. Pauli ein «Arrivati-Park» ausgerufen: ein Platz für die Angekommenen. Ein Kollektiv von AktivistInnen verteilt hier City Cards, die Papierlose schützen sollen. Sie würden bloss die Papiere an die städtische Realität anpassen, sagen sie.
Während die Behörden Hamburg zum Hochsicherheitstrakt aufrüsten, nehmen sich die BewohnerInnen ihre Stadt zurück, ganz im Sinne des deutschen Grundgesetzes, in dem das Recht auf Widerstand verankert ist. So auch beim Cornern auf St. Pauli. Viele blicken besorgt auf die Machtdemonstration der Polizei. Doch sie bleiben draussen und lassen sich nicht einschüchtern: «Das ist unsere Stadt!», schallt es lautstark durch den Kiez.